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Als Daimler Benzinmotoren auf dem Neckar erprobte
Stuttgart/Esslingen. Als Emil Kessler, der Gründer der Esslinger Lokomotivfabrik und unter anderem Mitglied des Aufsichtsrats der Maschinenfabrik des „Bruderhauses Reutlingen“, einer wohltätigen Einrichtung, im Sommer 1865 bei Gottlieb Daimler anfragte, ob er bereit wäre, die technische Leitung der Reutlinger Maschinenfabrik zu übernehmen, sagte dieser sofort zu.
Daimler richtete die Fabrik vor allem auf den Bau von Brückenwaagen aus und brachte sie damit in die Gewinnzone. 1869 verließ Daimler Reutlingen, um drei Jahre lang als Werkstattvorstand bei der Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe zu wirken, ursprünglich ebenfalls eine Gründung von Emil Kessler.
Nach zehnjähriger Tätigkeit in der Gasmotorenfabrik Deutz in Köln zog Gottlieb Daimler 1882 nach Cannstatt (seit 1933 Bad Cannstatt), heute ein Stadtteil von Stuttgart, und erwarb ein Wohnhaus in der Taubenheimstraße für 75 000 Mark. Finanziell war er gut gestellt. Als Direktor bei Deutz hatte er üppig verdient, neben seinem Gehalt war er mit einer Gewinnbeteiligung versorgt worden.
Daimler bot Maybach ein attraktives Gehalt in Cannstatt
Als Abfindung bekam Daimler von der Gasmotorenfabrik Aktien im Wert von nominal 112 000 Mark, die allein im Geschäftsjahr 1882/83 eine Dividende von 96 Prozent des Nennwerts abwarfen. Seinem Mitarbeiter Wilhelm Maybach, den er in Reutlingen kennengelernt hatte und der später sein engster Mitarbeiter war, machte er den Umzug nach Cannstatt mit dem Angebot eines attraktiven Jahresgehalts schmackhaft.
In einem zum neu erworbenen Wohnhaus gehörenden Gewächshaus begannen Daimler und Maybach mit dem Bau einzylindrischer Benzinmotoren. Bis 1887 bezogen sie die meisten Einzelteile dieser Aggregate von den Cannstatter Werkstätten der Maschinenfabrik Esslingen.
Das erste mit einem Benzinmotor ausgestattete Fahrzeug war ein Motorrad. Im August 1886 erwarb Daimler dann eine sechs Zentner schwere offene Pferdekutsche bei einem Stuttgarter Händler und ließ von der Maschinenfabrik Esslingen seinen Benzinmotor einbauen. Die ersten Probefahrten fanden auf dem Cannstatter Fabrikhof der Maschinenfabrik statt.
Am 5. November 1886 erschien in der Cannstatter Zeitung ein Bericht: „In letzter Zeit hat ein auf dem Neckar fahrendes, von etwa acht Personen besetztes Boot, das sich, wie von unsichtbarer Kraft getrieben, mit großer Geschwindigkeit stromauf- und abwärts den Weg durch die Fluten bahnt, bei den Vorübergehenden nicht geringes Aufsehen erregt. Das Schiffchen mit eigenartigem Triebwerk ist von dem Ingenieur Daimler erbaut“.
Das erste Motorrad Daimlers und sein Motorwagen hatte die Bevölkerung nicht ernst genommen. Anfragen bei der Polizei, ob Probefahrten auf Cannstatts Straßen erlaubt wären, wurden abschlägig beschieden. Carl Benz wiederum hatte in Mannheim mit weniger Widerständen zu kämpfen. Er machte schon 1892 viel Werbung für sein Dreirad und ab 1894 für vierrädrige Fahrzeuge mit Benzinmotoren, in denen bis zu sechs Personen Platz fanden.
In Cannstatt ließ Daimler angesichts der geradezu feindseligen Einstellung von Bevölkerung und Obrigkeit gegenüber seiner Erfindung vorerst Motorrad und Kutschwagen in der Garage an der Taubenheimstraße stehen und beschloss, die Menschen durch ein Flussboot an die Benzinmotoren zu gewöhnen.
Drei unterschiedlich große Boote mit den Namen „Neckar“, „Rems“ und „Schwaben“ rüstete er im Sommer 1886 mit dem kleinen und leistungsfähigen Einzylindermotor aus. Der Motor, an dem Daimler und Maybach seit 1882 in Cannstatt arbeiten, und der 1885 im zweirädrigen Reitwagen sein Debüt erlebt hatte, bewährt sich auch als Bootsantrieb.
Im Jahr 1888 begann schließlich die Serienfertigung von Motorbooten bei Daimler. Dazu errichtet das junge Unternehmen eine eigene Werft in Cannstatt. Die Rümpfe bezog Daimler zunächst von der Bootswerft Karl Seibert in Neckarrems und von der kleinen Neckarwert von Julius Anderssen in Neckarsulm.
Ein Motorboot für die Familie des Reichskanzlers Bismarck
Daimler montiert in Cannstatt Motoren und Antriebsanlage. Aus dieser Produktion geht auch das 1888 gebaute Motorboot „Marie“ der Familie des Reichskanzlers Bismarck hervor. Das Boot war reich verziert und erreicht mit ihrem 1,5 PS starken Motor eine Geschwindigkeit von 11 Kilometern pro Stunde. Sie ist heute im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart zu sehen. 1894 hatte Daimler bereits mehr als 100 benzinbetriebene Boote verkauft.
Aus Furcht vor Ängsten der Bevölkerung bei den Probefahrten auf dem Neckar hatte Daimler vorgesorgt. Nach ersten Beschwerden über seine „gefährlichen und jede vergnügliche Schifffahrt unmöglich machenden Kähne“, veränderte er das Äußere seiner Boote: Um den Bootsrand herum spannte er Drähte mit Porzellanisolatoren, so dass der Eindruck entstehen konnte, der Antrieb sei elektrisch.
In den 1880er Jahren hatte in den Städten die Elektrizität Einzug gehalten. Überall entstanden Kraftwerke. Die Generatoren wurden anfangs mit Wasserkraft, dann mit Dampfmaschinen angetrieben. An Glühlampen und Elektromotoren gewöhnten sich die Verbraucher, vor dem explosiven Benzin-Luftgemisch als Treibstoff hatten viele Angst. Gottlieb Daimler und Carl Benz mussten noch viel Überzeugungsarbeit leisten.
Pietismus als Triebfeder
Der schwäbische Pietismus war eine wesentliche Triebfeder württembergischer Unternehmensgründer, von denen viele eng miteinander vernetzt waren. Dazu zählen die Autopioniere Gottlieb Daimler und Carl Benz oder Emil Kessler, der Gründer der Esslinger Lokomotivfabrik. In Reutlingen lernte Daimler auch seinen späteren engsten Mitarbeiter Wilhelm Maybach kennen, der als Waise in das dortige Bruderhaus eingezogen und dort seine Lehrzeit begann.