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Leiter des Generallandesarchivs Karlsruhe: Archive sind Anwalt und Sachwalter gegen das Vergessen

Prof. Dr. Wolfgang Zimmermann hat 15 Jahre lang das Generallandesarchiv geleitet. Zum 1. April geht er nun in den Ruhestand.
ARTIS - Uli Deck)Staatsanzeiger: Die Beschäftigung mit dem Thema Rechtsextremismus war ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit. Wiederholt sich Geschichte?
Wolfgang Zimmermann:
Ich glaube, Geschichte wiederholt sich nicht. Ich bin kein Anhänger eines zyklischen Weltbilds, wo sich Dinge wiederholen. Wir sind heute andere Menschen als damals, wir leben mit anderen Erfahrungen und verhalten uns anders. Aber es gibt Konstellationen von Macht, Herrschaftsansprüchen und politischen Ordnungsvorstellungen, die Parallelen in der Geschichte haben.
Wie kann man dem begegnen?
Wir müssen selber Antworten finden aus der historischen Erfahrung. Geschichte kann uns dabei sensibilisieren mit unseren Fragen, was lief damals gut, was lief schlecht.
Hätten Sie gedacht, dass wir uns wieder für Demokratie einsetzen müssen?
Ja, das ist die bittere Lektion, die wir die letzten Jahre erfahren und lernen mussten. Es gibt keine Selbstverständlichkeiten mehr, auf die wir uns verlassen können.
Waren wir in dieser Hinsicht einfach nur zu selbstsicher?
Wir haben uns vielleicht zu bequem eingerichtet auf vielen Ebenen, etwa beim Engagement für die Demokratie, aber auch was das Zusammenleben von Völkern und Nachbarn betrifft. Krieg und Frieden sind keine Naturgesetze, sondern Entscheidungen von Menschen. Wir dürfen uns nicht ausruhen und müssen die Dinge, die uns wichtig sind, verteidigen.
Die Bildungsarbeit des Generallandesarchivs hat sich in den vergangenen Jahren sichtlich verändert…
Ja, die letzten zehn Jahre haben wir die bisherige historische Bildungsarbeit zu einer historisch-politischen Bildungsarbeit weiterentwickelt, über die sich Bezüge zu Themen der Gegenwart herstellen lassen.
Vor fünf Jahren wurde die Dokumentationsstelle Rechtsextremismus (DokRex) im Archiv gegründet.
Die DokRex war das Ergebnis des zweiten Untersuchungsausschusses im Landtag von Baden-Württemberg zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und der Aufarbeitung des Terroranschlags auf zwei Polizeibeamten in Heilbronn. Im Abschlussbericht wurden Handlungsempfehlungen gegeben, die unter anderem den Aufbau einer Stelle vorsahen, die das Thema Rechtsextremismus untersucht und eine Dokumentation zum Thema aufbaut.
Was ist konkret das Ziel?
Es geht um Dokumentieren, Analysieren und Sensibilisieren. Wir mussten nicht bei Null anfangen, weil wir die Materialsammlung des Journalisten Anton Maegerle erhalten haben, der in beiden NSU-Ausschüssen als Gutachter tätig war. Wir haben damit eine umfassende Sammlung an rechtsextremen Zeitschriften und eine Datenbank mit mehr als zwei Millionen Einträgen als Grundausstattung bekommen. Wir verfügen somit über einen reichhaltigen Fundus an Wissen über Rechtsextremismus in all seinen Facetten. Dies ist die Grundlage für die Analyse aktueller Entwicklungen und historischer Begebenheiten.
Warum nimmt die Unterstützung für Rechtspopulismus zu?
Als rechtsextremistisch eingestuft zu werden, wird heute halt nicht mehr als Stigma empfunden. Es wird sogar eher damit kokettiert, da hat sich die gesellschaftliche Situation im Vergleich zu früher geändert.
Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die Arbeit des Landesarchivs?
Das Landesarchiv ist das historische Gedächtnis von Baden und Württemberg. Außerdem sind wir ein fester Bestandteil einer freiheitlichen Demokratie, da Archive für die Transparenz unseres Gemeinwesens stehen. Wir beteiligen uns am Diskurs über unsere Vergangenheit. Dabei erleben wir in der letzten Zeit, dass die Interpretation von Geschichte wieder Teil politischer und gesellschaftlicher Deutungskämpfe geworden ist. Die Archive sind Anwalt und Sachwalter zugleich gegen das Vergessen.
Was waren Ihre persönlichen Highlights in Ihrer Leitungszeit?
Es gibt sicherlich Vieles, was in Erinnerung bleiben wird. Ich denke da zum Beispiel an die Ausstellung im Jahr 2014 „Menschen im Krieg 1914 – 1918 am Oberrhein“. Das Landesarchiv und die Archives Départementales du Haut-Rhin präsentierten damals die erste deutsch-französische Gemeinschaftsausstellung zum Ersten Weltkrieg am Oberrhein. Das war ein sehr großer Schritt mit den französischen Kollegen, und die Zusammenarbeit geht heute weiter. Da haben sich langfristige Perspektiven und Formen der Kooperation ergeben. Und ich denke auch aktuell an das internationale Ausstellungsprojekt „Fließende Räume. Karten des Donauraums 1650 – 1800“.
Was hat denn der Donauraum mit Baden und dem Archiv zu tun?
In der Tat denkt man bei Karlsruhe zunächst erst an den Rhein und nicht an die Donau. Aber Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (1655 – 1707) machte als „Türkenlouis“ in den Kriegen gegen das Osmanische Reich Karriere. Von ihm stammt ein Großteil der Karten des Generallandesarchivs. Mit der Ausstellung bringen wir die umfangreichen Karlsruher Kartenbestände in die Regionen, in denen sie vor rund 300 Jahren entstanden sind.
Die Ausstellung hat aber auch eine kulturpolitische Botschaft?
Ja: Europa endet nicht in Wien, auch wenn der „Eiserne Vorhang“ nach 1945 diese scharfe Grenze gezogen hat, sondern am Schwarzen Meer in Odessa. Der Donauraum ist eine europäische Großregion, die erst im 18. Jahrhundert „geschaffen“ wurde und die erst durch den Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine verstärkt von uns wahrgenommen wird.
Wie wird es bei Ihnen weitergehen? Wollen Sie reisen oder schreiben oder auch Vorträge halten?
Erstmal wird es einen Schnitt geben und meine Frau und ich haben Enkelkinder und sind auch Italien-Liebhaber. Aber ganz weg von Forschung und Wissenschaft werde ich nicht sein, das kann man als Historiker und Archivar auch gar nicht. Ich bin ja außerdem weiterhin stellvertretender Vorsitzender der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Im Rahmen der Namibia-Initiative des Landes Baden-Württemberg koordiniere ich den Austausch zwischen dem Nationalarchiv in Windhoek und dem Landesarchiv Baden-Württemberg. Dieses Projekt werde ich in den nächsten zwei Jahren weiterhin begleiten.
Das Gespräch führte Ralf Schick.
Zur Person
Wolfgang Zimmermann war 15 Jahre lang Leiter des Generallandesarchivs in Karlsruhe. Er hat Geschichtswissenschaften, Katholische Theologie und Klassische Philologie in Tübingen studiert und 1993 promoviert. Seit 1993 war er bei bei der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg tätig, ab 2006 im Landesarchiv Baden-Württemberg in Stuttgart. Er ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Kommissionen und Gremien, unter anderem als stellvertretender Vorsitzender der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Im Rahmen der Namibia-Initiative des Landes Baden-Württemberg koordiniert er den Austausch zwischen dem Nationalarchiv in Windhoek und dem Landesarchiv Baden-Württemberg.
