Datenschutzbeauftragter Klingbeil spornt Landtag an
Stuttgart. Der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Jörg Klingbeil, hat die Abgeordneten des Stuttgarter Landtags und die Landesregierung zu mehr politischer Gestaltung unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes aufgefordert, Trotz fehlender Einflüsse auf internationale Praktiken gebe es immer noch genügend eigene Handlungsfelder für die Landespolitik, sagte Klingbeil am Donnerstag in seiner ersten Rede im Landtag.
In der Aussprache über den 31. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten forderte er die Parlamentarier auf: „Wehren Sie sich gegen alle Bestrebungen, die den Menschen zum Objekt staatlicher Überwachung wie kommerzieller Ausbeutung machen. Verhindern Sie, dass von Landesseite zentrale Datenbanken mit Individualdaten angelegt werden, wenn dies nicht zwingend erforderlich ist. Sorgen Sie für umfassende IT-Sicherheit samt wirksamer Verschlüsselungstechniken, soweit die Landesbehörden untereinander, aber auch mit den Kommunen oder den Bürgern in Verbindung treten. Und befähigen Sie die Menschen dazu, sich selbst zu schützen und ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wirksam wahrzunehmen.“
Die Nutzer von Facebook, Twitter oder WhatsApp – das mehr wert ist als der größte deutsche Stahlkonzern Thyssen-Krupp mit 180 000 Mitarbeitern – bräuchten offenkundig mehr Problembewusstsein und mehr Kenntnisse. Klingbeil sieht in der Datenschutzkompetenz einen Teil der Medienkompetenz. Daher schlug er konkret vor, den Schülern Medienkompetenz früher beizubringen und bereits im Bildungsplan der Grundschulen zu verankern sowie als prüfungsrelevantes Thema in den höheren Jahrgangsstufen und vor allem als Stoff in der Lehreraus- und -fortbildung. „Wirtschaftspolitisch wäre es für dieses Land zudem wichtig, dass Informatik im Unterricht ein stärkeres Gewicht erhält. Basiskenntnisse, wie ein Computer und das Internet funktionieren, sollte jeder haben. Das ist auch wichtig, um die Risiken für die eigene Privatsphäre besser abschätzen zu können“, erklärte der Datenschutzbeauftragt.
Klingbeil spricht sich gegen einheitliche Schülernummer aus
Klingbeil wandte sich gegen Pläne, jedem Schüler eine einheitliche Nummer in einer zentralen Datenbank des Landes zu vergeben. „Das Kultusministerium will es, ich bin von der Notwendigkeit nicht überzeugt.“ Zentrale Datensammlungen seien verführerisch und wecken Begehrlichkeiten zur Zweckänderung und Profilbildung. „Big Data heißt am Ende häufig nur Big Business“, sagte er unter Verweis auf neugierige Interessenten aus der Wirtschaft an so gewonnenen Daten.
Bedauerlich findet Klingbeil, dass es im Bund und Land keine großen Unterschiede macht, wer gerade als Innenminister amtiert. „Das ist bedauerlich“, stellte er fest. Denn er würde sich manchmal eine „fortschrittlichere Handschrift“ der aktuellen Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen gerade bei Sicherheitsthemen mit Datenschutzbezug wünschen. Dies gelte zum Beispiel für die „überfällige Änderung“ einer seit zehn Jahren verfassungswidrigen Regelung des Landesverfassungsschutzgesetzes, bei der es um den großen Lauschangriff geht. Es verdiene zwar Respekt, wenn der Verfassungsschutz nach Aussage der Regierung von diesem Instrument gar keinen Gebrauch mache; „aber dann kann man diese Regelung auch schlicht streichen.“ Eine fortschrittlichere Linie sei auch beim Polizeigesetz wünschenswert. Zudem forderte er die Novellierung des Landesdatenschutzgesetzes, um die Verfolgung und Ahndung von datenschutzrechtlichen Ordnungswidrigkeiten auf seine Dienststelle zu übertragen. Klingbeil schlug der Landesregierung außerdem eine Qualifizierungsoffensive Datenschutz vor.
„Ein Prüfstein werden die Haushaltsberatungen sein“
In der Koalitionsvereinbarung zwischen Grün-Rot sei für die laufende Legislaturperiode versprochen worden, den unabhängigen Datenschutz zu stärken, erinnerte Klingbeil die Regierungsfraktionen. „Ein Prüfstein hierfür werden die kommenden Haushaltsberatungen sein“, sagte Klingbeil. Da die Bedeutung des Datenschutzes dynamisch wachse und deshalb zukunftsträchtige Strukturen geschaffen werden müssten, gebe es Datenschutz nicht zum Nulltarif. Die Schaffung neuer Stellen sei notwendig. Auch schließe er sich den Worten von Bundespräsident Gauck („„Der Datenschutz sollte für den Erhalt der Privatsphäre so wichtig werden wie der Umweltschutz für den Erhalt der Lebensgrundlagen. Wir wollen und sollten die Vorteile der digitalen Welt nutzen, uns gegen ihre Nachteile aber bestmöglich schützen“) an.
Lob ernteten der Datenschutzbeauftragte und seine Behörde aus allen Fraktionen. Diese leisteten hervorragende, glänzende Arbeit, waren sich Bernd Hitzler (CDU), Alexander Salomon (Grüne), Anneke Graner (SPD) und Ulrich Goll (FDP) einig. Hitzler betonte allerdings auch die CDU-Forderung nach einem „Recht auf Vergessen werden“. Außerdem brauche der Rechtsstaat Mindestspeicherfristen, denn „ohne Vorratsdatenspeicherung sind Verbrechen nicht aufzuklären“. Datenschutz dürfe gerade bei Internet-Kriminalität, Kinder-Pornografie und organisierten Verbrechen nicht zum Täterschutz werden.
Datenschutz spüre jeder eigentlich täglich, sagte Salomon. Dabei gehe es um den Schutz von Menschen, um Persönlichkeitsschutz. Der Grüne sprach sich dafür aus, das Thema moderne Sprache und die Sprache der Rechner, das Programmieren, im Rahmen der Medienbildung ins Blickfeld der Schulpolitik zu nehmen. Für die SPD-Abgeordnete Graner reichen die gesetzgeberischen Kompetenzen des Landtags nicht aus, um dem Datenmissbrauch wirksam zu begegnen. Deshalb forderte sie eine Grundverordnung auf europäischer Ebene. „Unsere Aufgabe ist es, dem Bewusstseinsmangel entgegen zu treten und präventiv tätig zu werden“, sagte sie. Kinder sollten weiterhin auf Facebook ihre Hobbys und Urlaube posten können – „aber im vollen Bewusstsein, was mit ihren persönlichen Daten geschehen kann.“
Ulrich Goll (FDP) attestierte Baden-Württemberg ein „ordentliches, datenschutzrechtliches Niveau“. Zur Vorratsdatenspeicherung sagte der Liberale, diese sei an „ihren eigenen Übertreibungen kaputt gegangen“. Zur Speicherung von Daten bei der Polizei forderte Goll, diese – und vor allem Bagatellen – nicht viel zu lange zu speichern, da aufgeblähte Datensammlungen nicht sinnvoll nutzbar seien.