Debatten im Landtag vom 11. Dezember 2013

Inklusion: Eltern sollen Wahlrecht bekommen

Stuttgart. Die Sonderschulen bleiben im Bildungssystem von Baden-Württemberg bestehen. „Diese Landesregierung hat nie Bestrebungen gehabt, die Sonderschulen abzuschaffen“, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) am Mittwoch im  Landtag in der von der FDP-Fraktion beantragten aktuellen Debatte „Warum verschiebt die Landesregierung das Inklusionskonzept?“ Stoch kündigte allerdings an, dass im Zuge der Änderung des Schulgesetzes die Pflicht zum Besuch […]

Stuttgart. Die Sonderschulen bleiben im Bildungssystem von Baden-Württemberg bestehen. „Diese Landesregierung hat nie Bestrebungen gehabt, die Sonderschulen abzuschaffen“, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) am Mittwoch im  Landtag in der von der FDP-Fraktion beantragten aktuellen Debatte „Warum verschiebt die Landesregierung das Inklusionskonzept?“ Stoch kündigte allerdings an, dass im Zuge der Änderung des Schulgesetzes die Pflicht zum Besuch der Sonderschule abgeschafft wird.  
Stattdessen soll der Anspruch von Schülern mit Behinderung auf ein inklusives Bildungsangebot in der allgemeinen Schule gesetzlich verankert und „zieldifferenter Unterricht“ als Voraussetzung für inklusive Beschulung ins Schulrecht aufgenommen werden. Eltern sollen ein qualifiziertes Wahlrecht erhalten, ob sie ihr behindertes Kind in die allgemein bildenden Schulen oder in Sonderschulen schicken.

Opposition wirft Landesregierung Stillstand vor

Sprecher der Opposition hatten zuvor die Situation bei der Inklusion, also dem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen in Schulen, kritisiert und der grün-roten Landesregierung Stillstand und Nichtstun vorgeworfen. Zwar habe Grün-Rot das Thema Inklusion zu einem wichtigen Ziel erklärt, gleichzeitig aber das entsprechende Gesetz auf das Schuljahr 2015/16 verschoben, monierte Timm Kern (FDP). Es sei jedoch höchste Zeit für „einen klaren und verlässlichen Rahmen“ für den Auf- und Ausbau von Inklusionsangeboten zu schaffen, zumal eine Umfrage ergeben habe, dass die überwiegende Mehrheit der Baden-Württemberger die Inklusion in der Schule „grundsätzlich positiv sehen“.  Ohne angemessene Finanzierung sei die Schaffung des inklusiven Schulangebots für ein Drittel der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf bis 2016 nicht zu erreichen.
Monika Stolz (CDU) kritisierte, nirgends sei die Kluft zwischen Ankündigungen und Taten der Regierung so groß wie bei der Inklusion. Diese müsse nach der 2009 beschlossenen UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auch im Schulbereich umgesetzt werden. Schwarz-Gelb habe fünf Erprobungsregionen auf den Weg gebracht und einen klaren Fahrplan zur Umsetzung der Inklusion aufgestellt. „Diese gute Ausgangsposition ist verspielt. Es herrscht Stillstand auf dem Rücken der Kommunen und Landkreise, vor allem auf dem Rücken der Schüler, Eltern und der Lehrer“, beklagte die frühere Sozialministerin.
Erforderlich seien zusätzliche Lehrerressourcen, um eine Überforderung der Lehrer in den Regelschulen zu vermeiden. Auch die besondere Kompetenz der Sonderpädagogen müsse optimal gefördert werden. „Ganz ärgerlich“ sei die Lastenverteilung zwischen Land und Kommen; die Schulträger fänden sich mit ihren ungelösten Fragen – Barrierefreiheit, Sachmittel, Ganztagsbetreuung, Schülerbeförderung  – gar nicht wahrgenommen. „Sie lassen die Kommunen und, was noch viel schlimmer ist, die Eltern allein“, konstatierte Stolz.

Behinderte Schüler zählen nicht zum Klassenteiler

Für die Grünen wies Thomas Poreski die Vorwürfe zurück. Die Vorgängerregierung habe die Versuche an Grundschulen gestoppt und die Weiterführung der Inklusionsmodelle in der Sekundarstufe I nicht – wie versprochen – eingeführt. Die Ergebnisse der Modellregionen seien vom Städtetag als „substanzlos“ eingestuft worden, behinderte Schüler hätten nicht zum Klassenteiler gezählt und die Sonderpädagogen an den Regelschulen hätten nicht zu diesem Kollegium gehört. Poreski wies darauf hin, dass 60 bis 70 Prozent der betroffenen Eltern Interesse an Inklusion haben. „Wir müssen das Wunsch- und Wahlrecht ernst nehmen. Wir können nichts verordnen, sondern müssen ermöglichen“, sagte er. Für Februar kündigte er Eckpunkte für die inklusive Beschulung an, die vom Kabinett beraten werden. Danach sollen Handlungsempfehlungen an Schulämter und Schulen gehen.
Auch für Klaus Käppeler (SPD) sind die Konzeptionierung und diese Eckpunkte „ganz entscheidend“. Es werde ein auf  Beratung fußendes qualifiziertes Elternwahlrecht zwischen Sonder- und Regelschule geben, inklusive Bildungsangebote würden in der Regel gruppenbezogen erfolgen. Dies schließe Einzel- und Kleinstgruppeninklusion nicht aus. Für die Primar- und Sekundarstufe I  werde ein zieldifferenter Unterricht eingeführt. Mit den kommunalen Landesverbänden müsse zudem eine finanzielle Einigung erreicht werden. „Die Inklusion muss in den Köpfen der Menschen ankommen“, sagte Käppeler. Der Besuch der Sonderschule müsse die Ausnahme sein.
Nach Ansicht von Kultusminister Stoch gehört zu einer inklusiven Grundverfassung neben der Schule auch der frühkindliche Bereiche und die berufliche Bildung. Schon heute würden in den Schulversuchsregionen 1000 Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an allgemein bildenden Schulen unterrichtet. Rund 20 000 erhielten Beratung und Unterstützung. Die 2012 eingeführte Gemeinschaftsschule sei die erste Schulart im Südwesten, in der die inklusive Beschulung gesetzlich verankert ist. An diesen 129 Schulen würden bereits 640 Schüler mit dem Anspruch auf sonderpädagogische Bildung lernen. Mit den Kommunen will Stoch zu „tragfähigen Lösungen“ kommen und eine „faire Auseinandersetzung über die Kostenfrage“ führen.

Quelle/Autor: Wolf Günthner

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11. Dezember 2013