Debatten im Landtag vom 26. und 27. März 2014

Sucht im Alter ist ein Tabu-Thema

Stuttgart. Es ging nicht ums Viertele in gemütlicher Runde oder die genussvolle Zigarre im Liegestuhl – bei der Debatte zur „Sucht im Alter“ widmete sich der Stuttgarter Landtag zum Abschluss des Plenartages vielmehr einem „Tabu“. Wer sich beim Thema Sucht nur junge Menschen vorstelle, die kiffen oder Koma-Saufen, kenne „nur einen Teil der Wahrheit“, sagte […]

Stuttgart. Es ging nicht ums Viertele in gemütlicher Runde oder die genussvolle Zigarre im Liegestuhl – bei der Debatte zur „Sucht im Alter“ widmete sich der Stuttgarter Landtag zum Abschluss des Plenartages vielmehr einem „Tabu“. Wer sich beim Thema Sucht nur junge Menschen vorstelle, die kiffen oder Koma-Saufen, kenne „nur einen Teil der Wahrheit“, sagte Marianne Engeser (CDU) am Donnerstag. Auch viele Ältere und Alter seien Opfer; nur falle dies nicht so stark auf. Die Gefährdung Älterer gestalte sich allerdings häufig anders als die der Jüngeren und werde oft stärker verborgen.
Mit ihrem Antrag wollte die promovierte Pharmazeutin die Aufmerksamkeit auf ein gesellschaftliches Problem lenken, das durch die demografische Bedeutung immer wichtiger wird. Die Suchttendenz bei über 65-Jährigen sei steigend, Sturzgefahr, Gedächtnisverlust und Verwahrlosung oft die Folge von überhöhtem Alkoholgenuss und Tablettenkonsum, erklärte Engeser.

„Wir wollen niemandem das Viertele verbieten“

Noch gibt es kein Datenmaterial für den Südwesten, es wird von einer Dunkelziffer von einer Million ausgegangen, die in Deutschland älter als 65 Jahre und Sucht abhängig sind. „Einsamkeit verursacht und beschleunigt die Sucht“, konstatierte die CDU-Expertin und forderte eine bessere Zusammenarbeit von Sucht- und Altenhilfe. „Wir wollen niemandem das Viertele verbieten, aber eine Reduktion von Suchtmitteln erreichen“, nannte Engeser als Ziel. Denn: „Es gibt kein zu alt, um von der Sucht loszukommen.“
Auch Josef Frey (Grüne) ist das Problem bekannt. „Männer neigen zu Alkohol, Frauen zu Medikamenten“, berichtete der Suchtexperte seiner Fraktion zu diesem „schambesetzten Thema“. Er sieht vor allem Ärzte und die Kassenärztliche Vereinigung stärker in der ‚Verantwortung, um einerseits Suchtfälle nicht zu ignorieren und andererseits für genügend Therapeutenstellen zu sorgen. „Es gibt auch im Alter gute Heilungschancen“, erklärte Frey. Er ist dafür, bereits in den letzten Berufsjahren eine Suchtprävention anzubieten.
Florian Wahl (SPD’) bedauerte, dass die Sucht im Alter in der Öffentlichkeit viel zu wenig beleuchtet werde. Auch aus seiner Sicht könnten Ärzte und Pflegestützpunkte deren Bekämpfung stärker zu ihrer Aufgabe machen. Angehörige, aber auch das professionelle Umfeld hätten oft Scheu, das Thema anzusprechen, vermutete Jochen Haußmann (FDP) den Grund für das Tabu. Als Gründe für die Sucht nannte er den Ruhestand, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Trauer nach Verlust des Partners oder Einsamkeit. Er will die Gesundheitskompetenz der Älteren stärken.

Bei Rentnern entfällt soziale Kontrolle am Arbeitsplatz

Sucht im Alter sei ein „ernstes Thema“, sagte Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD). Oft werde süchtiges Verhalten nur zum geringen Teil überhaupt wahrgenommen. Bei Rentnern falle die soziale Wahrnehmung von Suchtverhalten am Arbeitsplatz weg. Außerdem werde geselliger Suchtmittelkonsum bei Älteren überwiegend mit positiver Lebensqualität assoziiert. Doch selbst wenn die Suchtproblematik erkannt wird, fänden Ältere mitunter nur schwer den Weg in das Hilfesystem.
Baden-Württemberg hat 2010 die Arbeitsgruppe Suchtprävention eingerichtet, die das Grundlagenpapier Suchtprävention entwickelte. Außerdem unterhält die Baden-Württemberg-Stiftung seit 2010 das landesweite Programm „sucht im Alter“. Ferner wurden elf Modellprojekte im Südwesten eingerichtet, von denen sich die Ministerin weitere Aufschlüsse erhofft.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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26. und 27. März 2014