„Wir können das Thema Europa nicht verdrängen“
Stuttgart. Zu einer Bewertung des Bundestagswahl-Ergebnisses und der Europa-Politik der Bundesregierung nutzten die europapolitischen Sprecher der Landtagsparteien die Aussprache über den Bericht der Landesregierung über aktuelle europapolitische Themen.
Einigkeit herrschte darüber, den Bürgern die Bedeutung von Europa für Deutschland, aber auch speziell für Baden-Württemberg, mit Blick auf die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament wieder näher zu bringen.
Als Bestätigung der Europa-Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bewertete Wolfgang Reinhart für die CDU-Landtagsfraktion den Sieg der Union bei der Bundestagswahl. „Ich glaube, dass das ein wichtiges Zeichen für Europa war“, sagte Reinhart. „Das Wahlergebnis hat aber auch gezeigt, dass das deutsche Volk eine uferlose Haftung des deutschen Steuerzahlers und Eurobonds ablehnt.“
In Sachen Finanzpolitik schlug Reinhart vor, die Schuldenbremse des Fiskalpakts auch in den deutschen Bundesländern rechtsverbindlich zu machen. „Die Schuldenbremse sollte auch in der baden-württembergischen Verfassung verankert werden“, forderte Reinhart. Für Baden-Württemberg mahnte Reinhart an, auch die Förderung strukturschwacher Räume durch EFRE-Mittel zu stärken. „Die dezentralen Strukturen machten immer die Stärke des Landes aus.“
Grünen-Abgeordneter nennt Europa-Kurs der Kanzlerin "zaudernd"
Für die Grünen-Fraktion kritisierte dagegen Josef Frey (Grüne) den Europa-Kurs der Kanzlerin und nannte ihre Politik „zaudernd“. Durch Verzögerung der Bundesregierung bei notwendigen Beschlüssen zur Bankenabwicklung und Bankenregulierung durch die Finanztransaktionssteuer werde das Vertrauen der Bürger nicht wieder hergestellt und Europa nicht vorangebracht, sondern im Gegenteil nationale Tendenzen unterstützt.
„Wir brauchen eine Bundesregierung, die einen klaren Kurs auf die europäische Integration und die Weiterentwicklung der EU hält“, so Frey. Dagegen sei Baden-Württemberg gut aufgestellt als Land in Europa.
Rita Haller-Haid (SPD) machte die Europa-Politik der Bundesregierung und das Ausklammern von Problemen dafür verantwortlich, dass bei der Bundestagswahl mit der AfD beinahe eine „europaskeptische Partei ins Parlament gespült“ worden sei. „Wir können das Thema Europa nicht mehr so verdrängen, wie es im Wahlkampf passiert ist.“
Die SPD-Politikerin forderte, den Bürgern im Vorfeld der Europawahl klarzumachen, was in den nächsten Monaten in Europa anstehe, und darüber zu diskutieren. Vorrangig nannte Haller-Haid zwei Dinge: „Wir müssen erstens die Ursachen der Krise bekämpfen, also Banken regulieren, und wir müssen uns um die Folgen kümmern.“ Als Stichworte nannte sie Bankenabwicklung, Bankenfonds, die Finanztransaktionssteuer, eine einheitliche Bankenaufsicht und das Reformpaket Basel III, das Schwächen der bisherigen Bankenregulierung ausmerzen soll. „Damit steht eine weitere wichtige Säule in der Bankenunion.“ Dass es gelungen sei, deutsche Genossenschaftsbanken und Sparkassen dabei außen vor zu lassen, nannte Haller-Haid einen eindeutigen Erfolg der Landesregierung, die dahingehend große Anstrengungen unternommen habe.
Vor einer weiteren Ausweitung Europas warnte dagegen der FDP-Politiker Leopold Grimm. Nach dem Beitritt Kroatiens stehe nun Serbien vor der Tür. „Haben wir mit dieser Entwicklung nicht Quantität statt Qualität gewählt?“, fragte Grimm und gab zu bedenken, das Tempo der europäischen Entwicklung in Sachen Europawährung oder Anzahl der Mitglieder zu drosseln.
"Bausparkassen werden wie Hedgefonds behandelt“
In Sachen Bankenregulierung forderte Grimm die Landesregierung auf, für die Bausparkassen des Landes nachzuverhandeln. „Die werden in Europa wie Hedgefonds behandelt“, so Grimm. „Das Modell der Bausparkassen darf nicht unter die Räder kommen.“ Vor der Europawahl sollten alle Politiker den Bürgern nochmals deutlich machen, welche Vorteile Europa jedem Einzelnen biete. „Ich bin der Meinung, dass wir hier zu viel über Europa reden, aber zu wenig mit den Bürgern in Europa.“
Peter Friedrich (SPD), Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten, warf der Bundesregierung vor, sie habe durch die Vergemeinschaftung von 311 Milliarden Euro Schulden ohne parlamentarische Beteiligung ihre Europa-Politik entdemokratisiert. Dagegen sei jetzt das Fenster offen, um zu Veränderungen in Sachen Finanzmarktregulierung, Steuerharmonisierung und Bekämpfung von Steuerflucht zu kommen.