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Das Osteotom: Die bahnbrechende Erfindung des Schwarzwälder Mechanikers Bernhard Heine
Schramberg. Die Feuerprobe findet in Warschau statt. Im Zuge des Novemberaufstands 1830/31 kommt es zu heftigen Gefechten zwischen der polnischen Unabhängigkeitsbewegung und dem zaristischen Russland. Um die zahlreichen Verletzten kümmert sich auch der Deutsch-Schweizer Hermann Askan Demme. Kurz zuvor hat der Militärarzt über Kontakte ein neues Operationsgerät in die Hände bekommen: das Osteotom. Sein Einsatz ermöglicht sanftere und zugleich präzisere Schnitte.
Entwickelt wurde die Knochensäge, die sich in Warschau auf breiter Basis bewährt, von dem Mechaniker Bernhard Heine. Geboren 1800 in Schramberg im Landkreis Rottweil, stieg der Sohn eines Weißgerbers bis zum Professor an der Universität Würzburg auf. Möglich gemacht hat diese Karriere der Onkel Johann Georg Heine (1771-1838). Er gilt als Begründer der Orthopädiemechanik.
In Würzburg begann Heine seine Lehre im Karolinen-Institut
Noch im Kindesalter verlässt Bernhard Heine seine Schwarzwaldheimat, um in Würzburg eine Lehre zu beginnen. Johann Georg Heine betreibt dort das Karolinen-Institut. Die orthopädische Heilanstalt ist die erste ihrer Art in Deutschland und weit über die Tore der fränkischen Barockstadt hinaus berühmt.
Unter den Fittichen des Oheims schult sich der junge Bernhard in der Anfertigung von Bandagen, Stützen und Prothesen. Doch bald sucht der ehrgeizige Exil-Württemberger nach neuen Herausforderungen jenseits des reinen Handwerks. Durch Vermittlung des Onkels kann er als Gasthörer medizinische Lehrveranstaltungen an der Würzburger Universität besuchen.
Besonderes Interesse zeigt Bernhard Heine für die Chirurgie. Dabei erfährt er, welch große Belastung Eingriffe aller Art für die Erkrankten bedeuten. Gerade in der Knochenchirurgie, wo man damals oft zu Hammer und Meißel greift. Anästhesie findet, wenn überhaupt, nur mit Schnaps oder Opium statt. Ansonsten bestand die einzige Schmerzreduktion darin, so rasch wie möglich zu arbeiten.
Eines Tages stellt sich Heine die entscheidende Frage: „Warum behandelt man denn die Knochen nicht mit dem Messer, wie die weichen Theile?“ Dem Instrumentenbauer schwebt eine Säge vor, die auch senkrecht angesetzt werden kann und sich vom Operateur nach dem Vorbild eines Skalpells führen lässt.
Heine baut eine bewegliche Sägekette, die, von einer Handkurbel getrieben, um ein messerartiges Blatt läuft. Im Sommer 1830 demonstriert er sein Osteotom vor der medizinischen Fakultät.
Erste Operationen mit dem filigranen Knochentrenner fanden schon in Würzburg statt. Dass man in ganz Europa auf Heines Innovation aufmerksam wurde, dürfte jedoch mit dem Einsatz in den Warschauer Lazaretten zusammenhängen. Die Knochenfräse hat sich im Feld bewährt. Fortan nutzt man sie bei der Amputation von Gliedmaßen ebenso wie beim Öffnen des Kiefers oder gar der Schädeldecke. Die rotierende Kette ist schneller als herkömmliche Werkzeuge, was den Patientenschmerz verringert. Die glatteren Schnittflächen wiederum beschleunigen die Heilung.
Bald wird der Tüftler aus Schramberg zu einem international gefragten Wissenschaftler. Zar Nikolaus lädt ihn nach Petersburg ein, um russische Ärzte in der Verwendung des Osteotoms zu schulen. Zurück in Deutschland ernennt der bayrische König Ludwig I. Heine zum „Professor honorarius für Orthopädie und die Operationslehre mit dem von ihm erfundenen Osteotome“.
Dabei hat der Geehrte niemals ein Studium ordnungsgemäß abgeschlossen oder eine Dissertation eingereicht. Trotzdem gelingt Heine noch eine weitere bahnbrechende Entdeckung. 1836 weist er nämlich die zentrale Rolle der Knochenhaut bei der Heilung von Frakturen nach. Leider hinderte ihn sein früher Tod 1846 daran, diese Erkenntnisse weiter zu verfolgen.
Mit dem Osteotom hat er nicht nur die Medizin revolutioniert
Mit seinem Osteotom indes hat Heine nicht nur die Medizin revolutioniert. Denn das mechanische Prinzip nimmt ein Werkzeug vorweg, das um 1900 vor allem in der Holzindustrie Einzug hält: die Kettensäge. Auch sie basiert auf einer mit Hobelzähnen versehenen Kette, die kontinuierlich um ein Schwertblatt läuft.
Als Väter des motorisierten Baumfällens gelten zwar die Amerikaner, doch auch der deutsche Südwesten klinkt sich noch einmal in dieses Kapitel der Technikgeschichte ein: Im Jahr 1926 konstruiert nämlich der in Stuttgart ansässige Ingenieur Andreas Stihl seine erste elektrisch betriebene Kettensäge.
Die Familie und Medizinerdynastie Heine
Neben dem Erfinder des Osteotoms und seinem Onkel hat die Schramberger Familie Heine noch weitere Persönlichkeiten der Medizingeschichte hervorgebracht. Bernhard Heines Vetter Joseph etwa (1803-1877). Mit seinen Erfahrungen aus der Praxis unterstützte er die Konzeption der Knochensäge. Ein weiterer Vetter, Jakob Heine, trat durch eine Studie zur Kinderlähmung hervor und eröffnete in Cannstatt die erste orthopädische Klinik Württembergs.