Minderjährige Flüchtlinge: Nein zur Beweisumkehr
Stuttgart. Nach Einschätzung des Landesjugendamts sind rund ein Drittel der als unbegleitete Minderjährige („UMA“) geführten Flüchtlinge eigentlich volljährig. Das hat die FDP zum Anlass genommen, am Mittwoch im Landtag einen Antrag zur Altersfeststellung und zur Einführung einer Beweislastumkehr zu stellen. Unterstützung kam von der AfD. Grüne, CDU und SPD lehnten den Vorschlag ab. Grün-Schwarz wies auf ein vom Sozial- und vom Innenministerium gemeinsam erarbeitetes Konzept zur Bestimmung des Alters hin, dessen Eckpunkte kurz zuvor bekannt geworden waren.
In dem Antrag fordert die Fraktion der Liberalen die Landesregierung auf, „eine Bundesratsinitiative einzubringen, mit der zum Einen eine Umkehr der Beweislast für den Fall angestrebt wird, dass ein angeblich minderjähriger Flüchtling eine Untersuchung zur Altersfeststellung ablehnt, und zum Anderen dafür gesorgt werden soll, dass künftig die Ausländerbehörden direkt bei der Einreise die Altersfeststellung verbindlich für alle Behörden vornehmen“.
Für FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke „verlangt der gegenwärtige Zustand nach Veränderung“. Für Land und Kommunen ergäben sich Mehrkosten in Millionenhöhe. Außerdem habe der Status quo „deutlichen Einfluss auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“. Nicht zuletzt sprach Rülke von einer „Motivation von Straftätern“, die sich als Jugendliche ausgeben würden, wie die jüngsten Mordfälle in Freiburg und Mainz zeigten.
Dabei geht es für Rülke auch darum, im Zweifelsfall eine Röntgenuntersuchung, zum Beispiel der Handwurzel, zur Altersfeststellung machen zu können. Da nicht alle Oberlandesgerichte dies für zulässig befinden, wenn der Betroffene nicht einverstanden ist, will Rülke über die Bundesratsinitiative eine klare gesetzliche Grundlage erreichen. Er warf der CDU vor, dass sie sich in der Koalition nicht durchsetzen könne, obwohl ihr Fraktionschef Wolfgang Reinhart selbst die Beweislastumkehr befürwortet habe.
Bernhard Lasotta (CDU) sprach zwar von einer erheblichen finanziellen Belastung, wenn falsche Altersangaben gemacht würden, da das Land den Kommunen pro UMA im Jahr 20.000 Euro erstattet. Er war sich jedoch mit dem Vertreter der Grünen-Fraktion, Daniel Lede Abal einig, dass die von der Landesregierung aktuell vorgeschlagenen Maßnahmen ausreichend sind.
Rainer Hinderer (SPD) machte deutlich, dass „für uns der Schutz junger Menschen Priorität hat“. Seiner Ansicht nach reichen die Maßnahmen aus, die CDU und SPD auf Bundesebene vereinbart haben. In Bezug auf das Konzept der Landesregierung kritisierte er, dass zu viele Fragen offenbleiben würden.
Daniel Rottmann (AfD) warf ein, dass das System der Altersfeststellung nach seiner Ansicht nicht funktioniere, weshalb seine Fraktion den Antrag der FDP unterstütze. Im gleichen Atemzug forderte er Strobl zum Rücktritt auf.
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) und Innenminister Thomas Strobl (CDU) erläuterten das neue Konzept der Landesregierung. Dahinter stehe der Wunsch, rasch zu Verbesserungen zu kommen. Ihrer Ansicht nach würde eine Bundesratsinitiative viel zu lange dauern. Die Altersfeststellung soll künftig zentral im Ankunftszentrum in Heidelberg vorgenommen werden, gemeinsam von Polizei, Ausländerbehörde und Jugendamt.
„Wir wollen mehr Erkenntnisse nutzen, auch psychologische und sozialpädagogische“, betonte Lucha. Dies sei durch die enge Verzahnung und die gebündelte Expertise möglich. Dadurch sei auch gewährleistet, dass die Altersfeststellung für alle Behörden im Land verbindlich erfolge. Dies sei mit den Verbänden und Heidelberg abgestimmt, die sich alle für das Verfahren ausgesprochen hätten. Nach Angaben von Lucha sind gegenwärtig in Baden-Württemberg insgesamt 2396 minderjährige Flüchtlinge von Jugendämtern in Obhut genommen worden
Das Verfahren soll innerhalb eines Tages abgeschlossen werden. Es kann auch medizinische Untersuchungen wie etwa Röntgenaufnahmen einschließen. Im Fall der Unklarheit könnte auch eine zweite Untersuchung nötig sein, räumte Lucha ein. Strobl betonte, dass er sich schon im April mit Lucha verständigt habe und nicht erst auf Druck der FDP.
Rülke bezweifelte, ob es zulässig sei, dass diejenigen, die sich nicht einer Altersfeststellung unterziehen wollen, nun automatisch für volljährig erklärt würden, wie Strobl erklärte. Wenn dies in anderen Bundesländern, wie in Hamburg und im Saarland, unbeanstandet praktiziert werde, sehe er darin auch für Baden-Württemberg keine Probleme, betonte der Innenminister.