Stoch fordert Offenheit und Respekt beim Thema „sexuelle Vielfalt“
Stuttgart. In den Diskussionen über die von der grün-roten Landesregierung derzeit erarbeiteten neuen Bildungspläne hat Kultusminister Andreas Stoch (SPD) zu mehr Sachlichkeit und Ehrlichkeit aufgefordert. Die Bildungspläne seien ein „wichtiges Handwerkzeug für unsere Schulen“ und eine „wichtige Quelle“, um die Kinder in Baden-Württemberg in einer gute Zukunft zu führen, sagte Stoch am Mittwoch in der von der CDU-Fraktion beantragten Aktuellen Debatte „Spaltet ein ideologischer Bildungsplan unser Land?“ im Landtag.
Gleichzeitig kritisierte der Minister die inzwischen von 150 000 Menschen unterzeichnete Online-Petition gegen den Bildungsplan. Dabei werde mit falschen, tendenziellen Behauptungen operiert und damit die Wahrheit verzerrt und entstellt, sagte Stoch. Auch die Vorwürfe von CDU-Fraktionschef Peter Hauk, dass nicht alle Beteiligte gehört worden seien, wies der SPD-Politiker zurück: „Es gab noch nie so viel Beteiligungen, auch von Kirchen und Oppositionsparteien“, erklärte er.
FDP: Das Wort „Sex“ kommt auf 32 Seiten 27 Mal vor
Hintergrund der Auseinandersetzungen ist die von Grün-Rot im neuen Bildungsplan geplante umstrittene Verankerung der „sexuellen Vielfalt“ im Unterricht an den Schulen. Hauk und Timm Kern (FDP) bemängelten, dass sich das Thema wie ein roter Faden durch die Leitprinzipien als „Leitprinzip der Leitprinzipien“ (Kern) durch den gesamten Bildungsplan ziehe. Das Wort „Sex“ komme im 32 Seiten umfassenden Arbeitspapier des Ministeriums zu den Leitprinzipien 27 Mal vor. Der Liberale äußerte den Verdacht, die Landesregierung wolle die Bildungspläne als politisches Instrument benutzen. Ein Bildungsplan dürfe aber nicht bevormunden. „Hätte Grün-Rot wie im aktuell geltenden Bildungsplan von 2004 einen auf dem Grundgesetz beruhenden Toleranzbegriff zu Grunde gelegt, der konsequent jegliche Form der Diskriminierung ablehnt, wäre den Menschen in Baden-Württemberg diese problematische Debatte erspart geblieben“, urteilte Kern. Der Liberale monierte außerdem, dass der Minister den Terminus „Sexuelle Vielfalt“ nirgends definiert habe. Er hält die Bezeichnung gleichgeschlechtliche Partnerschaften besser.
Hauk warf der Regierung vor, sie bevormunde Menschen; das Ministerium habe versäumt, die Interessen der unterschiedlichen Gruppen aufzunehmen. Er forderte Stoch auf, den Entwurf nachzuarbeiten und dabei auch die Integration von Migranten und die Integration behinderter Kinder nicht zu vernachlässigen. Sexueller Vielfalt dürfe nicht einseitig und überhöht im Vordergrund stehen. Ihm zeige die Online-Petition, dass die Gesellschaft „auseinander klafft“ und deshalb ein gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden müsse.
Die Redner von Grünen und SPD würdigten dagegen den Bildungsplan-Entwurf. Dias Thema „sexuelle Vielfalt“ sei ein Teilaspekt, um Offenheit und Toleranz zu gestalten, erklärte Brigitte Lösch (Grüne). In Baden-Württemberg müsse es selbstverständlich sein, dass sexuelle Vielfalt „akzeptiert wird“ und dadurch die Diskriminierung der Betroffenen beendet werde.
Stefan Fulst-Blei (SPD) kritisierte die Themenwahl der CDU für die Debatte; dieser Titel rücke das Ganze in eine falsche Richtung und schade der „parteiübergreifenden Einsicht“. Der neue Bildungsplan werde derzeit auf Ebene des Arbeitspapiers diskutiert und sei noch nicht endgültig. Die „schlimmen Inhalte“ der Online-Petition hätten ihn erschüttert, gab der SPD-Abgeordnete zu. Dort werde mit Unterstellungen und Beleidigungen gearbeitet. „Lassen Sie uns den Weg zu einem weltoffenen Baden-Württemberg weiter gehen“, forderte Fulst-Blei alle Fraktionen auf.
Nach Ansicht von Stoch darf in den Diskussionen vor allem der Vorwurf der „Umerziehung“ nicht stehen bleiben. Auch rechtsradikale Inhalte hätten hier nichts zu suchen. Aus seiner Sicht gehört es zur „Normalität unserer Gesellschaft“, dass es Menschen mit heterosexuellen und homosexuellen Lebensgemeinschaften gibt. Ehe und Familie seien zwar eine tragende Säule, dies bedeute aber nicht, dass andere Lebensformen abgewertet müssen. In jedem Fall dürfe „kein Klima der Intoleranz“ entstehen.
„Die Richtung ist richtig, aber man muss die Gesellschaft mitnehmen“
Grün-Rot droht aus Sicht von Homosexuellen bei der Gleichstellung von Schwulen und Lesben über das Ziel hinauszuschießen. „Die Richtung ist richtig, aber man muss die Gesellschaft mitnehmen“, sagte der Organisator des schwul-lesbischen Christopher Street Days (CSD) in Stuttgart, Christoph Michl, der Nachrichtenagentur dpa. Die Petition gegen den umstrittenen grün-roten Bildungsplan – über den das Thema sexuelle Vielfalt im Unterricht verankert werden soll – zeige, dass es in der Gesellschaft Ängste gebe. „Die muss man ernst nehmen“, sagte Michl. Dies sei bisher leider zu wenig geschehen.
Kontraproduktiv sei auch die gut gemeinte Aktion von Grün-Rot gewesen, die Regenbogen-Flagge der Homosexuellen auf dem Neuen Schloss zu hissen. „Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut gemacht“, sagte Michl. Schließlich wolle man keine Sonderrechte, sondern Normalität.
Wenn 150 000 Menschen eine Petition gegen den Bildungsplan unterzeichneten, müsse man darauf eingehen, sagte Michl. Die hohe Zahl zeige, dass es bisher nicht gelungen sei, zu verdeutlichen, dass es letztlich nur darum gehe, Toleranz im Bildungsplan zu verankern. „Diese Diskussionen muss man führen.“