Debatten im Landtag vom 13. und 14. Juni 2018

SPD: „Sie haben die Menschen mit Behinderung schlicht vergessen“

Stuttgart. 5900 Menschen in Baden-Württemberg dürfen – Stand heute – nicht an Kommunalwahlen teilnehmen, weil sie unter Vollbetreuung stehen. Daran hat sich auch an diesem Mittwoch nichts geändert. Auf der Tagesordnung des Landtags stand eine Änderung des Kommunalwahlrechts. Das Gesetz, das gegen die Stimmen der AfD und bei Enthaltung der SPD verabschiedet wurde, enthält keine […]

Stuttgart. 5900 Menschen in Baden-Württemberg dürfen – Stand heute – nicht an Kommunalwahlen teilnehmen, weil sie unter Vollbetreuung stehen. Daran hat sich auch an diesem Mittwoch nichts geändert. Auf der Tagesordnung des Landtags stand eine Änderung des Kommunalwahlrechts. Das Gesetz, das gegen die Stimmen der AfD und bei Enthaltung der SPD verabschiedet wurde, enthält keine Änderung, was Menschen angeht, die unter Vollbetreuung stehen.
„Sie haben an viele gedacht bei dieser Gesetzesänderung, an die kleinen Gemeinden, an die Wahllistenaufstellung, an Neuwähler“, lobte Rainer Stickelberger (SPD) und fuhr mit einem Tadel fort: „Sie haben die Menschen mit Behinderung in diesem Land schlicht vergessen.“ Erst die SPD habe die Regierung „aus dem Dornröschenschlaf geweckt“. Und nun verstecke sich Grün-Schwarz hinter dem Bund und dem Bundesverfassungsgericht.
Innenminister Thomas Strobl (CDU) reagierte auf Stickelbergers Kritik verärgert: „Dass die Landesregierung die Behinderten vergessen habe, weise ich mit aller Entschiedenheit zurück.“ Grün-Schwarz orientiere sich an der UN-Behindertenrechtskonvention und an einer vom Bund in Auftrag gegebenen Studie. Ein ersatzloser Wegfall des Ausschlussgrunds für betreute Menschen werde dort ausdrücklich nicht empfohlen.
Das Problem bestehe darin, „dass unter den Betreuten eben auch Personen sind, die aufgrund ihrer Behinderung tatsächlich nicht in der Lage sind, eine eigene Wahlentscheidung zu treffen“. Zum Beispiel Menschen, die an fortgeschrittener Altersdemenz litten. Und für die kein anderer die Wahlentscheidung treffen dürfe.
In der aktuellen Situation sei eine Beteiligung der Landesbehindertenbeauftragten Stephanie Aeffner an dem Gesetzentwurf nicht erforderlich gewesen, erläuterte Strobl. Diese Bemerkung rief erneut die SPD auf den Plan: „Wäre ich an der Stelle von Frau Aeffner oder Mitglied im Landesbehindertenbeirat, würde ich mir gut überlegen, ob ich unter diesen Voraussetzungen mein Amt noch länger ausüben würde“, sagte Sabine Wölfle (SPD).
Von Grün-Schwarz waren auch andere Töne zu vernehmen. Bettina Lisbach (Grüne) äußerte die Absicht, „die Wahlrechtsausschlüsse vor der Kommunalwahl 2019 zu streichen“. Die Landesregierung wolle lediglich ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten. Dies ignoriere die SPD.
Ähnlich argumentierte Ulli Hockenberger (CDU). Er erkannte an, dass den Innenausschuss „der Antrag der SPD zum inklusiven Wahlrecht intensiv beschäftigt“ habe. Ihn schmerze der Vorwurf fehlender Empathie. Es gehe nur um eine zweifelsfreie Rechtsgrundlage.
Aus Sicht von Ulrich Goll (FDP) hätte trotzdem nichts dagegen gesprochen, der betroffenen Personengruppe schon an diesem Mittwoch das Wahlrecht zuzusprechen. Bei einer negativen Entscheidung aus Karlsruhe hätte man es ja immer noch ändern können.

Quelle/Autor: Michael Schwarz

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13. und 14. Juni 2018