Abgeordnete fordern mehr Steuergerechtigkeit in Europa
Stuttgart. Die grün-rote Landesregierung und alle vier im Stuttgarter Landtag vertretenen Parteien haben sich für mehr Steuergerechtigkeit in Europa ausgesprochen. Allerdings werden die Ansätze für einheitliche Gestaltungen von Steuern und deren Durchsetzung von der Regierung und den Fraktionen unterschiedlich beurteilt.
Baden-Württemberg wolle das Problem der Steuerflucht angehen, auch wenn sie in manchen Ländern legal sei, sagte Finanzminister Nils Schmid (SPD) am Mittwoch in der von der SPD-Fraktion beantragten aktuellen Debatte. „Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt“, erklärte Schmid und rechtfertige eine entsprechende Initiative Baden-Württembergs, mit der sich am Freitag der Bundesrat beschäftigen wird.
Aus Sicht des Finanzministers sind Mindeststeuersätze in allen europäischen Ländern „notwendig, die für alle gelten müssen“. Es sei lange genug geredet worden, nun müsse gehandelt werden. Wenn europaweit eine Billion Euro an Steuern am Fiskus vorbei geschleust würden, sei dies „ein Schlag ins Gesicht der ehrlichen Steuerzahlen und ein „Mahnmal für herrschende Steuerungerechtigkeit“. Schmid bezeichnete es im Rückblick als „goldrichtig“, das vom Bund vorgeschlagene Steuerabkommen mit der Schweiz abzulehnen. Die Flut von Selbstanzeigen sei der Beweis dafür. Der SPD-Politiker setzt statt dessen auf „unsere Steuerverwaltung“ in Baden-Württemberg, die hervorragende Arbeit bei der Aufdeckung von Steuerhinterziehung leiste.
SPD unterstützt Bundesratsinitiative
In der Steuergestaltung der international tätigen Konzerne sieht Klaus Maier (SPD) einen „Schaden“ für die Gesellschaft: Diese Möglichkeiten seien „ungerecht“ und würden den Mittelstand benachteiligen. Er kritisierte, dass die Konzerne zwar ihre Gewinne in Niedrigsteuer-System drücken, aber gleichzeitig die Infrastruktur in Deutschland nutzen. Seine Fraktion unterstütze die Bundesrats-Initiative des Landes; er berechnete den Verlust Baden-Württembergs durch die Schlupflöcher im europäischen Steuersystem auf 950 Millionen Euro jährlich.
Gleichzeitig verwies Maier auf die Kompetenz in der Finanzverwaltung des Landes, die um 500 Stellen aufgestockt worden ist: „Wir haben Experten fürs internationale Steuerrecht, die im Kampf gegen Steuersünder helfen können.“ Er forderte ein Ende des Wettbewerbs um die niedrigsten Steuersätze und die „Trockenlegung“ der Steueroasen in Europa.
CDU warnt davor, „legale Steuermöglichkeiten mit Kriminellem“ zu vermischen
Der CDU-Abgeordnete Claus Paal warnte davor, „legale Steuermöglichkeiten mit Kriminellem“ zu vermischen. Das Problem müsse von den einzelnen Staaten gelöst werden, Steuerhinterziehung sei eine andere Sache. Legale Steuerumgehung werde von Staaten bewusst geschaffen, Schuld habe also die Politik. Paal hält nationale Alleingänge für falsch, denn Steuergerechtigkeit sei nur EU-weit lösbar. Er hinterfragte außerdem die Bundesrats-Initiative („Ist sie sinnvoll?“) des Landes, sei das Thema doch „weitgehend identisch“ mit den Vereinbarungen der CDU/SPD-Bundesregierung in deren Koalitionsvertrag. „Wir springen auf den falschen Zug“, warnte der Abgeordnete.
Muhterem Aras (Grüne) wies ebenfalls die hohen Steuermillionen hin, die dem Land durch die Steuerparadiese entgehen. Dies führe zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen internationalen Konzernen und den hiesigen Mittelständlern, Einzelhändlern und Handwerkern. „Wir müssen gemeinsame Regelungen gegen Steuerdumping schaffen“, sagte die Grüne und forderte mehr Transparenz in allen Bereichen des Steuersystems. Außerdem schlug sie vor, die Abgeltungssteuer für Zinseinkünfte auf den Prüfstand zu stellen. Diese sei einst lediglich eingeführt worden, um Geldtransfers ins steuergünstigere Ausland zu begegnen.
Rülke: „Das ist populistische Schaufensterpolitik“
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kritisierte die Debatte als „kleinen populistischen Beitrag zur Europawahl“. Der Forderung für einheitliche Steuerrechts-Standards könne er zustimmen, denn es dürfe auch für die Liberale keine „weißen Einkünfte“ geben, die weder in dem einen noch dem anderen Land versteuert werden müssen. Auch Betriebsausgaben dürften nicht steuerlich doppelt absetzbar sein. Das vom Finanzminister angestrebte einheitliche europäische Steuerrecht aber sei „eine Illusion“, die nicht durchsetzbar sei. Zudem könne man nicht, wie Schmid, für eine Hebesatz-Differenzierung in Deutschland argumentieren, wenn es gleichzeitig nicht möglich sei, einheitliche Steuersätze in ganz Europa durchzusetzen. „Das ist populistische Schaufensterpolitik, lassen Sie diesen Unsinn sein“, forderte Rülke den Minister auf.
Quelle/Autor: Wolf Günthner