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Bachelorarbeiten aus den Verwaltungshochschulen

Störung von Versammlungen: Ist die Vorgehensweise von NRW rechtens?

Alle Versammlungen unterliegen einem Störungsverbot. Nordrhein-Westfalen hat den Begriff der Störung auf jegliche Behinderung ausgeweitet. Ist das rechtens? Diese Frage erforschte Matthias Oesterle in seiner Bachelorarbeit.

NRW hat den Begriff der Störung einer Versammlung ausgedehnt - das stieß auf Kritik.

LUDWIGSBURG. Alle Versammlungsgesetze in der Bundesrepublik enthalten in Ausgestaltung der staatlichen Schutzpflicht für die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz) ein Störungsverbot. Das Störungsverbot schützt die innere Ordnung, beziehungsweise die „funktionale Integrität“ der Versammlung.

Doch welche Verhaltensweisen in oder gegen Versammlungen sind überhaupt als Störungen einzuordnen? Sind Störer von der Versammlungsfreiheit geschützt? Unter welchen Voraussetzungen darf oder muss die öffentliche Verwaltung gegen sie einschreiten? Und welche Eingriffsbefugnisse benötigt die Exekutive, um handlungsfähig gegenüber Störern zu sein?

Diese Fragen drängen sich angesichts des im Januar 2022 neu erlassenen Versammlungsgesetzes von Nordrhein-Westfalen (VersG NRW) auf. Darin bricht der Gesetzgeber mit einer bundesweit einheitlichen Rechtslage zum Störungsverbot und weitet den Begriff der Störung deutlich auf jegliche „Behinderung“ von Versammlungen aus. Ein Schritt, der teils heftige Kontroversen auslöste.

Forschungsfrage: Recht- und Zweckmäßigkeit des neuen Störungsverbots in NRW

Zentrale Forschungsfrage der Bachelorarbeit ist, inwiefern die bundesweiten Alleinstellungsmerkmale beim Störungsverbot im Versammlungsgesetz NRW recht- und zweckmäßig sind. Berücksichtigt werden dabei sowohl die Interessen der Grundrechtsträger als auch jene der Exekutive. Schwerpunkte der Untersuchung sind der allgemeine Verbotstatbestand, das Verbot von Blockadetrainings und der Ausschluss von Störern durch die Versammlungsleitung.

Die Ergebnisse der Expertenanhörung im Gesetzgebungsverfahren zum Versammlungsgesetz NRW fanden besondere Berücksichtigung.

Versammlungen dürfen behindert werden

Im Ergebnis ist hervorzuheben, dass der diskursive Charakter der Versammlungsfreiheit, welcher nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Teil des Wesensgehalts des Grundrechts einzuordnen ist, zwingend Auslegungsregel und Grenze des Störungsverbots sein muss. Die Weiterentwicklung einer Demokratie beruht auf freier Rede und Gegenrede. Das muss auch in und an Versammlungen gewährleistet werden. Dabei darf Gegenrede in Form einer Gegendemonstration nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich sogar Behinderungen entfalten.

Vor diesem Hintergrund zieht die Bachelorarbeit die Rechtmäßigkeit des Störungsverbots in § 7 I VersG NRW in Zweifel, da die Norm jede Art von kommunikativem Gegenprotest verbietet, sofern dieser auf Behinderung abzielt.

Verbot von Blockadetrainings wird als rechtmäßig eingeordnet

Grenze der Behinderung von Versammlungen ist allerdings die Unterminierung ihres diskursiven Charakters. Wer mit seiner Störung bezweckt, dass eine Versammlung nicht mehr gleichberechtigt am freien Diskurs teilhaben kann, würde die Versammlungsfreiheit gegen sich selbst missbrauchen und kann ich daher nicht auf das Grundrecht berufen. Vor diesem Hintergrund setzt die Arbeit sich ausführlich mit Sitzblockaden von Gegendemonstranten auseinander. Es wird zwischen symbolischen Blockaden und selbsthilfeähnlichen Verhinderungsblockaden differenziert. Darauf aufbauend werden Blockadetrainings (verfassungs)rechtlich beurteilt und insbesondere die unvereinbaren Rechtsauffassungen des OVG Nordrhein-Westfalen und des Niedersächsischen OVG zu zwei behördlichen Verbotsverfügungen einander gegenübergestellt. Dabei erscheint die Ansicht des Niedersächsischen OVG, das Blockadetrainings als selbsthilfeähnliche Verhinderungsakte einordnet, deutlich überzeugender. Vor diesem Hintergrund sowie einer ausführlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt die Arbeit zu dem Schluss, dass das Verbot von Blockadetrainings aus § 7 II Nr. 2 VersG NRW rechtmäßig und aus verfassungsrechtlicher Sicht zu begrüßen ist.

Ausschluss von Störern durch die Versammlungsleitung nur mit Zustimmung der Polizei

Abschließend setzt die Arbeit sich mit der neu eingeführten Befugnis der Versammlungsleitung auseinander, Störer selbst aus ihrer Versammlung ausschließen zu dürfen. Als einziges Bundesland macht Nordrhein-Westfalen solche Ausschlüsse von der Zustimmung der Polizei abhängig. Das ist nach Ansicht des Autors ein bundesweites Best-Practice-Beispiel. Gemessen am Brokdorf- Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat das Recht der Versammlung, ihre innere Ordnung selbst zu bestimmen hohe Priorität. Doch aufgrund des diskursiven Charakters der Versammlungsfreiheit muss jedem Teilnehmer einer Versammlung auch das Recht auf kritische Gegenrede gewährleistet werden. Nur die Polizei als grundrechtsgebundene Institution kann sicherstellen, dass die Versammlungsleitung solche kritischen Äußerungen nicht durch Teilnehmerausschlüsse verhindert.

Matthias Oesterle, Jahrgang 1990, wohnt in Winnenden bei Stuttgart. Den Studiengang „Public Management“ schloss er im Wintersemester 2022/23 mit der Note 1,3 als Jahrgangsbester in Ludwigsburg ab. Seine Bachelorarbeit „Versammlungsrecht in Länderkompetenz – das Störungsverbot im Landesversammlungsgesetz Nordrhein-Westfalen“, welche hier im Volltext
abzurufen ist
, erhielt die Note 1,0.

Das verfolgte Erkenntnisinteresse entstand aufgrund zahlreicher gesellschaftlicher Spannungen in den vergangenen Jahren, die teilweise extremistisch durchsetzte Versammlungen nach sich zogen. Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen belasten die Versammlungsbehörden in erheblichem Umfang und verdeutlichen die Notwendigkeit eines modernen Versammlungsrechts, das einerseits die Exekutive handlungsfähig hält und andererseits die Grundrechte der Bürger zielgerichtet schützt. Dazu will die Bachelorarbeit einen Beitrag leisten.

Inzwischen arbeitet Matthias Oesterle, der auch bereits Sozialpädagoge ist und zuvor in der Jugendhilfe tätig war, beim Sozialamt der Stadt Stuttgart im Bereich „Soziale Leistungen Mitte/Nord/Ost“.


Quelle/Autor: Matthias Oesterle

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