Opposition wirft Grün-Schwarz Täuschung der Öffentlichkeit vor
Stuttgart. Die Opposition hat der grün-schwarzen Landesregierung angesichts von zunächst geheimen Nebenabreden zum Koalitionsvertrag die Täuschung der Öffentlichkeit, die Missachtung des Parlaments, der eigenen Parteien und der eigenen Fraktionen sowie Machtmissbrauch vorgeworfen. Grüne und CDU hätten durch die Geheimpapiere die eigenen Parteien getäuscht und sich die Zustimmung zum Koalitionsvertrag erschlichen“, konstatierte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch am Mittwoch in der von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Debatte „Geheimabsprachen 2.0“.
Absprachen vor der Öffentlichkeit zu verbergen und zu verstecken sei demokratiefeindlich und ein „sehr problematischer Führungsstil“. Der 138 Seiten umfassende Koalitionsvertrag sei nicht die ganze Wahrheit, denn in den Geheimpapieren seien weitere 43 Maßnahmen aufgeführt, die zwei Milliarden Euro kosten. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, zu wissen, was Sie vereinbart haben“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende. Er wiederholte seine Forderung an die Landesregierung, die „Giftliste“ mit weiteren Sparvorschlägen „endlich auf den Tisch“ zu legen. „Ihr Anspruch, eine Regierung, die von Vertrauen geprägt ist, mit Hilfe von Nebenabsprachen zu erstellen, darf heute als zutiefst gescheitert betrachtet werden“, bilanzierte Stoch.
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke bezeichnete die von den Medien veröffentlichten beiden „Giftlisten“, die beispielsweise die Streichung von 5000 Stellen in der Landesverwaltung, die Erhöhung der Grunderwerbsteuer um 1,5 Prozent, neue Belastungen für die Kommunen sowie weitere Sparmaßnahmen beinhalten, als „Protokolle der Mauschler von Kiwi“. Rülke erinnerte den bei der Debatte nicht anwesenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) daran, dass er einst Politik zur Stilfrage erhoben habe. Der Regierungschef habe jedoch erklärt, die grün-schwarzen Geheimabsprachen seien in Ordnung und später dann, er würde das nicht mehr machen. Kretschmann, die damaligen Fraktionschefs Edith Sitzmann (Grüne) und Guido Wolf (CDU) sowie CDU-Landesvorsitzender Thomas Strobl hatten die Giftliste an Partei und Fraktion vorbei beschlossen.
FDP: „AfD kann sich bei Kretschmann und Strobl bedanken“
Tragisch sei insbesondere, dass der von Kretschmann und Strobl beförderte Politikstil jenen am meisten nütze, die kein aufrechter Demokrat im Parlament sehen wolle. „Die AfD kann sich bei Kretschmann und Strobl dafür bedanken, dass die etablierten Parteien in Verruf geraten. Indem der Ministerpräsident und sein Vize ihre Integrität verwirken und das Klischee bedienen, Politiker hätten ohnehin kein Interesse für die Menschen, erhält die AfD wieder Zuwachs, und das gilt es um jeden Preis zu verhindern“, sagte Rülke. Außerdem kritisierte er das „Postengeschacher“: Fähige Regierungspräsidenten seien in die Wüste geschickt worden, um Parteisoldaten zu versorgen. Für den „B-10-Staatssekretär“ von Innenminister Strobl habe man sogar eigens ein Gesetz ändern müssen. „Es werden Landesgesetze geändert, damit Herr Schäuble seinem Schwiegersohn einen Jäger ins Revier setzen kann, damit Thomas Strobl keinen Bock schießt“, umschrieb Rülke literarisch unter dem Gelächter der Abgeordneter seine Kritik.
Strobl bezeichnete es als „absurd“, den Ministerpräsidenten als Feind der Demokratie zu bezeichnen. Die SPD koche die veraltete Suppe der Nebenabsprachen. Dabei sei die Regierung überhaupt nicht an den Verhandlungen beteiligt gewesen, weil das Kabinett zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ernannt worden sei. Zu der aus vielen Bereichen geäußerten harschen Kritik an den Geheimabsprachen räumte der stellvertretende Ministerpräsident ein: „Es passieren Fehler. Man hätte in den Koalitionsvertrag auch alles reinschreiben können. Aber eine Staatsaffäre daraus zu machen, finde ich übertrieben.“ Er forderte die Opposition auf, mit der fortgesetzten Skandalisierung einer politischen Praxis aufzuhören, die notwendig sei und seit sieben Jahrzehnten den jeweils Regierenden gegenseitig zugebilligt werde. Diese Scheindebatten müssten aufhören, es dürfe nicht ständig „Alarm!“ gerufen werden.
In seinem Generalangriff auf die SPD kritisierte Strobl auch den aktuellen Koalitionspartner. Die Vorgängerregierung habe die Haushaltskonsolidierung vergessen, zwei Milliarden Euro Schulden jedes Jahr hinterlassen und einen Scherbenhaufen angerichtet: „Deshalb haben wir eine prekäre Haushaltssituation.“ Deshalb werde die Schuldenmacherei der letzten Landesregierung beendet, es gebe keine Steuererhöhungen und es würden die richtigen Investitionsschwerpunkte gesetzt. Auf Nachfrage des FDP-Abgeordneten Andreas Glück relativierte Strobl allerdings diese Aussage: „Bei der Grunderwerbsteuer warten wir mal ab, was die Finanzministerin uns in wenigen Tagen vorlegen wird.“
Grüne: SPD wärmt kalten Kaffee auf
Als Redner von Grünen und CDU mühten sich Andreas Schwarz und Winfried Mack, die Vorwürfe der Opposition zu entkräften. Es sei kalter Kaffee, der von der SPD aufgewärmt werde, sagte Grünen-Fraktionschef Schwarz. In den Nebenabsprachen seien Konkretisierungen des Koalitionsvertrages als „Auslegungshilfe“ enthalten und mit Zahlen belegt. „Sie sind quasi Leitplanken, um die Interpretation des Koalitionsvertrags in einer gemeinsamen Sprache vorzunehmen.“ Und die Nebenabsprachen würden „ein Instrumentenkasten zu Haushaltskonsolidierung“ darstellen. Grün-Schwarz müsse auch die Frage beantworten, wie die Investitionen finanziert werden können, welche Spielräume vorhanden sind und wie die Schuldenbremse eingehalten werden kann. Außerdem teilte Schwarz an den früheren Regierungspartner aus. In den letzten fünf Jahren habe sich die SPD das eine oder andere Mal sehr, sehr schwer getan, wenn es um Haushaltskonsolidierung gegangen sei.
CDU-Fraktionsvize Mack wunderte sich über die Debatte: Nebenabsprachen habe es immer gegeben, das „gehöre schlicht und einfach dazu“. Der Landtag müsse wirklich „große, wichtige Themen“ angehen, nicht aber das Thema „Nebenabsprachen 2.0, 3.0, 4.0“. Außerdem gebe es einen deutlichen Unterschied zwischen Willensbekundungen der Parteien und dem Regierungshandeln und dem Parlamentshandeln.
Für die wiedervereinigte AfD-Fraktion listete Emil Sänze den Inhalt der „Giftliste“ auf. Die strukturellen Maßnahmen würden in der Endstufe 2020 ein Volumen von dauerhaft zwei Milliarden Euro jährlich umfassen. Zur Gegenfinanzierung müssten die Kommunen einen Konsolidierungsbeitrag von zusätzlich bis zu 300 Millionen Euro pro Jahr erbringen. Die Pläne umfassten die Streichung von 3500 Stellen im Landesdienst, durch Lebensarbeitszeitkonten sollten weitere 1500 Stellen gespart werden. 250 Millionen Euro soll der Personalabbau bringen, weitere 500 Millionen Euro kämen durch Eingriffe in die Besoldung zustande. Auch bei den Pensionären plane das Land eine Senkung. „Aus der vollmundigen Politik des Gehörtwerdens ist unversehens eine sinistre Politik des Beschweigens und des Sich-feige-Wegduckens geworden“, kritisierte Sänze.