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Haus der Geschichte

Sonderausstellung „Frei Schwimmen – Gemeinsam?!“ im Haus der Geschichte

Baden und Schwimmen haben im Südwesten eine lange Tradition. Doch das Schwimmen für alle war keine Selbstverständlichkeit. Und bis heute gibt es Diskussionen darüber, unter welchen Bedingungen man zusammen oder getrennt baden kann, wie eine Ausstellung im Haus der Geschichte in Stuttgart zeigt.

Das Haus der Geschichte zeigt in einer Sonderausstellung auch die Original-Dusche aus dem Bad in Stuttgart-Heslach aus dem Jahr 1929.

Achim Zweygarth)

Stuttgart. Ein Gedicht von Eduard Mörike aus dem Jahr 1837 beschreibt die Liebe zum Schwimmen; eine Radierung des Straßburger Malers Johannes Hans zeigt Nacktbadende am Ulmer Donauufer um 1803, als die damals bayerischen Behörden gerade erst ein Badeverbot für die Flüsse Blau und Donau verhängten. Ein roter Schwimmflügel aus dem Mannheimer Herschelbad stammt aus dem Jahr 1935, eine rote Badehose mit der Aufschrift MTV Stuttgart aus der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Mehr als 200 Gegenstände, Fotografien, Spinde, Textilien, Gemälde oder auch eine vernickelte Originaldusche aus dem Jahr 1929 erzählen Geschichten und Entwicklungen des Schwimmens. Die Dusche etwa stammt aus dem Stadtbad Stuttgart-Heslach, das zu jener Zeit das größte Schwimmbad in Deutschland war.

Doch wer durfte und darf mitschwimmen? Und wer nicht? Dieser Frage widmet sich die Große Sonderausstellung „Frei Schwimmen – Gemeinsam?!“ im Haus der Geschichte Baden-Württemberg im Erdgeschoß. „Es geht hier nicht nur ums Freibad, es geht ums Baden allgemein“, sagt Direktorin Cornelia Hecht-Zeiler.

Die Ausstellung will vor allem informieren und thematisieren. „Wir werden hier sicherlich keine abschließenden Antworten geben, aber wir wollen zum Nachdenken anregen, denn frei Schwimmen ist keine Selbstverständlichkeit“, ergänzt die Direktorin. Im Jahr 1851 etwa wurde in Tübingen ein Freibad ausschließlich für Männer errichtet; die Schriftstellerin Isolde Kurz forderte in den 1870er-Jahren die Öffnung des Bades auch für Frauen – doch dies sollte erst ein paar Jahrzehnte später möglich sein.

Im Becken spiegelt sich auch die Gesellschaft: Unterschiedlichste Menschen mit verschiedenen Lebensstilen und Moralvorstellungen begegnen sich in öffentlichen Bädern – mal mehr und mal weniger harmonisch. „Es geht hier auch um Gleichberechtigung und Demokratie, aber auch um Sexismus und Rassismus, Ausgrenzung und Vorurteile“, sagt Hecht-Zeiler.

Schließlich werde der weibliche Körper besonders in der Werbung immer wieder sexualisiert dargestellt. So auch auf einem Plakat der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) aus dem Jahr 1980, das mit sogenannten Badenixen Männer dazu animieren sollte, schwimmen zu lernen. Und sie thematisiert auch sexuelle Gewalt und Übergriffe etwa durch heimliches Fotografieren bis hin zu tatsächlich vorkommenden Vergewaltigungen in Bädern.

„Einst wurden Bäder für Fürsten und Arme gebaut. Volksbäder sollten für alle zugänglich sein, allerdings lange streng getrennt nach Geschlechtern oder in der NS-Zeit unter Ausschluss der jüdischen Bevölkerung und anderer ,Unerwünschter‘. Und selbst in der Demokratie wollten und wollen nicht alle gemeinsam ins Wasser steigen“, betont Kurator Sebastian Dörfler.

Streit zwischen muslimischen Elsässerinnen und Einheimischen

Vor rund zehn Jahren etwa geriet das Freiburger Lorettobad in die Schlagzeilen. Das Bad im Stadtteil Wiehre ist das älteste Familienfreibad Deutschlands. Bei seiner Eröffnung 1841 war es das erste Schwimmbad der Stadt. Es ist aber auch das einzige Schwimmbad in Deutschland, das noch ein separates Damenbad hat. Vor einem Jahrzehnt etwa kamen plötzlich muslimische Frauen mit Schleier ins Bad, nicht aber, um dort zu schwimmen, sondern um zu grillen. Das wiederum erzürnte die einheimischen Frauen, es kam zum Streit. Seither gibt es dort auch männliche Bademeister, falls es wieder mal zum Streit kommen sollte.

Im gleichen Zeitraum sorgte ein anderer Freibad-Fall für Schlagzeilen: der Burkini-Streit in Konstanz. Eine türkischstämmige Frau wollte dort nach streng muslimischen Regeln nur mit Burkini baden, was man ihr zunächst verwehrte, bis der Konstanzer Gemeinderat daraufhin mit großer Mehrheit eine neue Badeordnung beschloss, die den muslimischen Frauen das Schwimmen im Ganzkörperanzug erlaubt. Die junge Frau erhielt damals Drohanrufe von Neonazis gegen sie und ihre Familie, als sie öffentlich mit einer Klage gegen die Stadt gedroht hatte.

Die Ausstellung macht in einer atmosphärischen Inszenierung deutlich, was bis heute jedes Schwimmbad über seine Zeit, die Menschen und ihre Gesellschaft verrät. Sie zeigt Beispiele spektakulärer oder verlassener Bäder, zu sehen sind unter anderem prunkvolle Stücke aus dem Fürstenbad „Bad Wildbad“, Instrumente der „Körperoptimierung“ aus den Volksbädern Mannheim und Stuttgart-Heslach, die Tür des für Männer streng verbotenen Damenbads im Lorettobad Freiburg und eben den Burkini der Konstanzer Muslima.

Bud Spencer und ein Knigge für den Strand in der Textil-Zeitung

Und sie erzählt spannende Geschichten e twa von der aus Bissingen bei Esslingen stammenden Trudy Ederle, die als erste Frau den Ärmelkanal durchschwamm. Oder von Carlo Pedersoli, der als Schwimmer eine große, als prügelnder Schauspieler eine noch größere Nummer war und nach dessen Filmnamen Bud Spencer auch das Bad in Schwäbisch Gmünd benannt ist, in dem er einst geschwommen hatte.

Die bis zum 14. September zu sehende Sch au thematisiert aber auch Regeln und Kleiderverordnungen, aus dem Jahr 1932 stammt ein Titelblatt der damaligen Berliner „Textil-Zeitung“, die mit einem aktuellen „Knigge für den Strand“ darüber informiert, dass unter anderem für Frauen das Tragen von Büstenhaltern unterm Badeanzug nicht erlaubt war.

Heutzutage wird ganz anders diskutiert, manche Frauen wünschen sich, dass sie „oben ohne“ in öffentlichen Bädern schwimmen dürfen, andere wollen sich wie in Konstanz geschehen maximal verhüllen. Besucher sind deshalb dazu eingeladen, ihre eigenen Gedanken aufzuschreiben und auf ein großes Wandbild zu pinnen, ob man überhaupt noch gemeinsam und frei schwimmen will oder nicht. Diese Fragen werden auch im Begleitprogramm diskutiert. Es startet mit einem Podiumsgespräch „Spannungsfeld Stoff: Wie darf frau baden?“ am 16. Januar. Weniger ernst geht es bei den Poetry und Impro-Slams zu – unter dem Motto „Wenn Fakten baden gehen“ im Haus der Geschichte und beim „Poetry Dive“ an einem ungewöhnlichen Ort, dem zur Schulmensa umfunktionierten ehemaligen Ludwigsburger Stadtbad. Zum weiteren Programm zählen außerdem es u nterschiedliche Führungen und ein großes Stuttgarter Museumsquiz sowie Sommer-Partys.

Ein Interview mit Direktorin Cornelia Hecht-Zeiler finden Sie hier: In der Ausstellung „Frei Schwimmen“ geht es auch um Toleranz und Respekt | Staatsanzeiger BW

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