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Heftiger Schlagabtausch um Rückzahlungen wegen des 9-Euro-Tickets
STUTTGART. Seit knapp zehn Tagen wird bundesweit und besonders in Baden-Württemberg darüber gestritten, ob Familien, die von Grundsicherung leben, Geld, dass sie für den Kauf von Schüler-Tickets bekommen haben, zurückzahlen müssen, weil die tatsächlichen Kosten durch die Einführung des 9-Euro-Ticket von Juni bis August deutlich niedriger ausfallen. Das Wirtschaftsministerium hatte in einem Schreiben an den Landkreistag als Aufsichtsbehörde die, Rechtsauskunft erteilt, dass eine Rückforderung rechtlich vertretbar sei. Das hatte bundesweit für Negativschlagzeilen gesorgt.
Die SPD-Landtagsfraktion machte das nun zum Thema einer aktuellen Debatte mit dem Titel „Rückzahlungsverpflichtungen aufgrund des 9-Euro-Tickets – wo bleibt das soziale Gewissen dieser Landesregierung?“ Der Fraktionschef der Sozialdemokraten Andreas Stoch ging dabei vor allem das Sozial- und das Wirtschaftsministerium scharf an. „Wie abartig müssen Menschen sein, die so etwas machen“, sagte er wörtlich bezogen auf die rechtliche Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums. Stoch stieß sich vor allem an dem Begriff „ungerechtfertigte Bereicherung“, der in dem Schreiben an den Landkreistag enthalten sein soll und der sich auf die zu viel gezahlten Mittel für die Schüler-Abos beziehen soll.
„Land ist nicht zuständig und fordert nichts zurück“
Felix Herkens (Grüne) räumte ein, dass die Wortwahl nicht wirklich gelungen war. An dieser Stelle sei noch mehr „kommunikatives Fingerspitzengefühl“ erforderlich. In der Sache wies er die Kritik jedoch zurück. Für die Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket sei der Bund zuständig, nicht das Land. Dieses fordere auch nichts zurück.
Winfried Mack (CDU) bescheinigte der SPD zwar die richtige Debatte angestoßen zu haben, aber aufs falsche Pferd zu setzen. Für den Ausbau sowohl des öffentlichen Nahverkehrs wie auch für Maßnahmen um die Folgen der hohen Inflation abzufedern, sei der Bund zuständig.
FDP vermisst Kosten-Nutzen-Abwägung
Für die FDP-Fraktion ging Niko Reith nicht nur das Wirtschafts- sondern auch das Sozialministerium scharf an. Im Haus von Manfred Lucha (Grüne) mache man sich offenbar keine Gedanken über die sozialen Folgen einer Rechtsauffassung, wie sie das Wirtschaftsministerium entwickelt habe. Zudem vermutet er, wie andere Oppositionsvertreter auch einen hohen bürokratischen Aufwand hinter den Rückforderungen. Eine Kosten-Nutzen-Abwägung habe offenbar nicht stattgefunden.
Die stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Carola Wolle forderte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) auf: „Stoppen Sie Ihr herzloses Bürokratiemonster und gönnen Sie den Hart-IV-Empfänger ein paar Euro.“
Einig waren sich die Redner der Redner der Regierungskoalition, dass sich Baden-Württemberg nun der Rechtsauffassung des Bundesarbeitsministeriums anschließen wird. Das Bundesarbeits- und Sozialministerium (BMAS) argumentiert, dass der Verzicht auf eine Rückforderung nicht nur sozialpolitisch sachgerecht sei, sondern sich auch rechtlich aus den Regelungen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) ableiten lasse: Nach Paragraf 40 Absatz 6 Satz 3 soll eine Rückzahlung von Leistungen nicht gefordert werden, wenn es ausschließlich um Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket geht. Im Wirtschaftsministerium beruft man sich in der Stellungnahme für den Landkreistag auf den Paragrafen 29 Absatz 5 des SGB II.
Letzte Entscheidung liegt im Einzelfall bei Jobcentern
Die Wirtschaftsministerin hält das Land allerdings gar nicht für zuständig, wie sie vor dem Landtag betonte. Sie warf der SPD vor eine Scheindebatte zu führen.
Die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, zu dem auch die Schülerbeförderung für Kinder aus Hartz-IV-Familien gehört, seien kommunale Leistungen, die vom Bund finanziert würden. Das Land könne deshalb weder etwas zurückfordern noch die Jobcenter anweisen, dies zu tun. Man habe auf Anfrage des Landkreistags nur eine rechtliche Einschätzung abgegeben.
Dies wäre gar nicht erforderlich gewesen, wenn das Bundesarbeitsministerium bereits im Mai mitgeteilt hätte, wie die Jobcenter verfahren sollten, setzte die Ministerin hinzu. Ein Schreiben des Ministeriums von Hubertus Heil (SPD) sei aber erst Mitte Juni in den zuständigen Ministerien der Länder eingetroffen. Da sei zu spät gewesen, um den Jobcentern für die Auszahlung im Juni Rechtssicherheit zu geben. Wie im Einzelfall über Rückforderungen entschieden wird, liegt jedoch ausschließlich bei den Jobcentern. Denn einig sind sich die Ministerien in Bund und Land zumindest in der Frage, dass ihre Rechtsauffassungen für die Jobcenter nicht bindend sind.