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Rechtsextremismus wissenschaftlich erforschen und daraus Lehren ziehen
Stuttgart/Tübingen. „Die Einrichtung von einer Dokumentations- und einer Forschungsstelle war eine zentrale Empfehlung aus dem zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags“, sagt der Geschäftsführer des Tübinger Instituts, Reiner Baur.
Mit der bereits seit dem Jahr 2020 bestehenden Dokumentationsstelle Rechtsextremismus (DokRex) am Generallandesarchiv Baden-Württemberg in Karlsruhe und dem bundesweit ersten universitären Institut für Rechtsextremismusforschung der Universität Tübingen (IRex) hat Baden-Württemberg nun zwei Einrichtungen etabliert, deren Analysen und Empfehlungen von grundlegender Bedeutung sind, „um diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung anzugehen“, wie das Wissenschaftsministerium dazu mitteilt. Das Ministerium unterstützt beide Einrichtungen finanziell und strukturell.
Doch was genau versteht man eigentlich unter Rechtsextremismus? „Die extreme Rechte spielt gekonnt mit den Ängsten und Sorgen der Menschen. Sie verbindet ihr national und völkisch aufgeladenes Verständnis von Heimat mit Bedrohungsfantasien und will so Unterstützung mobilisieren – gegen die Regierung, gegen Pluralismus, gegen Migrantinnen und Migranten“, sagte der wissenschaftliche Leiter Rolf Frankenberger vor kurzem bei der Vorstellung des Instituts in Stuttgart.
Ideologie der Ungleichwertigkeit und Einteilung in Gruppen
In einem Newsletter der Uni Tübingen konkretisiert er das weiter: „Anhand von zugeschriebenen Merkmalen beziehungsweise durch Hervorheben von bestimmten Merkmalen werden Menschen in Gruppen eingeteilt, von denen die einen als mehr wert als die anderen konstruiert werden. Das findet einen Ausdruck beispielsweise in rassistischen Stereotypen. All das ist unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung, Artikel 3 Grundgesetz.“
„Die Stärkung der Demokratie und der Widerstandsfähigkeit (zivil-)gesellschaftlicher und staatlicher Strukturen gegen rechtsextreme Ideologien und Praktiken mit wissenschaftlichen Mitteln ist ein Leitmotiv des IRex“, sagt Geschäftsführer Baur.
Das Institut erforsche den Rechtsextremismus und seine gesellschaftlichen Einbettungen interdisziplinär. „Unsere Forschung zielt auf ein Verständnis der politischen und lebensweltlichen Dimensionen des Rechtsextremismus ab. Die Forschungsergebnisse sollen eine gelebte und an den allgemeinen Menschenrechten ausgerichtete demokratische Grundhaltung fördern“, betont Baur.
Beim Generallandesarchiv in Karlsruhe widmet sich die dort angesiedelte Dokumentationsstelle DokRex außer dem Thema Rechtsextremismus künftig verstärkt dem Antisemitismus. „In den letzten Jahren hat eine gewaltige Radikalisierung stattgefunden – Stichworte liefern militante Corona-Leugner, rechtsterroristische Reichsbürger und Neonazi-Parteien wie die Freien Sachsen“, sagt Wolfgang Zimmermann, Leiter des Generallandesarchivs Karlsruhe und kommissarischer Leiter der Dokumentationsstelle Rechtsextremismus.
Diese gilt als eines der größten Archive zum Rechtsextremismus in Deutschland. „Beim Antisemitismus gibt es eine wachsende Schnittmenge zwischen Rechtsextremisten und der Mitte der Gesellschaft. Auch finden wir in Teilen der ‚antiimperialistischen‘ Linken und bei islamistischen Extremisten ganz klar antisemitische Einstellungen und Aktionen“, betont Zimmermann.
Sorge auch wegen eines zunehmendem Antisemitismus
„Nicht nur der zunehmende Antisemitismus macht uns Sorgen, sondern auch das Schweigen der Mehrheitsgesellschaft dazu“, sagt Gerald Maier, Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg. Deshalb sei es notwendig, die politische Bildung zu intensivieren.“ Das Landesarchiv unterstütze dies mit der Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien und Recherchehilfen.
„Beide Einrichtungen zusammen sind ein wichtiges Instrumentarium zum richtigen Zeitpunkt, um mit wissenschaftlichem Ansatz und zugleich im Miteinander mit Bürgerinnen und Bürgern jenen zu begegnen, die unsere Demokratie missbrauchen wollen, um sie abzuschaffen“, sagt Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne).
Baden-Württemberg leiste mit den beiden Säulen Dokumentation und Forschung Pionierarbeit im Bereich der Rechtsextremismusforschung und damit auch einen wirkungsvollen Beitrag zur Stärkung der Demokratie“, betont Olschowski. „Wir sind davon überzeugt, dass wir dem Rechtsextremismus gerade auch mit fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen wirksam begegnen müssen. Es geht darum, die Logiken, die dahinterstecken und oft lange Traditionslinien haben, zu verstehen“, so die Ministerin weiter.
Die drei neuen Professuren in Tübingen in den Bereichen Medienwissenschaft, Politikwissenschaft und im Bereich Erziehungswissenschaft werden mit international renommierten Forscherinnen besetzt.
Alleinstellungsmerkmal
Mit dem Institut für Rechtsextremismusforschung (IRex) hat das Land ein strukturell fest verankertes eigenes Institut an der Uni Tübingen geschaffen. Dazu gehören drei Professuren in den Bereichen Medienwissenschaft (Medien und Öffentlichkeit), Politikwissenschaft (Politische Akteurinnen/Akteure) und Erziehungswissenschaft (Politische und Kulturelle Bildung). Eine vierte Professur für sozialwissenschaftliche Antisemitismusforschung wird noch ausgeschrieben.