„Poesiealbum der schönen Worte“: Opposition zerpflückt Regierungserklärung
STUTTGART. Fast fünf Stunden hat sich der Landtag Zeit genommen, jene 62 Minuten zu diskutieren, in denen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch die Ziele seiner Regierung für die nächsten fünf Jahre erklärt hatte. Deutlich wurden gemeinsame Vorhaben, wie die Reform des Landtagswahlrechts, die Grüne, CDU, SPD und FDP unterstützen, die grundsätzliche Sympathie für die Anstrengungen im Klimaschutz, aber die Kritik der Opposition an vielen Plänen. Und SPD-Fraktionschef Andreas Stoch stellt die aus seiner Sicht „entscheidende Frage, ob diese Regierung dem akuten Handlungsdruck gerecht wird, der ja ohne Zweifel besteht“.
Die Erfahrungen der vergangenen fünf Jahr sprächen dagegen, so der Sozialdemokrat, denn „trotz voller Kassen in vielen zentralen Bereichen hat die Koalition nichts bewegt, weil man sich im Klein-Klein der Umsetzung ständig verhakt hat und mit Wonne seine ideologischen Streitigkeiten ausgetragen hat“.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf Kretschmann sogar vor, „Landtag und Bürger für dumm zu verkaufen“, weil der Koalitionsvertrag alle Vorhaben unter Finanzierungsvorbehalt stelle. Mit seiner Regierungserklärung habe der Ministerpräsident dagegen so getan, als werde alles dort Angesprochene tatsächlich realisiert. Für die AfD warf Bernd Gögel vor allem den Grünen vor, dass die Sicherheit der Menschen im Land weniger wichtig sei, „wie ihr Ökosozialismus“. Und die CDU sei „die Abnick-Fraktion für die grünen Weltrettungsfantasien“.
Reform des Landtagswahlrechts wollen alle Fraktionen außer der AfD angehen
In seiner Regierungserklärung hatte Kretschmann insbesondere in der Bildungspolitik SPD und FDP ausdrücklich zur Mitarbeit eingeladen. Auch die Reform des Landtagswahlrechts, die unter anderem das Wahlalter auf 16 Jahre absenken will und nur von der AfD abgelehnt wird, wollen Grüne und CDU sowie SPD und FDP gemeinsam angehen.
Mehrfach hatte Stoch als Vorsitzender der größten Oppositionsfraktion Sympathien für Inhalte des grün-schwarzen Koalitionsvertrags gezeigt: „Viele der Wünsche teilen wir.“ Die Regierung müsse aber über das Wollen hinauskommen. Stattdessen sei ein politischer Fahrplan vorgelegt worden, der an „ein politisches Poesiealbum“ erinnere, „in dem es bei schönen Worten bleibt“. Klimaschutz und Erhalt des Wirtschaftsstandorts dürften nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden und Verschuldung „darf nicht tabu sein, wenn es darum geht, das Land in die Zukunft zu führen“.
Hagel setzt sich gegen Aufweichung der Schuldenbremse ein
CDU-Fraktionschef Manuel Hagel stellte sich vehement gegen ein Aufweichung der Schuldenbremse. „Eines ist schwarz und dafür werden wir arbeiten, das ist die schwarze Null“, so Hagel in seiner ersten Rede in seiner neuen Rolle. Hagel versprach „gutes Regieren“. Vor fünf Jahren hätten sich Grüne und CDU nicht gesucht, aber gefunden, diesmal sei „das Credo, gemeinsam voranzugehen“. Der frühere CDU-Generalsekretär kündigte an, Kräfte zu entwickeln, um die Antworten zu geben und an der Zukunft für die Zukunft dieses Landes mitzuarbeiten. Und er ging im Klimaschutz besonders weit: „Niemals werden wir Ökologie und Ökonomie gegeneinander ausspielen.“
Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz erinnerte daran, dass „unser Handeln über die Zukunft unserer Kinder entscheidet, ökologisch wie ökonomisch, denn wenn wir jetzt für morgen investieren, in Klimaschutz und in Innovationen, dann sichern wir Zukunft – und wir sichern Wohlstand und gute Arbeitsplätze“. Und er machte deutlich, wie Investitionen ermöglicht werden über Ausgaben der öffentlichen Hand hinaus: „Wir werden den Rahmen so setzen, dass andere in Klimaschutz investieren, die Wirtschaft genauso wie Privatleute.“
Rülke: Widersprüche in der Regierungserklärung
Rülke ortete im Koalitionsvertrag und vor allem in der Regierungserklärung, aus der er mehrfach wörtlich zitierte, erhebliche Widersprüche. So nenne der Ministerpräsident als die fünf zentralen Herausforderungen der Landespolitik Corona, Klimawandel, Digitalisierung, Transformation der Wirtschaft und den Zusammenhalt des Gemeinwesens gleich auf der ersten Seite seiner Regierungserklärung. Auf Seite 13 hingegen erkläre er „plötzlich die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zur drängendsten sozialen Frage unserer Zeit und begründet damit die Schaffung eines neuen Ministeriums“. Das sei „zutiefst verlogen, geht es doch allein um die Machtarithmetik dieser Koalition“. Für die selbst erklärten großen Themen gebe es keine Ministerien, „wohl aber für die kropfunnötige Ausgliederung einer Abteilung aus einem ohnehin schon schwindsüchtigen Wirtschaftsministerium“.
„Grün, grün, grün und etwas grau“, das sind nach den Worten von AfD-Fraktionschef Bernd Gögel „die aktuellen Farben in der Koalition“. Er kritisierte die geplante Windkraft-Offensive ebenso wie den Ausbau des ÖPNV oder Maßnahmen gegen den Klimawandel. „Wir brauchen keine schäbigen Tricks in der Subventionspolitik, um den Schein aufrechtzuerhalten, dass die Windkraft hierzulande profitabel betrieben werden kann, wir brauchen keine weitere Gängelung der Landwirte bei Vorgaben zu Pflanzenschutzmitteln, wir brauchen im Land mit der weltweit höchsten Steuer- und Abgabenlast dagegen einen generellen Mehrkostenvorbehalt, denn wirtschaftliche Zukunft haben wir nur ohne sozialistische Subventions- und Verbotspolitik.“ Auch die Wahlrechtsreform stieß auf seine scharfe Krtitik, denn die vorgesehene Listenwahl stärke allein den „Parteienfilz“. Außerdem solle sie dazu dienen, dass die 16- und 17-Jährigen die Grünen wählten.