Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt
Stuttgart. Nun grünt es wirklich im Südwesten: Winfried Kretschmann führt in den nächsten fünf Jahren als Ministerpräsident das Land Baden-Württemberg. Mit der Wahl des bisherigen Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Stuttgarter Landtag zum Regierungschef wurde heute der historische Machtwechsel perfekt. Bei seiner Wahl zum ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland erhielt der 62 Jahre alte Katholik 73 der 138 Stimmen – und damit zwei mehr, als die künftigen Regierungsfraktionen von Grüne und SPD (zusammen 71) Stimmen haben.
Mindestens zwei Abgeordneten aus dem bisherigen Regierungslager von schwarz-gelb müssen für Kretschmann gestimmt haben.
Knapp sieben Wochen nach dem erdrutschartigen Sieg von Grünen und SPD am 27. März votierten 65 Abgeordnete gegen den Grünen-Kandidaten, der von Edith Sitzmann, seiner Nachfolgerin als Grünen-Fraktionschefin, vorgeschlagen worden war. Mit der Wahl von Kretschmann endet im Land zwischen Main und Bodensee gleichzeitig die 58 Jahre alte Dominanz der CDU in Baden-Württemberg. Der bisherige Regierungschef Stefan Mappus (CDU), der durch die Wahlniederlage nur gut ein Jahr amtierte und als Konsequenz auch vom Amt des CDU-Landesvorsitzenden zurücktreten wird, gratulierte seinem Nachfolger mit langem Händeschütteln.
Nachdem Landtagspräsident Willi Stächele (CDU) das Wahlergebnis verkündet hatte, brach frenetischer Jubel unter den Abgeordneten von Grünen und der SPD aus. Stehend applaudierten sie Kretschmann, der danach die Glückwünsche aller Abgeordneten entgegen nehmen durfte. Auf die Frage von Stächele, ob er die Wahl annehme, antwortete der Grüne: „Herr Präsident, ich nehme die Wahl an und danke für das große Vertrauen des Hohen Hauses.“ Anschließend leistete der gläubige Katholik und Ethiklehrer seinen Amtseid mit der Formel „so wahr mir Gott helfe“. Damit war die Ablösung der langjährigen schwarz-gelben Regierung durch Grün-Rot perfekt.
Gisela Erler wird Staatsrätin für Zivilgesellschaft
Kurz vor seiner Wahl hatte Kretschmann eine letzte größere Personalie geklärt: Als Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung stellte er die Sozialwissenschaftlerin Gisela Erler vor. Die 65-Jährige ist die Tochter des prominenten Pforzheimner SPD-Politikers Fritz Erler (1913-1967) aus den Gründungsjahren der Bundesrepublik.
Grün-Rot hatte bei der Landtagswahl am 27. März 71 Sitze und damit vier Sitze mehr im 15. Landesparlament als CDU und FDP erobert. Als Gründe für den Wahlsieg von Grün-Rot gelten neben dem massiven Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 und die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima auch die mangelnde Popularität von Stefan Mappus, der seinen Amtsbonus nicht nutzen konnte. Bereits am Montag hatten Grüne und SPD den Koalitionsvertrag unterschrieben, der zuvor von Parteitagen gebilligt worden war. Die Vereinbarung trägt den Titel „Der Wechsel beginnt“.
Kretschmann ist angetreten, Baden-Württemberg in verschiedenen Bereichen grundlegend umzukrempeln. So will die neue Landesregierung rasch aus der Atomkraft aussteigen. Als Miteigentümer der Energie Baden-Württemberg (EnBW) soll das Land so schnell wie möglich die Energiewende vollziehen. Außerdem stehen umfassende Bildungsreformen bevor; so sollen Gemeinschaftsschulen eingeführt und die Ganztagsschule zur Regel werden. Außerdem sollen die von CDU und FDP eingeführten Studiengebühren wieder abgeschafft werden. Kretschmann will gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten und den Haushalt weiter sanieren.
„Er ist unheimlich glaubwürdig“
Die Grünen-Bundeschefin Claudia Roth, die neben SPD-Urgestein Erhard Eppler der Wahl beiwohnte, ist Kretschmann eine grundehrliche Haut. „Er ist unheimlich glaubwürdig. Er ist ein Mensch ohne ‚falsch‘, dem man wirklich nicht unterstellen kann, überhaupt ein Interesse an irgendeiner Intrige zu haben“, sagte sie dem Sender rbb. Zugleich warnte sie vor zu großen Erwartungen: „Denn auch ein Grüner – und wenn er noch so gut ist als Ministerpräsident – wird Baden-Württemberg nicht von einem zum anderen Tag zu einem anderen Land machen.“
Das Exportland Baden-Württemberg mit seiner starken Autoindustrie steht nach der tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise wieder gut da.Die Arbeitslosenquote lag im April dank des stabilen Aufschwungs bei nur noch 4,2 Prozent; das ist bundesweit spitze. Auch die Steuerquellen sprudeln wieder stärker: Das Land hat von Januar bis März rund 500 Millionen Euro mehr Steuern eingenommen als geplant. SPD-Landeschef Schmid hatte bereits angekündigt, einen Teil der Mehreinnahmen in die Senkung der Neuverschuldung zu geben. Die schwarz-gelbe Koalition hatte im Doppeletat 2010/2011 wegen der Krise neue Kredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro aufgenommen.