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Verstöße von Mitgliedsstaaten: Wie gut kann die EU dagegen vorgehen?
LUDWIGSBURG. Die Europäische Union entwickelte sich von einer Wirtschaftsgemeinschaft hin zur Werteunion. Über Jahre hinweg wuchs die EU immer weiter an und wird immer mehr zu einer stärker werdenden Gemeinschaft. In einigen Mitgliedstaaten zeichnen sich allerdings entgegengesetzte Entwicklungen ab. So ist unter anderem die Republik Polen häufig in den Medien wegen kontinuierlicher Verstöße gegen das Unionsrecht sowie die Werte der EU. Bisher konnte die EU kaum wirksam gegen dieses Verhalten vorgehen und teilweise wurde ihr mangelnde Souveränität sowie Machtlosigkeit vorgeworfen.
Die Entwicklungen in Polen haben gezeigt, dass die EU sich nicht nur nach außen, gegenüber Drittstaaten, sondern auch gegenüber ihren eigenen Mitgliedstaaten behaupten können muss. In der Bachelorarbeit wird am Beispiel der Rechtsstaatlichkeit in Polen das Instrumentarium der EU zur Durchsetzung ihrer Werte gegenüber den Mitgliedstaaten untersucht.
Wie die EU ihre Werte durchsetzen kann
In den vergangenen Jahren sah sich die Europäische Kommission in einigen EU-Ländern mit Krisensituationen konfrontiert, die systemische Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit erkennen lassen. Die Kommission nutzte dann den „Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“. Dieser basiert auf einem strukturierten Dialog, bevor die Kommission die Mechanismen nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) anwenden muss. Dementsprechend ist die EU auf ein kooperatives Verhalten des betroffenen Mitgliedstaates angewiesen. Wenn dann immer noch keine Besserung ersichtlich ist, sollte auf den genannten Dialog verzichtet werden, um wirkungsvollere Verfahren nicht hinauszuzögern.
Die Art. 258 – 260 AEUV regeln das Vertragsverletzungsverfahren. Es besteht aus einem zweistufigen Vorverfahren und der Klageerhebung vor dem EuGH. Ergeht ein richterliches Urteil und dieses wird nicht umgesetzt, kann der EuGH außerdem ein Zwangsgeld oder Pauschalgeld verhängen. Auch beim Vertragsverletzungsverfahren ist die EU auf die Kooperation des Mitgliedstaates und dessen Umsetzung des Urteils angewiesen. Im Fall von systemischen Verletzungen gelangen die Urteile in Vertragsverletzungsverfahren dabei häufig an die Grenzen ihrer Wirksamkeit.
Einstimmigkeit im Rat als Hürde
Zum Schutz der in Art. 2 EUV aufgeführten Werte regelt Art. 7 EUV ein dreistufiges Sanktionsverfahren. Die zweite Stufe, welche eine schwerwiegende und anhaltende Werteverletzung feststellt, erfordert die Einstimmigkeit im Europäischen Rat. Das Verfahren nach Art. 7 EUV wurde bereits Ende 2017 gegen Polen eingeleitet. Bis jetzt gibt es keine Entscheidung. Ein hohes Maß an Unbestimmtheit auf der Tatbestandsebene und Ermessen auf der Rechtsfolgenseite riskieren eine Bewertung anhand von politischen Motiven, anstatt der vorliegenden faktischen Situation. Die hohe Anforderung der Einstimmigkeit im Europäischen Rat wird hauptsächlich diskutiert. Damit die Verfahren effizient ablaufen, scheinen Verfahrensänderungen, beziehungsweise -anpassungen unausweichlich.
Der neu entwickelte Konditionalitätsmechanismus stellt kein Sanktionsverfahren dar, sondern eine Verwaltungsmaßnahme zum Schutz des Unionshaushalts. Liegt ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit vor und weist dieser einen Zusammenhang zu einer wirtschaftlichen Haushaltsführung auf, kann der Zugang zu europäischen Geldern begrenzt werden. Das Zurückhalten von Geldern konnte im Fall von Polen erste Erfolge erzielen. Allerdings tangiert dieser Mechanismus den Grundsatz der Staatengleichheit, welcher auch in Art. 2 EUV genannt ist. Ärmere Mitgliedstaten können durch diesen Mechanismus grundsätzlich stärker unter Druck gesetzt werden als reichere Mitgliedstaaten. Dies darf nicht zu einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses innerhalb der EU zugunsten der reicheren Mitgliedstaaten führen.
Abschließend ist festzuhalten, dass ein weiterer konsequenter Einsatz der vorhandenen Maßnahmen erforderlich bleibt. Die Arbeit kommt zur Auffassung, dass der Fokus auf der Verbesserung des Verfahrens nach Art. 7 EUV liegen sollte. Dieses Verfahren wurde dafür geschaffen, die Werte der EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten zu schützen. Daher sollte es trotz vorhandener Schwächen eingesetzt und zusätzlich weiterentwickelt werden. Mögliche Verbesserungsvorschläge werden in der Arbeit diskutiert.
Jessica Wester kommt aus dem Rems-Murr-Kreis und hat im Februar 2023 ihren Bachelor im Studiengang Public Management an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg abgeschlossen.
„Das Thema EU hat mich persönlich schon immer sehr interessiert und somit fand ich auch die Vorlesung Europarecht im Grundlagenstudium sehr spannend“, sagt sie. „Ich sehe die EU aus vielfältigen Gründen in einem sehr positiven Licht. Unter anderem konnte ich in meinem Privatleben schon häufig von den Erleichterungen durch die EU profitieren, vor allem im Hinblick auf Reisen, Auslandspraktika etc. Allerdings hatte ich das Gefühl, dass in den Medien tendenziell eher die negativen Aspekte der EU hervorgehoben werden. Vor allem hinsichtlich der Rechts- und Werteverstöße durch Polen und Ungarn wurden Vorwürfe gegen die EU laut. Auch fand ich mich oft in der Diskussion wieder, ob der Ausschluss eines Mitgliedstaates zielführend sei, wenn dieser sich nicht an die gemeinsamen Werte hält.“
Daher wollte sie sich tiefgründiger mit dieser Thematik befassen und es war ihr wichtig, eine fundierte Meinung zu bilden. „Dies habe ich zum Anlass genommen meine Bachelorarbeit darüber zu schreiben.“
E-Mail-Adresse bei Rückfragen: JessicaWester@hotmail.de