Ende der Sargpflicht als Angebot zur Integration
Stuttgart. „Wer ein Bestattungsgesetz ändert, sollte dies auf eine breite Basis stellen. Dies ist uns gelungen.“ Mit diesen Worten eröffnete Thomas Reusch-Frey (SPD) die Debatte zum Bestattungsgesetz – oder eher, den Austausch von Redebeiträgen und Freundlichkeiten zwischen den vier Fraktionen, die den Entwurf dazu gemeinsam erarbeitet haben. Unterschiedliche Akzente wurden dennoch gesetzt.
Reusch-Frey erläuterte die wesentlichen Änderungen zur bisherigen Gesetzeslage. Beim Thema Tod sei „Trost und Hoffnungskraft der Religion“ besonders wichtig. Dem trage das Gesetz Rechnung. „Integration darf nicht mit dem Tod enden“ . Ein Ort der Trauer müsse daher der Nähe der Menschen, die bei uns leben, ermöglich werden – damit diese, um religiöse Verpflichtungen zu erüllen, nicht darauf angewiesen seien, Verstorbene in ihre Herkunftsländern zu überführen. Zwei Punkte seien bisher für Muslime, aber auch für jüdische problematisch gewesen. Zum einen die bisher gesetzlich vorgesc hriebene Wartezeit von mindestens 48 Stunden zwischen Tod und Bestattung, die nun aufgehoben wird. Ferner die Sargpflicht. Nun wird auch die Erdbestattung in Tüchern ermöglicht, wie sie muslimischem Brauch entspricht. Diese sei „alles andere als eine Sparversion“. Auch ethische und ästhetische Bedenken gegen diese Praxis griffen nicht, so Reusch-Frey. Denn auf dem Weg zwischen Aussegnungshalle würden Verstorbene auch künftig im Sarg transportiert; erst im Grab selbst gebe es keine Sargpflicht mehr. Das Recht der ewigen Ruhe, für Muslime wie im jüdischen Glauben wichtig, habe bereits nach geltender Rechtslage in Friedhofssatzungen Eingang finden können. Manches bleibe aber bestehen: So vor allem eine wertorientierte Haltung zur Bestattung. An der Friedhofspflicht werde deshalb festgehalten, „Trauer ist eine gemeinschaftliche Angelegenheit“. Zwar würden die Möglichkeiten zur Urnenbestattung ausgeweitet. „Urnen auf dem Fenstersims oder das Ausstreuen der Asche im Garten“ aber seien auch künftig ausgeschlossen.
Angebot an muslimische Mitbürger, Baden-Württemberg als Heimat zu sehen
Thaddäus Kunzmann (CDU) betonte, Baden-Württemberg wolle den muslimischen Mitbürgern, zum Teil bereits in der dritten Generation hier, eine gute Heimat sein. Daher das Gesetz, mit dem man es ihnen ermögliche, Verstorbene dort zu begraben, wo sie sich zuhause fühlten. Bisher würden lediglich vier Prozent der Migranten muslimischer Religionszugehörigkeit hier bestattet. Die übergroße Mehrheit der Verstorbenen würde dafür in die alte Heimat, in der Regel die Türkei, zurückgeflogen. Das neue Bestattungsgesetz sei ein Angebot an diese Mitbürger, Baden-Württemberg als ihre Heimat zu sehen. Auf der anderen Seite sei es darum gegangen, „die Kommunen nicht zu überfordern und nicht zu zwingen.“ Beide Maßgaben der CDU für ein verändertes Gesetz seien erfüllt.
Man verstehe Bedenken von Bestattern, etwa wegen des Wegfalls der 48-Stunden-Frist. Allerdings bestehe kein Rechtsanspruch auf eine umgehende Bestattung. Dies sei auch für die Kommunen wichtig: So bestehe etwa keine Notwendigkeit für einen Bereitschaftsdienst am Wochenende. Die Möglichkeit zur Urnenbestattung seien erweitert worden, aber so behutsam, dass dadurch „kein Geschäftsmodell für Private“ geschaffen wurde.
"Gewandelter gesellschaftlicher Realität und Bedürfnissen" Rechnung tragen
Bedenken der Bestatter seien schon mit Blick auf die Zahlen zu zerstreuen, meinte für die Grünen Manfred Lucha. Bloß 600 000 muslimische Mitbürger und 9000 jüdischen Glaubens gebe es unter den rund 10,8 Millionen Einwohnern Baden-Württembergs. Viele hätten bisher teure Versicherungen abschließen müssen, um Verstorbenen eine Bestattung in der Türkei zu ermöglichen. Für die Angehörigen der dritten Generation im Land „ist das keine annehmbare Lösung mehr“, so Lucha. Das Gesetz verdeutliche die „Anerkennung und Akzeptanz“ dieser Mitbürger. „Riten sind wichtig, gerade im Umgang mit dem Tod“, so Lucha. Die vorgeschlagenen Änderungen würden einer gewandelten „gesellschaftlichen Realität und den Bedürfnissen der Menschen entsprechen.“
Freilich hätten Anhänger freiheitlicher Vorstellungen sich noch weitergehende Änderungen, etwa bei der Urnenbestattung vorstellen können. „Vielleicht in zehn Jahren“, prognostizierte Lucha.
Der angemessenen Sorgfalt und Sensibilität hätten alle Rechnung getragen, lobt auch Jochen Haußmann (FDP). Er erinnerte an die „sehr umfangreiche öffentliche Anhörung“ zum Gesetz im vergangenen Oktober und empfahl deren Protokoll als Informationsspeicher, aus dem selbst Pfarrer und Bestatter noch etwas lernen könnten. „Die Lebenswirklichkeit in Baden-Württemberg mit der Vielfalt der Kulturen und Religionen“ finde nun auch Eingang in das Bestattungsgesetz und damit auch die „Rechtwirklichkeit“, sagte Haußmann. Wichtig sei seiner Partei auch, dass es bei Gestaltung der Friedhofsordnung auch künftig „weitgehende Ausgestaltungsmöglichkeiten für die Kommunen“ gebe.
Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) zufolge zeigt das Gesetz und seine breite Basis, das Baden-Württemberg ein weltoffenes Land sei. Menschen anderer Nationen müssten viele Schritte hin zur Integration gehen. Doch diese sei keine Einbahnstraße – und Schritte zu mehr Integration daher auch vonseiten der Mehrheitsgesellschaft nötig. Gerade auch in diesem Punkt. Denn die Bestattung „ist ein zentraler Bestandteil der kulturellen Identität“, sagte Altpeter: „Riten spenden Halt und Trost“.
Der Wechsel in der Terminologie – künftig ersetzt nahezu durchgehend im Gesetzestext das Wort „Verstorbenen“ das bisher gebrauchte Wort „Leichen“ – bilde zudem „eine bessere Basis für den würdigen Umgang mit dem Sterben und dem Tod.“