Justizminister Wolf fordert AfD zu konstruktiver Kritik an Europa auf
STUTTGART. Für einen heftigen Streit über Europa hat die AfD am Donnerstag mit ihrer aktuellen Debatte „EU-Verordnungen überfordern Baden-Württemberg und Deutschland“ gesorgt. Jürgen Walter, der frühere Kunststaatssekretär und Europapolitiker der Grüne-Fraktion, warf dem AfD-Redner Emil Sänze vor, auf „mittelalterliche Verschwörungstheorien“ zurückgreifen, die 240 Jahre nach der Aufklärung „nur schwer erträglich sind“.
Paul Nemeth (CDU) kritisierte, dass die AfD nichts als Hetze und Falschmitteilungen verbreite. Und Nicolas Fink (SPD) warf der AfD mit „EU-Bashing verzweifelt nach Aufmerksamkeit zu suchen“. Daniel Karrais (FDP) sprach von "Schreckenszenarien ohne jede Grundlage".
Die Verordnungen, die die AfD zum Anlass nahm, befassen sich mit umwelt- und klimapolitischen Vorgaben unter anderem zur Abfallwirtschaft. Sänze vertrat die Auffassung, dass die EU „unter diesem Deckmantel Unternehmen vorschreiben will, wie ihre Produkte aussehen“. Außerdem werde die kommunale Abfallwirtschaft zerstört, Bürger „durchreglementiert und eine künstliche Komplexität geschaffen“, die nur große Konzerne bevorzuge.
„Seit Maastricht und dem Euro zerstören Sie Deutschland“, so der Rottweiler Abgeordneten an die Adresse der „Altparteien und der ihnen hörigen Medien“. Und weiter: „Sie machen die Bürger arbeitslos, Sie nehmen ihnen die Autos weg, Sie treiben die Preise für Energie in astronomische Höhe und Ihr Genius Angela Merkel sagt, ‚wir bauen Ökoutopia aus und am besten werden noch alle zwangsgeimpft wie das dumme Vieh“.
Justizminister wirft AfD fehlende Debattenkultur vor
Er habe sich schon bei der Themenwahl gedacht, „dass da nichts herauskommen kann“, konterte Nemeth. In einer Zeit, „in der wir eine ganz besondere Verantwortung haben für die Gesellschaft, kommen sie mir einer Debatte, die vor Verantwortungslosigkeit nur so strotzt“. Eines sei doch spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg klar: „Wer Patriot sein will in Deutschland, der muss auch für Europa sein.“ Gerade Patrioten müssten schauen, dass Europa zusammenhält und „unbedingt darauf achten, dass dieses Friedensmodell erhalten und nicht beschädigt wird“. Zu den einzelnen Verordnungen erklärte der umweltpolitische Sprecher seiner Fraktion, dass sie Baden-Württemberg nutzten, weil die hohen Standards, die heimische Unternehmen liefern könnte, unterstützt würden.
„Ich habe nicht anderes erwartet“, bekannte auch der FDP-Abgeordnete Daniel Karrais. Die AfD verbreite „Verschwörungstheorien ohne vertiefte Kenntnis". Von „diktatorischen Vollmachten“, wie von der AfD behauptet, könne keine Rede sein. Alle Rahmenbedingungen der Umsetzung europäischer Klimapolitik würden detailliert in den Parlamenten beraten. „Die Vorteile der Europäischen Union für uns als Wirtschafts- und Exportnation werden deutlich, zum Beispiel bei der Vereinheitlichung von Vorschriften oder dem Binnenmarkt“, so der Rottweiler Abgeordnete weiter, „denn wäre hier keine Einheitlichkeit gegeben, müssten 27 verschiedene Vorschriften befolgt werden“. Die Kleinstaaterei sei längst vorbei.
Walter stützte die Pro-Europa-Argumentation mit mehreren Zahlen. Zwischen 2014 und 2020 seien über fünf Milliarden Euro von Brüssel nach Baden-Württemberg geflossen. Die Bertelsmann-Stiftung habe dargelegt, dass das Land einem Einkommensgewinn von 13 Milliarden Euro jährlich haben und 50 Prozent des Exports gingen in die EU. Auch Flink führte die vielen Vorteile an, die das Land von der EU habe. Außerdem fielen alle Verordnungen, "ganz gleich welche, fallen nicht einfach vom Himmel, sondern kommen nach demokratischen Prinzipien und unter Beteiligung der EU-Mitgliedsstaaten, des Parlaments, der Regierungschefs, der Länder- und Regionalparlamente zustande, nach öffentlichen Konsultationen, Verbände und Organisationen, und auch jeder Bürger, jede Bürgerin kann Anregungen und Bedenken ins Verfahren einspeisen".
Der auch für Europa zuständigen Justizminister Guido Wolf (CDU) warf der AfD eine fehlende Debattenkultur vor. Auch er wisse, dass es Überregulierungen oder Versäumnisse in Brüssel gebe. Die Kritik müsse aber konstruktiv sein und müsse Europa, „statt es als Ganzes in Frage zu stellen, besser machen“. Gerade die Corona-Pandemie bewiesen, dass die Zusammenarbeit funktioniere, etwa in der Beschaffung oder um Forschungsanstrengungen zu bündeln. Und er hob die „grüne Spur“ hervor, die eingeführt worden sei, um trotz Grenzkontrollen den freien Warenverkehr zu sichern: „Gerade in Krisenzeiten schaffen Gesetz Verordnungen und Richtline einen stabilen Rahmen, um Herausforderungen begegnen zu können“. Und die Flexibilisierung von Vorgaben, etwa im Beihilfereich oder die Aussetzung von Schutzzöllen, sei ein Beweis jener Gestaltungskraft, die ohne Europa gar nicht möglich sei.