Polizeireform erhitzt erneut die Gemüter
Stuttgart. Das Gesetz zur umfassenden Strukturreform der Polizei in Baden-Württemberg ist auf dem parlamentarischen Weg und soll noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Während Innenminister Reinhold Gall (SPD) den Entwurf bei der ersten Lesung im Landtag als eine überfällige Modernisierung bezeichnete, die nicht nur der Polizei diene, sondern allen Bürgern im Land; warf die Opposition dem Innenminister vor, das Augenmaß bei der Reform verloren zu haben, die Bedürfnisse der Polizeibeamten zu missachten und hohe Kosten bei wenig Nutzen zu verursachen.
Innenminister Gall führte erneut die Gründe für eine komplette Neustrukturierung der Polizei ins Feld. „Bei der Amtsübernahme habe ich damals nicht gedacht, in welchem Maß die Polizei selbst nach Veränderung verlangt“, sagte Gall. Der Zustand des Polizeiapparates hätte 2011 nur zwei Möglichkeiten offengelassen: mehr Personal einzustellen und mehr Geld in das System zu stecken – was die Haushaltslage nicht hergegeben habe – oder aber die Organisation so zu verändern, dass die Polizei mit dem, was sie an Ressourcen habe, auch zurechtkomme. „Statt auf teure externe Gutachter zu setzen, sind wir den anderen Weg gegangen und haben auf die Eigenanalyse der Polizei gesetzt“, sagte Gall, der den gesamten Entwicklungsweg mit Projektgruppe und Lenkungskreis schilderte und den breit angelegten Beteiligungsprozess hervorhob.
„80 Prozent der Vorschläge der Mitarbeiter sind in die Eckpunkte der Reform eingeflossen“, sagte Gall. Allein aus den Reihen der Polizei seien 166 Vorschläge zur strukturellen Veränderung gekommen. Diese Beteiligung habe ihn sehr beeindruckt, so Gall. „Viele haben ihre Person hinten angestellt und sachliche Vorschläge gemacht.“ Der Innenminister äußerte sein Bedauern darüber, dass diese Reform auch mit Umsetzungen verbunden sei. „Es ist so: Personal folgt Aufgabe“, sagte Gall. 50 Prozent der Betroffenen hätten vom Interessensbekundungsverfahren Gebrauch gemacht. „Soweit es irgend machbar ist, werden wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Maßnahmen so sozialverträglich wie irgend möglich umzusetzen“, versprach der Innenminister, der zudem den gesamten Prozess als so transparent wie möglich lobte. „Wir haben allein 120 Landtagsanfragen zu diesem Thema beantwortet, wir haben mehrere Debatten geführt, wir haben 390 Antwortschreiben ins Land geschickt und alle interessierten Bürger hatten die Möglichkeit, die Eckpunkte schon im Vorfeld zur Kenntnis zu nehmen.“
Gall warb erneut für die Unterstützung der Oppositionsparteien für die Reform. „Wir können erstmals gewährleisten, dass wir überall im Land professionell geführte Lage- und Einsatzzentren haben und durch die organisatorische Veränderung die Sicherheit der Bürger im Land dauerhaft gewährleisten.“ Zudem könne man neuen Aufgaben – etwa der Bekämpfung von Cyberkriminalität oder Kinderpornographie im Internet – mit der neuen Struktur deutlich besser begegnen.
Blenke: "Markenkern der Polizei war bisland Bürgernähe und Präsenz vor Ort"
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Thomas Blenke, warf dem Innenminister dagegen vor, die Chance verpasst zu haben, eine Reform mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand zu machen. „Eine Reform von der Polizei für die Polizei?“ fragte Blenke, „wir alle hören jeden Tag den Menschen und den Beamten in unseren Wahlkreisen zu und finden niemanden, der sagt, diese Reform ist der große Wurf und genau das, was wir brauchen.“ Der Markenkern der Polizei im Land bislang sei Bürgernähe und Präsenz vor Ort gewesen, so Blenke; und die Polizei, die Grün-Rot beim Regierungswechsel übernommen habe, sei effektiv, leistungsstark und wirtschaftlich gewesen. Blenke kritisierte zudem die Aufblähung des teuren B-Besoldungsapparates, die neuen Gebietszuschnitte für die Direktionen und den Umgang mit den Mitarbeitern.
Dagegen warf Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) der CDU vor, eine überfällige Reform jahrelang verschleppt zu haben und jetzt nach „eineinhalb Jahren intensiver Diskussion immer noch ein Zerrbild der Reform“ zu zeichnen. „Jahrelang haben Sie der Polizei moderne Organisationsstrukturen sträflich verweigert, obwohl viele Pläne auf dem Tisch lagen“, warf Sckerl CDU und FPD vor. „Sie haben nie den Mut zu einer Reform gehabt.“ Die Polizei sei daher jahrelang einer Extrembelastung ausgesetzt gewesen. Wichtig sei, dass es keine Postenverschiebung gebe. „Wir garantieren den Erhalt aller Polizeireviere im Land“, sagte Sckerl. „Uns ist es wichtiger, dass Oma Häberle aus dem Haus geht und zwei Häuser weiter ihren Polizisten vorfindet, als überall Polizeidirektionen zu haben“. Das Beteiligungsverfahren lobte Sckerl als bundesweit vorbildlich und übte erneut Kritik an der Vorgängerregierung: „Bei ihnen war die Polizei doch nur Vollzugsgehilfe der Politik, aber der Sachverstand war nicht gefragt“, sagte Sckerl unter empörten Zurufen von CDU und FDP.
Auch Nikolaos Sakellariou (SPD) warf CDU und FDP vor, die Reform und damit die innere Sicherheit des Landes schlecht zu reden. Wichtig sei auch, darauf zu verweisen, was sich nicht ändere: „Die Reviere und Posten vor Ort, dass man die 110 anrufen kann und die selbe Person in der selben Zeit wie bisher vor Ort sein wird.“ Die Basisversorgung im ländlichen Raum werde auch weiter gesichert sein – und zudem werde vieles besser; etwa mit der Einführung der neuen Leitstellentechnik oder des Kriminaldauerdienstes (KDD). Auch der SPD-Politiker lobte den Entwicklungsprozess der Reform, bei dem auf Sachverstand der Polizei gesetzt worden sei, sowie das Interessensbekundungsverfahren für die Beamten. „Wenn das gelingt, wird es hier in Baden-Württemberg der Standard werden.“
Goll: Reform wird kostenmäßig "völlig aus dem Ruder laufen"
Für die FDP lobte Ulrich Goll die Leistungsfähigkeit der baden-württembergischen Polizei. „Wer sagt, er habe mit dieser Polizei große Probleme übernommen, gibt sich bundesweit der Lächerlichkeit preis“, sagte Goll. Wie auch der der CDU-Abgeordnete Blenke lobte Goll einzelne Teile der Strukturreform. „Es sind gute Ideen da. Aber bei mir dominiert der Eindruck, dass die ganzen guten Ideen auch ohne große Strukturreform umzusetzen gewesen wären“, sagte Goll, „und dann wäre es viel billiger geworden.“ Goll zeigte sich überzeugt davon, dass die Polizeireform kostenmäßig „völlig aus dem Ruder“ laufen werde.
Die Reform soll im Januar 2014 in Kraft treten und betrifft mit über 24 000 Beamten einen der größten Verwaltungsapparate im Land. Die Kosten werden auf 123 Millionen Euro in 15 Jahren veranschlagt. Kern der Reform ist die Verschmelzung der bisher 37 Polizeipräsidien und vier Landespolizeidirektionen zu insgesamt zwölf neuen Polizeipräsidien.