Landtag uneins über Anstrengungen am Ausbildungsmarkt
Stuttgart. Fast zeitgleich haben Bundestag und Landtag am Donnerstag über die Situation am Ausbildungsmarkt diskutiert. Angesichts eines Höchststandes an unbesetzten Ausbildungsstellen zeigte sich Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) in Berlin ebenso besorgt wie die Abgeordneten im Landtag.
In beiden Parlamenten waren sich die Politiker darüber einig, dass die Attraktivität der beruflichen Ausbildung gestärkt werden muss. Hintergrund der Debatten ist die Tatsache, dass die Bereitschaft der Betriebe, Ausbildungsplätze bereit zu stellen, auf den tiefsten Stand seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 gesunken sind. Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes schlossen im vergangenen Jahr nur noch 525 300 Jugendliche einen Ausbildungsvertrag ab. Das waren 4,3 Prozent weniger als 2012. Im Rekordjahr 1999 wurden mehr als 635 000 Ausbildungsverträge unterzeichnet. Die Gesamtzahl der Auszubildenden sank mit 1,39 Millionen auf einen neuen Tiefstwert.
Auch im Musterland Baden-Württemberg ist die Situation prekär. Staatssekretär Ingo Rust (SPD) verwies zwar auf die boomende Wirtschaft, gleichzeitig gebe es aber weniger Jugendliche, die nachkommen. „Wir steuern auf einen Nachwuchsmangel zu“, erklärte Rust. Im September 2013 gab es im Südwesten zwar 5000 freie Ausbildungsplätze, gleichzeitig waren aber 800 Jugendliche unterversorgt. Deshalb hat die Landesregierung nicht nur verstärkt Jugendliche mit Migrations-Hintergrund im Visier, sondern nach Aussage des Staatssekretärs „ganz Europa im Blick“, um die Lehrstellen zu besetzen. Mit dem Sonderprogramm MobiPro-EU sollen junge Menschen zwischen 18 und 35 Jahren aus EU-Staaten für vakante Ausbildungs- und Facharbeiterplätze gewonnen werden. Dazu gehören Deutschkurse im Heimatland, Reisekostenpauschalen zum Bewerbungsgespräch, Hilfen zum Lebensunterhalt und Leistungen während des Anpassungspraktikums.
FDP: Bildungssystem mit falschen Anreizen
Der FDP-Abgeordnete Leopold Grimm warf der grün-roten Landesregierung allerdings Versäumnisse in der Berufsausbildung vor. Mit der im Koalitionsvertrag verankerten Absicht, mindestens die Hälfte aller Jugendlichen zum Abitur und zum erfolgreichen Studium zu führen, vernachlässige und entwerte sie die duale Ausbildung. Die Gemeinschaftsschulen seien kein Ersatz für wegfallenden, stark berufsorientierten Werkrealschulen. Dies sei ein Bildungssystem mit falschen Anreizen, kritisierte Grimm.
Auch Katrin Schütz (CDU) urteilte, Grün-Rot schwäche durch die Gemeinschaftsschule das seit 2004 praktizierte Ausbildungsbündnis, das zwischen Regierung, Wirtschaft, Handwerk, Gewerkschaft und Arbeitsagentur in diesem Jahr verlängert werden muss. Sie habe den Eindruck, die Regierung arbeite gegen die Ziele des Bündnisses. „Die CDU will, dass Schüler die Schule nicht nur besuchen, sondern auch erfolgreich abschließen“, betonte Schütz. Obwohl kleine Betriebe inzwischen Nachwuchssorgen haben, schließe Grün-Rot Kleinklassen an beruflichen Schulen. Dabei seien Fachkräfte mit Berufsausbildung in Baden-Württemberg mittlerweile Mangelware.
Abgeordnete von Grünen und SPD wiesen die Vorwürfe zurück. Siegfried Lehmann (Grüne) nannte die Debattenbeiträge der Opposition „unterirdisch“. Nicht die Gemeinschaftsschulen, bei denen ja es überhaupt noch keine Abgänger gebe, hätten das duale System geschwächt, sondern CDU und FDP. 8000 junge Menschen würden keine Ausbildungsplätze bekommen. „Wir fahren das duale System nicht an die Wand“, sagte Lehmann. Er zeigte sich auch besorgt über die extrem hohen Abbrecherquoten bei der Ausbildung und über die Tatsache, dass 15 Prozent der jungen Menschen überhaupt keine berufliche Ausbildung durchlaufen haben.
SPD: Bildungsaufstieg auch nach beruflichen Ausbildung möglich
Auch Hans-Peter Storz (SPD) bekannte sich zur dualen Ausbildung. Seine Fraktion werde für eine gute Lehrerversorgung an den Berufsschulen sorgen; auch die regionale Schulentwicklung stehe für diese Schulart im Raum. Für Storz ist außerdem klar, dass es ohne Zuwanderung nicht gelingen kann, den Bedarf an qualifizierten Nachwuchskräften zu decken. Außerdem, so Storz und Staatssekretär Rust, sei auch nach einer beruflichen Ausbildung ein Bildungsaufstieg möglich.
Allerdings ist in Baden-Württemberg die Situation nicht so prekär wie in Gesamt-Deutschland, wo es 1,4 Millionen junger Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Ausbildung gibt. Nach den Worten Wankas wird es immer schwieriger, bei Lehrstellen Angebot und Nachfrage passgenau in Deckung zu bringen. Wichtig sei, auch leistungsstarke Schulabgänger oder Studienabbrecher für die berufliche Ausbildung zu gewinnen. Nötig seien übergreifende Lösungsansätze, „um nicht in diesen Engpass zu laufen, vor dem uns allen graut“. Einfache Lösungen gebe es nicht. An die Betriebe appellierte sie, „nicht in den Ausbildungsanstrengungen nachzulassen“.