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Mit dem digitalen Zwilling seiner Kommune Bürger für Projekte begeistern
HERRENBERG. 3D-Brille auf und schon kann es losgehen: In der Cave, also einer „Höhle“ bestehend aus drei Wänden, lassen sich ganze Städte digital erkunden. Sogar mit einem Skateboard, einem Rollstuhl oder einem Fahrrad. Kommunen können Szenarien modellieren, zum Beispiel die Veränderung des Verkehrsflusses durch eine Großbaustelle oder die Feinstaubbelastung vor und nach dem Pflanzen von Bäumen. Die Varianten sind vielseitig. Solch eine Cave gibt es am Höchstleistungsrechenzentrum der Universität Stuttgart (HLRS). Herrenberg und Stuttgart haben schon einen digitalen Zwilling.
„Der digitale Zwilling ist ein Versuch, die Realität so abzubilden, wie sie ist. Das können Häuser sein, Straßen, Bäume und Städte. Man steckt quasi seine Kommune in den Computer und kann Szenarien modellieren“, erklärt Michael Resch, Direktor des Höchstleistungsrechnenzentrums (HLRS) der Universität Stuttgart. Die Vorteile liegen auf der Hand: „Man kann Dinge am Computer ausprobieren, ohne sie wirklich machen zu müssen“, so Resch. Im Hinblick auf Fehlplanungen, zum Beispiel beim Bauen, kann das Kosten sparen.
Instrument für Bürgerbeteiligung
Die Stadt Herrenberg hat schon früh die Vorteile eines digitalen Zwillings erkannt. 2016 startete sie als Modellkommune mit ihrem Projekt. „Die Möglichkeit, mit der Uni Stuttgart zusammenzuarbeiten, kam damals wie gerufen. Herrenberg hat vor allem in der Kernstadt viele Entwicklungsmaßnahmen geplant. Mit dem digitalen Zwilling wollen wir diese darstellen“, sagt Susanne Schreiber, Baubürgermeisterin der Stadt. Der digitale Zwilling stellte sich als geeignetes Instrument heraus, um die Bürger mitzunehmen.
Weitere Informationen zu digitalen Zwillingen lesen Sie im Dossier Digitaler Zwilling.
„Ich denke, die größte Hürde für Kommunen ist es, die Entscheider davon zu überzeugen, dass das keine Spielerei ist“, sagt Schreiber. Man dürfe nicht vergessen, dass Entwicklungsthemen vielschichtig und für Planer relativ einfach einzuordnen seien – doch für die Bürgerschaft sei das nicht unbedingt der Fall. „Daher ist der digitale Zwilling hilfreich, um Themen zu visualisieren, auch in verschiedenen Varianten. Das Spielerische spricht besonders die jungen Bürgerinnen und Bürger an, was ebenfalls viele Chancen bietet.“
Aktuelle Daten sind für einen digitalen Zwilling nötig
Doch für eine korrekte Abbildung braucht es vollständige und aktuelle Daten – sowie eine Person in der Kommune, die das Fachwissen mit sich bringt, diese Daten zu verarbeiten und zu pflegen, gibt Schreiber zu Bedenken. Das bestätigt auch Resch. Möchte man seine Stadt digital abbilden, so ist der Zwilling also nie komplett, da sich die Stadt und somit die Daten stets verändern.
Jedoch könnten auch einzelne Bauprojekte mit einem digitalen Zwilling dargestellt werden, bei der es nicht zwingend stetige Aktualisierungen brauche. Im Baubereich oder in der Automobilindustrie werde so etwas schon genutzt, erklärt Resch. Als Beispiel nennt er den Testturm in Rottweil, der am HLRS in Form eines digitalen Zwillings untersucht wurde.
Und wie viel kostet das? „Die eigentlichen Kosten liegen in den geografischen Informationssystemen, in denen die Daten gespeichert werden und im Personal, das man braucht, um einen digitalen Planungsprozess voranzutreiben“, erklärt Resch. „Hinzu kommen Softwarelizenzen, die preislich höchst unterschiedlich ausfallen können. Die Kosten können zwischen 5000 und 5 Millionen Euro liegen. Digitale Zwillinge eignen sich aktuell eher für mittelgroße bis große Kommunen“, sagt Resch.
Integration von Sensordaten
Der digitale Zwilling von Herrenberg wurde 2019 fertig erstellt. Wegen Corona wurden jedoch keine Projekte mit dem Zwilling umgesetzt – noch nicht. Im Hinblick auf das vom Bund geförderten Rahmenkonzept Altstadt will Herrenberg seine Gestaltungsrichtlinie überarbeiten. „Da wollen wir gerne den digitalen Zwilling einsetzen, weil wir der Bürgerschaft damit relativ gut zeigen können, was es bedeutet, wenn sich unsere Fassaden verändern oder was beispielsweise eine PV-Pflicht auf Dächern bedeutet“, sagt Schreiber. Auch ließen sich die Daten der knapp 300 Sensoren, die die Stadt bereits nutzt, in einen digitalen Zwilling integrieren.