Opposition mahnt Planungsleitfaden für Bürgerbeteiligung an
Stuttgart. Bei einer aktuellen Debatte zum Fortschritt der Bürgerbeteiligungsverfahren in Baden-Württemberg hat die Landtags-CDU der grün-roten Landesregierung sowie den Fraktionen von Grünen und SPD vorgeworfen, in ihrer bisherigen Regierungsverantwortung nicht für mehr Bürgerbeteiligung, sondern im für mehr Bürgerfrustration gesorgt zu haben.
Der CDU-Abgeordnete Stefan Scheffold kritisierte, dass weder ein Gesamtkonzept der Landesregierung zur Bürgerbeteiligung noch ein Planungsleitfaden vorliege. „Wer Bürger zur Beteiligung einlädt, muss ihnen die Foren geben und den Bürgerwillen dann auch bei den Entscheidungen berücksichtigen“, sagte Scheffold. Dagegen kritisierten Grüne und SPD, dass eine Einigung über Beteiligungsverfahren im interfraktionellen Ausschuss durch die CDU verschleppt werde. Strittig sind die Quoren für Bürgerentscheide auf Landes- und Kommunalebene sowie eine Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung.
Kabinett verabschiedete vor einem Jahr Eckpunkte
Bereits im Herbst 2012 hatte das Landeskabinett Eckpunkte für einen neuen Planungsleitfaden verabschiedet. Darin will sich das Land rechtlich verbindlich verpflichten, bei eigenen Infrastrukturvorhaben eine frühe Bürgerbeteiligung durchzuführen. In einem dreistufigen Beteiligungsverfahren sollen zusätzlich Empfehlungen für die Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung auf Kommunal- und auf Landesebene erarbeitet werden und als Beratungsteil des neuen Leitfadens fungieren. Der Leitfaden soll als systematisierte praxisnahe Handreichung für ganz Baden-Württemberg dienen.
Für die FDP-Fraktion, von der die Debatte beantragt worden war, sagte Ulrich Goll, das Thema Bürgerbeteiligungen zähle zum „Eingemachten“ der Liberalen. Goll forderte die Fraktionen dazu auf, ihre Handlungsspielräume bei der angestrebten parteiübergreifenden Regelung nicht durch Vorfestlegungen zu verspielen. „Die Chance auf eine Einigung unter den Parteien war noch nie so groß wie heute“, sagte Goll. Allerdings sei das Abstimmungsverfahren innerhalb der Landesregierung über den Leitfaden offenbar nicht optimal. „Er wird nicht fertig“, sagte Goll, „das wirkt ein wenig unprofessionell.“
Goll: Inhaltlich wenig Differenzen
Inhaltlich machte Goll nur noch wenig Differenzen zwischen den Parteipositionen aus. „Die Volksinitiative sollte kommen, bei der die Bürger das Parlament mit einem Thema befassen können, das sollten wir hinbekommen“, sagte er, „die Schwelle sollte dabei nicht zu hoch sitzen, vielleicht bei 50000 Stimmen.“ Eine heikle Frage sei allerdings die Höhe der Quoren. „Sie ganz abzuschaffen, ist nicht sinnvoll, es gibt noch Bürger, die sich auf die repräsentative Demokratie verlassen“, sagte Goll. Er nannte Quoren von zehn Prozent für Volksbegehren und 20 Prozent für die Entscheidung, die auch für Entscheidungen auf kommunaler Ebene gelten könnten. Grenzen seien allerdings bei Abstimmungen über kommunale Abgaben erreicht. „Das ist nicht sinnvoll“, sagte Goll. Anders verhalte es sich bei der Bauleitplanung, hier sei denkbar, Teile abstimmbar zu machen. Generell sei bei Quoren aber zu beachten, so Goll, dass man Stadt- und Gemeinderäte nicht allzu sehr entmündigen solle.
Stefan Scheffold (CDU) machte eine Zustimmung der CDU davon abhängig, dass landes- und kommunalrechtliche Regelungen einheitlich getroffen würden und der Planungsleitfaden endgültig vorliege. Für die Grünen übte Hans-Ulrich Sckerl (SPD) dagegen scharfe Kritik an der CDU. „Wir könnten schon längst eine Einigung haben, wenn Sie nicht sagen würden, erst muss dies und erst muss das vorliegen“, sagte Sckerl in Richtung CDU. Baden-Württemberg sei im Ranking über direkte Demokratie in den Bundesländern von Rang 15 auf den letzten Platz abgestiegen. „Wir müssen aus der Schlusslichtposition dringend raus, jetzt muss der Durchbruch kommen“, sagte Sckerl und forderte die CDU auf, „in sich zu gehen“. „Die Bauleitplanung muss bürgerentscheidsfähig werden.“
Rechte der kommunalen Gremien berücksichtigen
Für die SPD-Fraktion forderte auch Nikolaos Sakellariou die CDU auf, im interfraktionellen Arbeitskreis über ihren Schatten zu springen. „Wir sind – kommunal und auf Landkreisebene – kurz vor dem Ziel.“ Sakellariou rief allerdings dazu auf, die Rechte der kommunalen Gremien bei der Festlegung der Quoren zu berücksichtigen. „Da müssen wir abwägen“, so der SPD-Abgeordnete.
Die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Gisela Erler (Grüne) verteidigte dagegen ihr Vorgehen. „Es gibt ein Konzept, was im Planungsleitfaden steht, liegt seit Monaten fest, der Kern wird nicht verändert.“ Allerdings gehe die Vorlage durch alle beteiligten Stellen. Es sehe eine Bürgerbeteiligung bei der Raumordnung, eine verzahnte Bürgerbeteiligung vor Planfeststellungsverfahren und eine erneute Beteiligung vor der Bauausführung vor. Allerdings stellte Erler heraus, dass einzelne Kommunen kein Veto-Recht hätten, wenn es um Landesentscheidungen gehe. „Das müssen wir klarstellen“. An die Fraktionen sagte Erler: „Ich verstehe nicht, warum Sie sich nicht schon längst geeignigt haben, wenn die Differenzen so gering sind“.
Beteiligungsverfahren bei Polizeireform
Auch Innenminister Reinhold Gall (SPD) unterstrich, dass das Thema Bürgerbeteiligung für die Landesregierung bei allen Belangen eine wichtige Rolle spiele und nannte als Beispiel das Beteiligungsverfahren bei der Polizeireform. „Die Landesregierung beteiligt sich im Arbeitskreis direkte Demokratie, hat den Prozess in die kommunalen Landesverbände hineingetragen und mit allen Interessenten diskutiert.“
Bürgerschaftliche Elemente sollten parlamentarische Demokratie ergänzen, aber nicht vollständig ersetzen, so Gall. Im Arbeitskreis hätten die Parteien zwar noch nicht alles ausgeräumt, sich aber im Korridor für die Quoren so weit angenähert, dass eine Einigung bevorstehen sollte. „Die Debatte ist auf einem sehr gutem Weg in diesem Land“, so Gall, „ich bitte darum, von Einzelforderungen abzusehen; selbst wenn es beim Planungsleitfaden keine Einigung gibt.“