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Kantine 2040: Die Betriebsgastronomie soll sich weiterentwickeln
STUTTGART/KARLSRUHE. „Die Kantine hat sich verändert“, sagt Geschäftsführer Markus Wittich. Mit der „gourmet compagnie“ betreibt er verschiedene Betriebsgastronomien, etwa am Oberlandesgericht Stuttgart oder beim Staatsministerium. Damit meint er nicht, dass es mittlerweile – auch mit Schützenhilfe des Ministeriums für Ernährung und Verbraucherschutz – in öffentlichen Kantinen oft einen Anteil von 20 Prozent Bio- und regionalen Lebensmitteln gibt.
Oder dass neben dem Klassiker Wiener Schnitzel und Pommes oder Currywurst auch ein vegetarisches oder gar veganes Gericht zur Auswahl steht. Auch das Angebot an Frisch- und Rohkost an der Beilagentheke hat sich vielerorts enorm gesteigert. Der Caterer ist bio- und DGE-zertifiziert .
Die täglichen Essenszahlen sind eingebrochen
Doch seit der Corona-Pandemie haben die „Einrichtungen der Gemeinschaftsernährung“ ein großes Problem – vor allem, wenn es sich um „bürolastige“ Kantinen handelt. „Nur noch rund 30 Prozent der Bürotätigen sind potenziell vor Ort, der Rest ist im Homeoffice“, schätzt Wittich. Nicht nur die täglichen Essenszahlen sind eingebrochen, auch kleinere oder größere Veranstaltungen und Tagungen in den Behörden sind seltener geworden.
Dazu ist die Ware teurer geworden und die Energiekosten sind gestiegen – „bei Umsatzzahlen, die um die Hälfte reduziert sind“. Man versuche, so Wittich, mit Angeboten „von vegan bis Burger“ alle möglichen Leute anzusprechen, aber „der Markt ist härter geworden“. Und an der Preisschraube fürs Kantinenessen lässt sich kaum drehen. „Kantine funktioniert nur über die Menge“, ist Wittich überzeugt, „wenn die Leute ausbleiben, geht das nicht lange gut.“
Was Wittich für seinen Betrieb beobachtet, betrifft die ganze Branche, so Daniel Ohl, Pressesprecher der Dehoga Baden-Württemberg. Es gebe aktuell keine belastbaren Zahlen, aber dass die Büropräsenz durch Corona zurückgegangen sei und „so nicht mehr zurückkehrt“, stelle Kantinen vor Herausforderungen.
„Die Regelmäßigkeit der Kantinenbesuche ist so nicht mehr gegeben, das erschwert die Planbarkeit und macht es für Betreiber nicht einfacher.“ Und diese müssten sich „mit den massiven Kostensteigerungen auseinandersetzen“.
Andererseits sei die Qualität in den Kantinen steil nach oben gegangen, nicht zuletzt „weil eine gute Verpflegung als Instrument der Mitarbeitergewinnung und -zufriedenheit gesehen wird“, betont der Dehoga-Pressesprecher Ohl. Dass sich im Bereich Gemeinschaftsverpflegung viel tut, belegt auch die Neuauflage des Kantinentest 2023. Zum fünften Mal zeichnete die unabhängige Initiative Food & Health innovative Konzepte in der Betriebsgastronomie aus, darunter auch Unternehmenskantinen aus Baden-Württemberg.
„Lebensmittelknappheit, Preissteigerungen und Klimawandel – das Spannungsfeld, in dem Kantinen täglich agieren, hat sich 2022 noch einmal verschärft“, sagt Theresa Geisel, Vorsitzende der Initiative Food & Health.
Die Zukunftskantine ist ein multifunktionaler Marktplatz
„Hinzu kommt die Herausforderung, sich als attraktiven Ort zu präsentieren, an dem Mitarbeitende die Wertschätzung des Unternehmens ganz direkt erleben können“, sagt Geisel. Doch angesichts des Fachkräftemangels in fast allen Branchen entwickle sich die Betriebsgastronomie zu einem Stützpfeiler des Employer Brandings.
„Kantinen müssen sich zu multifunktionalen Marktplätzen entwickeln, an denen Menschen nach der Corona-Pandemie gerne wieder zusammenkommen“, so Nicole Graf, Rektorin der DHBW Heilbronn und Mitbegründerin des deutschlandweit ersten Studiengangs BWL-Food Management.
Um zukunftsfähige Konzepte für die betriebliche Gastronomie in einer hybriden Arbeitswelt zu entwickeln, initiieren etwa die Stuttgarter Fraunhofer-Institute für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie für Bauphysik IBP das Innovationsnetzwerk „Future Corporate Food“. Gemeinsam mit Kooperationspartnern wollen sie eine „Zukunftsvision für die Kantine 2040“ entwickeln.
Blick auf neue Arbeitsformen und Ernährungstrends
Die Kantine der Zukunft reagiert auf neue Arbeitsformen und Ernährungstrends. „Durch das multilokale Arbeiten ergeben sich viele Wahlmöglichkeiten, die gute Erholungsräume und Food-Konzepte zu wichtigen Attraktoren des Bürostandorts machen“, so Vanessa Borkmann vom Fraunhofer IAO. Das Netzwerk mit verschiedenen Partnern dient dem Austausch, im Projekt sollen aber auch permanent neue Ergebnisse für Strategie und Praxis entstehen.