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Die bequemeren Boote kamen aus Esslingen
Esslingen. Emil Kessler, Gründer der Lokomotivfabriken in Karlsruhe und Esslingen, war ein Meister des Kopierens fremder Erzeugnisse. Die Regierungen von Baden und Württemberg unterstützten ihn bei der Beschaffung ausländischer Muster nach Kräften. Sie wollten Aufträge für Verkehrsmittel bevorzugt an heimische Fabrikanten vergeben. Patentschutz hatten ausländische Hersteller in den vielen deutschen Kleinstaaten nur selten beantragt.
Aufträge für den Schiffsbau kamen Kessler aufgrund der Rezession nach der der bürgerlichen Revolution von 1848/49 überaus gelegen. Württembergs Regierung half ihm dabei, französische Flussschiffe zu kopieren. Die auf dem Neckar ab 1841 unter dem Jubel der Bevölkerung eingesetzten Raddampfer galten überwiegend der Personenbeförderung.
Die beiden Neckardampfschiffe „Heilbronn“ und „Heidelberg“
Nachdem seit den 1830er Jahren die Dampfschifffahrt auf dem Rhein und der unteren Donau florierte, fand sich 1838 auch in Heilbronn ein hauptsächlich aus Kaufleuten bestehendes „Comité zur Einführung der Neckardampfschifffahrt“ zusammen. Auf Antrag dieser Vereinigung untersuchte Straßenbauinspektor Seeger den Flusslauf des Neckars zwischen Heilbronn und Heidelberg und veranschlagte für die Beseitigung einiger Stromschnellen und die Vertiefung des Neckarbettes Kosten von über 200 000 Gulden.
Bei derartigen Vorleistungen war an die Realisierung der Dampfschifffahrt nicht zu denken. Erst als der Initiator der Komitees, der Heilbronner Kaufmann Karl Reuß, bei einer Geschäftsreise Dampfboote der französischen Firma Gâché mit viel geringerem Tiefgang auf der Mosel entdeckte, war der Bann gebrochen. Badens und Württembergs Regierungen veranlassen einige kleinere Verbesserungen am Flusslauf und die Heilbronner Kaufleute gründeten 1841 eine Aktiengesellschaft durch Ausgabe von 500 Aktien zu je 200 Gulden, von denen die württembergische Regierung und die Stadt Heilbronn je 75 Stück zeichneten. Vorausschauend erwarb auch Emil Kessler zehn dieser Anteile.
Der erste und 1840 bei der Firma Gâché fils ainé in Nantes bestellte Schaufelraddampfer war 38 Meter lang und mit einer 20 PS Niederdruck-Balancier-Dampfmaschine ausgerüstet. Es hatte bei einer Ladung von sieben Tonnen einen Tiefgang von nur 30 Zentimetern.
Das Schiff von Gâché legte das erste Teilstück seiner Reise aus Nantes in Teilen zerlegt zurück. In Straßburg wurden es montiert und fuhr von dort aus eigener Kraft über den Rhein nach Mannheim, dann den Neckar aufwärts bis nach Heilbronn. Bald nach der Ankunft wurde die Anschaffung eines zweiten Bootes beschlossen, das im März 1842 eintraf, worauf jeden Tag eines der Schiffe von Heilbronn abwärts bis Heidelberg, das andere aufwärtsfuhr.
Um einen Dampfer in Reserve zu haben, kaufte die Heilbronner Gesellschaft 1843 wiederum beim selben Hersteller ein drittes Boot. Zu deren Auslastung trugen Tausende von Auswanderern bei, die sich in Sonderfahrten nach Mannheim bringen ließen, um mit Rheindampfern nach Holland und von dort aus über den Atlantik zu reisen.
Die Eröffnung der Eisenbahnstrecke Stuttgart-Heilbronn bescherte der Dampfschifffahrts-Gesellschaft so zusätzliche Personen- und Gütertransporte, dass sie 1851 beschloss, zwei der älteren Boote durch größere und schnellere Neubauten zu ersetzen. „Die zwei Dampfboote sollen“, schrieb Regierungskommissar Schäffer im August 1851 an das Finanzministerium, „in der bewährten Werkstätte von Gâché in Nantes erbaut werden“, allerdings mit einer bequemen Inneneinrichtung. Hintergrund war die Angst vor der Konkurrenz der Eisenbahn aufgrund der geplanten Anbindung der badischen Rheintalstrecke an die Stuttgarter Bahnlinie.
Im September 1851 berichtete die “Schwäbische Chronik“ über die Hauptversammlung der Dampfschifffahrts-Gesellschaft: „Wenn berücksichtigt wird, dass die Konkurrenz der Bietigheim-Bruchsaler Eisenbahn bereits in zwei Jahren droht, so wird es ohne Zweifel eine Lebensfrage für die Neckardampfschifffahrt, ob sie mit den alten Booten fortfahren oder neue bessere schaffen soll. Im letzteren Falle aber, wenn sie bei ziemlich gleichen Preisen die Reisenden in drei bis vier Stunden nach Heidelberg, in acht Stunden von da hierher schaffte, ist wohl mit Sicherheit anzunehmen, dass die bequeme Reise (….) ihre Existenz sichert“.
Der Bericht war durch eine Anmerkung der Stuttgarter Redaktion ergänzt: „Wo die Schiffe gebaut werden, ist in diesem Bericht nicht gesagt – wir hoffen – in Esslingen“. Dieser Ansicht war auch das Finanzministerium, das Regierungskommissar Schäffer aufforderte, für die entsprechende Auftragsvergabe zu sorgen. Dieser tat dann auch, was von ihm erwartet wurde.
In einer Note des Finanzministeriums vom 4. November 1851 an den König wird berichtet: „Für den Fall der Herstellung der Neckarschiffe durch die Maschinenfabrik Esslingen habe Schäffer bei dem ihm bekannten Betriebsdirektor der Main-Dampfschifffahrts-Gesellschaft Langloth auf vertraulichem Weg bereits die Einleitung getroffen, dass dem Ingenieur und Schiffsbauer dieser Fabrik der Zutritt nach den Maschinen und allen Räumen des Main-Schiffs gestattet und dass es demselben nicht schwer werden sollte, dieses sehr gelungene Werk nachzubilden“.
Am Wehr von Berg musste der Neckar aufgestaut werden
Da der Neckar zur damaligen Zeit nur bis Cannstatt schiffbar war, bedurfte es beträchtlicher Anstrengungen, um die Schiffe bis Heilbronn zu befördern. Am Wehr von Berg (heute Stuttgart-Berg) musste der Neckar mit einem Kiesdamm aufgestaut und dieser anschließend stufenweise wieder abgegraben werden.
Esslinger Dampfschiffe
Am 15.Oktober 1851 beschloss die Hauptversammlung der Neckar-Dampfschifffahrts-Gesellschaft, bei der Maschinenfabrik Esslingen zwei Dampfschiffe zu erwerben. Die beiden Schiffe, die „Stadt Heilbronn“ und die „Stadt Heidelberg“ wurden im Winter 1851/52 in der Eisenbahnwagenbau-Werkstatt der Maschinenfabrik Esslingen zusammengefügt und auf einem Holzschlitten zum Ufer geschoben und vom Stapel gelassen.