Streit um Unternehmensstrafrecht
Stuttgart. Über die vom Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty (SPD), angeregte Verschärfung des Unternehmensstrafrechts in Deutschland gibt es unterschiedliche Haltungen der im Landtag vertretenen Parteien. Während Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) und die Regierungsfraktionen von Grünen und SPD darin einen Schutz der Wirtschaft sehen, befürchten CDU und FDP Standortnachteile gerade für mittelständische Unternehmen sowie eine mögliche Doppelbestrafung von Firmenchefs.
«In Deutschland gibt es bisher gar kein Strafrecht für Unternehmen», erklärte Minister Stickelberger am Mittwoch im Landtag und zielte damit auf den Titel der von FDP beantragten Aktuellen Debatte «Weder direkt noch auf Umwegen – keine Ausweitungen des Unternehmensstrafrechts». Kriminelle Machenschaften führen aus Sicht des Justizministers zur Ungleichheit. «Straftaten dürfen sich nicht lohnen», sagte Stickelberger. Deshalb begrüßte er die Initiative seines Kollegen Kutschaty als «Diskussionsgrundlage» der Justizministerkonferenz; der Weg in das Unternehmensstrafrecht werde aber dadurch noch nicht gegangen. Stickelberger verwies auf die in Baden-Württemberg «vorhandene und von den Unternehmen geschätzte Rechtssicherheit». Gegen kriminelle Handlungen werde im Rahmen des geltenden Ordnungswidrigkeiten-Rechts vorgegangen, dieses sei wirksam gegen Wirtschafts-Kriminalität.
Goll spricht von «bedenklichem Standortsignal»
Für Stickelbergers Amts-Vorgänger Ulrich Goll (FDP) trifft die Einführung des Unternehmensstrafrechts alle Firmen, auch die mittelständischen baden-württembergischen Familienunternehmen. «Manche trifft man doppelt», warnte der Liberale, denn ein Unternehmer könne sich dann zwei Mal strafbar machen. Dies sei ein «bedenkliches Standortsignal» und habe schon zu «erheblichen Irritationen» bei Familienunternehmen geführt. Die Verfehlungen eines Großunternehmens – Siemens musste 395 Millionen Euro Bußgeld bezahlen – dürften nicht verallgemeinert werden. Goll warf Grün-Rot "Wirtschaftsfeindlichkeit" vor und wies darauf hin, dass bisher nur Menschen strafrechtlich belangt werden können und keine Unternehmen.
Auch Reinhard Löffler (CDU) warnte davor, dass die Einführung eines Unternehmensstrafrechts zum Verlust von Arbeitsplätzen führen könnte. Große Industrienationen würden deshalb nichts von solchen Sanktionen halten. «Auch die EU fordert keine Einführung», konstatierte er. Aus seiner Sicht reichen die bisherigen Sanktionen der Geldbußen, die nach Auffassung der OECD erhöht werden müssten, auch aus.
Dagegen forderte Jürgen Filius (Grüne) die Eindämmung von Wettbewerbsnachteilen, verursacht durch «schwarze Schafe» auf Unternehmensseite. «Diejenigen, die sich an Recht und Gesetz halten, haben auch künftig keine Nachteile zu befürchten», sagte Filius. Seine Fraktion nehme die Bedenken aus der Wirtschaft ernst. «Aber der Ehrliche darf nicht der Dumme sein.» Die Grüne-Fraktion hege «keinen Generalverdacht» gegen die Wirtschaft, wolle aber den redlichen Kaufmann schützen.
Schadenssumme von 960 Millionen Euro
Für die SPD wies Sascha Binder auf die Milliarden-Schäden durch die Wirtschaftskriminalität hin, die allein in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr eine Schadenssumme von 960 Millionen Euro verursacht habe. Es bestehe kein Generalverdacht und ein mögliches Unternehmens-Strafrecht treffe auch nicht jedes Unternehmen. «Mit dem Strafgesetzbuch treffen wir ja auch nicht jeden Bürger, sondern nur die, die sich strafbar machen.» Ziel der Ausweitung sei es nur die Kriminellen zu treffen. Mit einer Änderung des Wirtschafts-Strafrechts wolle man gleichzeitig die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden unterstützen. Zuletzt hatte Justizminister Stickelberger den Staatsanwaltschaften neue Handreichungen gegeben, um wirksamer gegen Ordnungswidrigkeiten vorgehen zu können.
Quelle/Autor: Wolf Günthner