70 Jahre nach Kriegsende zählt für Deutschland Europa
Stuttgart. An diesem Freitag jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal. Das hat die SPD-Fraktion am Mittwoch zum Anlass genommen, ein Thema auf die Tagesordnung des Landtags zu setzen, das die Gemeinsamkeit der Demokraten verdeutlichte. Alle Redner waren sich einig, dass der „8. Mai 1945 als europäische Geburtsstunde“ zu sehen ist, wie es im Titel der Debatte hieß. Und dass beide Dinge unauflösbar zusammengehören.
„Nur die europäische Integration hatte die Kraft, die Wunden, die der Zweite Weltkrieg geschlagen hatte, zu heilen“, sagte Europaminister Peter Friedrich (SPD). Diese Integration sei unumkehrbar. „Europa ist in 70 Jahren zu einer Wertegemeinschaft geworden“, ergänzte Guido Wolf, Fraktionsvorsitzender der CDU. Um ein selbstbewusstes „Wir sind Europa“ hinzufügen.
Alle Redner wiesen darauf hin, dass der Weg von der bedingungslosen Kapitulation bis zum europäischen Integration weit war. „Es hat lange gedauert, bis der 8. Mai auch bei uns das Tag der Befreiung gesehen werden durfte“, sagte Rita Haller-Haid, europapolitische Sprecherin der SPD. Sie dankte – ebenso wie nach ihr Wolf – Richard von Weizsäcker, dessen Rede vor 30 Jahren eine Zeitenwende markiert hatte. Nicht mehr nur im Rest der Welt, sondern auch in Deutschland gelte der Tag der Kapitulation seither für viele als Tag der Befreiung.
Versöhnung macht Neuanfang möglich
„Ein Neuanfang war möglich, weil die Sieger bereit waren zur Versöhnung.“ Daran erinnerte Haller-Haid. Und dass andere Länder, beispielsweise Griechenland, nicht das Glück hatten, erst Care-Pakete zu bekommen und dann den Marshall-Plan. Und dass es richtig sei, wenn deshalb jetzt über Reparationen geredet werde. Die größte Gefahr bestehe darin, wenn man versuche, es „gut sein“ zu lassen mit der Vergangenheit, „weil einen dann die Vergangenheit wieder einholt“.
„Wir haben uns daran gewöhnt, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es alles andere als selbstverständlich ist, Konflikte mit friedlichen Mitteln auszutragen“, sagte Niko Reith, europapolitischer Sprecher der FDP. Denselben Gedanke hatte auch Minister Friedrich. Für ihn in Europa gefordert – durch äußere Gefahren wie den Krieg in der Ukraine und durch innere wie den Anschlag auf das Satireblatt Charlie Hebdo. Erfreut zeigte er sich über die jüngsten Entwicklungen in Ex-Jugoslawien. „Ich finde es ein großes Glück, dass all diese Länder vereint sind in dem Gedanken, dass sie sich in die europäische Gemeinschaft integrieren, um den Frieden auf dem Balkan dauerhaft zu sichern“, sagte Friedrich.
Erinnerung an Julius Leber und Kurt Schumacher
Friedrich und Haller-Haid erinnerten an jene Politiker aus dem Südwesten, die den Nazis widerstanden und dafür mit Verfolgung, teils auch mit ihrem Leben, bezahlten. Darunter war der Sozialdemokrat Julius Leber, der vom Kreis um den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg als Innenminister vorgesehen war. Haller-Haid zählte weitere Namen auf, darunter Kurt Schumacher (SPD).
„Wir sind heute im Gedenken bei Menschen, die verfolgt, gequält, gefoltert und ermordet wurden“, sagte Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch (Grüne). „Wir verneigen uns vor diesen Menschen.“ Für ist die Konsequenz daraus, „den Bogen vom historischen Europa zum aktuellen Europa zu schlagen. Die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer ist eine Schande für Europa. Wir dürfen nicht weiter zuschauen, wie das Mittelmeer zum Massengrab wird“, sagte die Landtagsvizepräsidentin. Es müsse sichere Möglichkeiten geben, nach Europa zu kommen – beispielsweise auf einem Linienschiff. Wolf forderte die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, die Flüchtlingslast gemeinsam zu tragen. Bisher seien nur zehn Länder daran beteiligt.
FDP-Politiker Reith forderte von den Europäern mehr Engagement. „Wir dürfen nicht fragen: Was bringt uns Europa. Sondern: Was können wir für Europa tun?“. Und er erinnerte daran, dass der Krieg mit der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands nicht zu Ende war. „Drei Monate später explodierte die Bombe von Hiroshima. Drei Tage danach die Bombe von Nagasaki.“
Wolf und Haller-Haid wiesen darauf, dass Wachsamkeit nach wie vor angebracht ist, was die rechten Ränder der Gesellschaft angeht. Wolf sagte: „Es ist eine Schande, wenn vor jüdischen Einrichtungen deutsche Polizisten stehen müssen. Hier heißt erinnern: Wehret den Anfängen.“ Und Haller-Haid ergänzte: „Wir müssen auch vor unserer Haustür kehren. Antisemitismus und Rassismus sind nicht weniger, sondern mehr geworden.“