Debatten im Landtag vom 31. Januar und 1. Februar 2018

Einhellige Meinung: Rettungsdienst muss verbessert werden

Stuttgart. 72 Prozent der Rettungswagen und 60 Prozent der Notärzte erreichen in Baden-Württemberg innerhalb einer 10-Minuten-Frist den Notfallort. Knapp 95 Prozent der Rettungswagen und 90 Prozent der Notärzte sind nach 15 Minuten am Ziel. Über diese Zahlen hat der Landtag am Mittwoch diskutiert. Und dies – trotz parteipolitischer Differenzen – mit einem einhelligen Ergebnis: Beim […]

Stuttgart. 72 Prozent der Rettungswagen und 60 Prozent der Notärzte erreichen in Baden-Württemberg innerhalb einer 10-Minuten-Frist den Notfallort. Knapp 95 Prozent der Rettungswagen und 90 Prozent der Notärzte sind nach 15 Minuten am Ziel. Über diese Zahlen hat der Landtag am Mittwoch diskutiert. Und dies – trotz parteipolitischer Differenzen – mit einem einhelligen Ergebnis: Beim Thema Rettung muss etwas getan werden. Innenminister Thomas Strobl (CDU) will am 2. März den Anfang machen: Dann findet in seinem Haus ein Fachsymposium zum Thema Rettungsdienst statt.

Hans-Ulrich Rülke (FDP) erinnerte zu Beginn der Debatte daran, dass das Thema schon oft auf der Tagesordnung des Landtags stand – „ohne nachhaltigen Erfolg“. Das öffentliche Interesse sei durch die Recherchen des SWR jetzt deutlich gestiegen. Sogar die Notärzte beklagten den aktuellen Zustand. 20 Prozent der Bevölkerung in Randlagen würden erst nach 15 Minuten erreicht.

Es geben zu wenige Ausbildungsplätze für Notfallsanitäter, sagte Rülke. 350 seien nicht ausreichend. Ein weiteres Problem sei, dass Rettungswagen häufig als Krankenwagen eingesetzt würden und dann im Rettungsdienst fehlten. Die Landesregierung wisse seit Jahren um das Problem. Ihre Weigerung zu handeln könne Menschenleben kosten. Das Innenministerium habe sich jahrelang dem Problem verschlossen, monierte Rülke. Die Landesregierung müsse endlich ihre Aufsichtsrechte wahrnehmen. Rülke lobte den zuständigen Abteilungsleiter, der in einem SWR-Interview gesagt habe: „Wenn der Bedarf nicht erfüllt werden kann, dann muss man sich weitere Leistungsträger suchen“. Rülke schloss mit dem Appell: „Gehen Sie diese Probleme an.“

Andrea Schwarz (Grüne) erinnerte daran, dass die Rettungsdienste im Durchschnitt schon nach sieben Minuten am Ziel sind. Die doppelte Hilfsfrist für Rettungswagen und Notarzt sei ein hoher Anspruch, „aber das ist auch gut so“. Die Tatsache, dass diese Standards nicht flächendeckend eingehalten würden, sei „für uns Grüne, aber auch für die Landesregierung Aufgabe und Ansporn zugleich“. Die Kritik treffe jedoch nicht für das gesamte Land, sondern nur für einzelne Regionen zu, etwa im Rettungsdienstbereich Heilbronn.

Außerdem wäre es „eine verkürzte Sicht der Dinge“, sich nur auf die Rettungsfristen zu konzentrieren. Es nütze einem Patienten, der die einen Schlaganfall oder einen Herzstillstand hat, nichts, wenn die Hilfsfrist von zehn Minuten eingehalten werde. In so einem Fall müsse die erste Hilfe spätestens nach fünf Minuten da sein, was wiederum nicht landesweit garantiert werden könne. Deshalb sei die Fokussierung allein auf die Hilfsfrist falsch. „Wir müssen die gesamte Rettungskette anschauen.“ Vom Eintreten des Notfalls bis zur Übergabe im Krankenhaus sollte nicht mehr als eine Stunde vergehen.

Starke körperliche und psychische Belastung

Eine der Schwierigkeiten, das räumt auch Schwarz ein, sei der Fachkräftemangel. Man brauche sich nicht zu wundern, wenn junge Menschen den Beruf des Notfallsanitäters nicht ergreifen. Als Gründe nannte sie die niedrige Bezahlung, 45-Stunden-Wochen, Schichtdienst, die starke körperliche und psychische Belastung und die Gewissheit, den Beruf nicht bis ins Rentenalter ausüben zu können. Umschulungen oder Weiterbildungen, aber auch eine bessere technische Ausstattung der Rettungsfahrzeuge könnten helfen, einiger dieser Probleme in den Griff zu bekommen.

Ein zweiter Punkt sei die steigende Zahl an Fehleinsätzen. Viele Menschen riefen den Rettungsdienst, „weil sie Hilfe brauchen, jedoch oft nicht einschätzen können, an wen sie sich sonst wenden sollten“. Das liege zum einen am Rückgang der Zahl der Hausarztbesuche, zum anderen daran, dass die Leitstellen falsch disponierten. Die Helfer sollen nun besser ausgebildet und die Bevölkerung für das Problem sensibilisiert werden. Schwarz rief den Innenminister auf, 2018 seinen Fokus auf den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz zu legen, nachdem 2017 der inneren Sicherheit gewidmet worden sei.

Thomas Blenke (CDU) lobte das Engagement der Helfer, die 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr bereit seien zu helfen: „Diese Menschen verdienen unser aller Dank und Anerkennung.“ Die stetig steigenden Einsatzzahlen seien jedoch eine große Herausforderung. „Wenn diese Tendenz zu sehr überhandnimmt – und sie nimmt zum Teil sehr überhand –, dann werden die Rettungswagen blockiert.“ Blenke erinnerte daran, dass es eine eigene Telefonnummer für die kassenärztlichen Bereitschaftsdienste gibt. Diese müsse bekannter werden.

Beim Thema Personalmangel setzt Blenke auf den neuen Beruf des Notfallsanitäters. Baden-Württemberg habe bundesweit die höchsten Versorgungsmaßstäbe. In anderen Bundesländern gelte eine einfache Hilfsfrist, im Südwesten eine doppelte, die sowohl den Rettungswagen als auch für den Notarzt umfasst.

Bei lebensbedrohlichen Situationen seien kreative Lösungen gefragt, zum Beispiel Instruktionen am Telefon. Er kenne selbst einen Fall, wo das Leben eines Mannes gerettet wurde, weil der Disponent der Ehefrau gesagt habe, was sie tun muss, bis der Rettungswagen eintrifft. Auch die Technik könne helfen – indem sie zum feststellt, welcher Sanitäter sich am nächsten vom Notfallort befindet. „Wir sind in Baden-Württemberg gut aufgestellt“, fasste Blenke zusammen. Es gebe Herausforderungen – „daran arbeiten wir, daran arbeitet das Innenministerium“.

Christina Baum (AfD) sagte, dass man das Ergebnis der SWR-Recherche „nur als schockierend bezeichnen“ könne. Sechs Millionen Baden-Württemberger wohnten in Gebieten, in denen die Frist nicht eingehalten werde. Sie verwies darauf, dass in Hessen, wo eine einfache Rettungsfrist gilt, die Zehn-Minuten-Frist fast überall erfüllt werde. Fünf Minuten mehr könnten „den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten“. Wegen Überlastung und mäßiger Bezahlung sei zudem das Personal frustriert. „Die Einsatzzahlen im Rettungsdienst haben sich in den letzten Jahren praktisch verdoppelt. Das ist eine enorme Herausforderung für die Organisation dieses Dienstes“, ergänzte Baum. Nun sei das Innenministerium gefordert. „Den Evaluierungen und Prüfungen müssen endlich konkrete Maßnahmen folgen.“

Rainer Hinderer (SPD) sieht keinen Grund zur Panik. Insgesamt sei der Rettungsdienst in Baden-Württemberg gut aufgestellt. Die Qualität werde sich mit den neuen Notfallsanitätern nochmals verbessern. Die Luftrettung müsse besser eingebunden – auch deshalb, weil es nicht darum gehe, das nächstliegende, sondern ein geeignetes Krankenhaus anzusteuern. Ein anderes Problem sei die Struktur der Leitstellen. „Das Rettungsdienstwesen in Baden-Württemberg ist sehr kleinräumig strukturiert.“ Dies bedeute, dass viele Leitstellen sehr viele Aufgaben wahrnehmen, was unter Gesichtspunkten Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit nicht immer optimal sei.

„Dinge nicht schlechter reden, als sie sind“

Innenminister Thomas Strobl (CDU) stieg mit einem Lob auf den Rettungsdienst in seine Rede ein. Er zitierte drei SWR-Hörer, die die Rettungsdienste einhellig gepriesen hatten. „Deswegen sollten wir die Dinge auch nicht schlechter reden, als sie sind.“ Auch der Bürgermeister von Eberbach habe ihm diese Grundeinschätzung kürzlich bestätigt. „In der Rettungsdienstarbeit hat alles geklappt wie am Schnürchen“, berichtete er vom Einsatz nach dem Schulbusunfall im Januar.

Gleichwohl stehe das Land vor großen Herausforderungen. Strobl nannte den Ärztemangel im ländlichen Raum, die Überalterung der Gesellschaft und den Fachkräftemangel. „All diese Herausforderungen nehmen wir an. Wir stellen uns diesen Herausforderungen, und wir arbeiten an nachhaltigen Lösungen“, sagte der Innenminister. Strobl kündigte einen Musterbereichsplan an, der in den nächsten Wochen eingeführt werden soll. Wichtig sei, „dass wir die gesamte Rettungskette im Auge haben“. Der Minister räumte Kapazitätsprobleme beim Krankentransport ein. Dort kann er sich eine Gesetzesänderung vorstellen, wolle aber der Selbstverwaltung noch eine Chance geben.

Quelle/Autor: Michael Schwarz

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