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Wie eine schwäbische Bürgermeisterin ihre ukrainischen Wurzeln wiederfand
SCHÖNAICH. Am 8. März kam der erste Bus mit Ukrainern in Schönaich an. Inzwischen leben dort 85 Flüchtlinge. Das Besondere: Sie können mit der Bürgermeisterin in ihrer Muttersprache reden. Anna Walther (SPD) wuchs in Kiew auf, kam 2004 als Au Pair nach Deutschland. Seit 2021 steht sie an der Spitze der 11 000-Einwohner-Gemeinde im Kreis Böblingen.
Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass das weitverbreitete „Wir können nicht mehr“-Gefühl in Schönaich noch nicht angekommen ist, wie Walther berichtet. In dieser Hinsicht muss die beinahe 38-Jährige – sie feiert am Montag, wenn sich Scholz‘ Zeitenwende-Rede jährt, ihren Geburtstag – auch an sich selbst arbeiten: „Dieser Krieg darf mich als Bürgermeisterin und gebürtige Ukrainerin nicht blockieren.“
Das muss man erst einmal auf die Reihe kriegen. Denn in diesem Jahr ist eine Menge passiert – auch in Walthers Privatleben. Plötzlich wuchs die Familie um einen zwölfjährigen Halbbruder und dessen Mutter, die kaum älter ist als sie. Inzwischen haben die beiden eine eigene Bleibe gefunden.
Der ältere Bruder hat sich nach Kriegsausbruch als Freiwilliger gemeldet und war in Butscha. Eine Klassenkameradin hilft gemeinsam mit ihrem Mann, Zivilisten aus dem umkämpften Bachmut zu holen.
Mit ihr und vielen anderen steht Walther wieder in Kontakt – nach Jahren, in denen man sich auseinandergelebt hatte. „Der Krieg ist eine traurige Möglichkeit, wieder zu seinen Wurzeln zurückzufinden“, resümiert die Bürgermeisterin.
Und es ist eine Möglichkeit für ihre beiden Söhne, sich mit den Wurzeln der Mutter zu beschäftigen und eine eigene Sicht auf die Welt zu entwickeln. Dem Elfjährigen sei neulich klargeworden, dass eine Klassenkameradin, die er gut leiden kann, eine Russin sei. Er mag sie trotzdem noch, berichtet Walther. Doch er hasse Putin.