Streit um Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an EU-Abgeordneten Cohn-Bendit
Stuttgart. Die Fraktionen von CDU und FPD haben Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in einer heftig geführten Debatte im Landtag dazu aufgefordert, von einem Grußwort und einer Teilnahme an der umstrittenen Verleihung des Theodor-Heuss-Preises an den Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit (Grüne) am 20. April in Stuttgart Abstand zu nehmen. Kretschmann ist im Vorstand der Theodor-Heuss-Stiftung und im Programm als Grußredner vorgesehen.
Cohn-Bendit soll am 20. April in Stuttgart von der renommierten Stiftung für seine Bemühungen um Europa und für das Begehen neuer Wege in der Demokratie ausgezeichnet werden. Ein von der FDP eingebrachter Entschließungsantrag, der Landtag möge die Landesregierung auffordern, keinen Vertreter zur Preisverleihung zu schicken, wurde nach namentlicher Abstimmung mit der Stimmenmehrheit der Regierungsparteien SPD und Grüne abgelehnt. Ministerpräsident Kretschmann verfolgte die Debatte zwar aufmerksam, äußerte sich aber nicht.
Cohn-Bendit hat sich vor Jahren von Schrift distanziert
Bereits im Vorfeld der Preisverleihung hatte die Entscheidung des Stiftungsrates der Theodor-Heuss-Stiftung für Cohn-Bendit als Preisträger des Jahres 2013 für einen Eklat gesorgt. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, hatte seine geplante Festrede aufgrund einer Veröffentlichung von Cohn-Bendit aus dem Jahr 1975, in der dieser sexuelle Kontakte mit Kindern angedeutet hatte, abgesagt. Cohn-Bendit hatte sich bereits vor Jahren von dieser Schrift öffentlich distanziert.
Um eine Entscheidung einer privaten und überparteilichen Stiftung überhaupt im Landtag thematisieren zu können, hatten die Oppositionsfraktionen den Komplex mit einem Berichtsantrag über den Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern verknüpft und eine aktuelle Debatte zur Frage beantragt, ob die Haltung der Landesregierung zur Preisverleihung die Kampagne gegen Kindesmissbrauch konterkariere.
Einig waren sich die Redner aller Parteien darüber, dass Kindesmissbrauch und sexueller Umgang von Erwachsenen mit Kindern grundsätzlich abscheulich und menschenverachtend sei. Der CDU-Abgeordnete Reinhard Löffler setzte Cohn-Bendit aufgrund seiner damaligen Schrift auf die gleiche Ebene wie pädophile Straftäter. „Wir dürfen sexuellen Missbrauch nicht bagatellisieren, auch wenn er schon Jahrzehnte zurückliegt. Nicht im Fall Polanski, nicht im Fall Kinski, und nicht im Fall Cohn-Bendit“, sagte Löffler und sagte in Richtung Ministerpräsident Kretschmann: „Wer schweigt, macht sich mitschuldig.“ Löffler fragte den Regierungschef, ob er es mit seinem Amt vereinbaren könne, einem solchen Mann eine Medaille zur Ehrung umzuhängen.
Ministerpräsident nicht an Entscheidung der Stiftung beteiligt
Im Gegenzug wies Edith Sitzmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen, Löffler darauf hin, dass der Ministerpräsident lediglich für ein Grußwort vorgesehen und im Übrigen an der Entscheidungsfindung der Stiftung nicht beteiligt gewesen sei. Es sei an Niveaulosigkeit nicht zu unterbieten, den Ministerpräsidenten, die Landesregierung und die Grünen in eine Reihe mit Tätern zu stellen. Auch Cohn-Bendit sei kein Täter gewesen. „Er hat Mist geschrieben, aber es ist nicht legitim, ihn in eine Reihe mit Tätern zu stellen.“
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel kritisierte, dass CDU und FDP mit der Debatte das Renommee der Theodor-Heuss-Stiftung und der darin engagierten Persönlichkeiten zu beeinträchtigen. „Die Art und Weise, wie Sie mit den Personen umgehen, die für die Stiftung arbeiten, ist unerträglich“, sagte Schmiedel und bezog sich auf Äußerungen des FDP-Fraktionsvorsitzenden Hans-Ulrich Rülke, der mitgeteilt hatte, dass „niemand, der einen Funken Anstand im Leib hat, bei dieser Verleihung dabei sein“ werde. „Sie werfen mit Schmutz und ziehen die Theodor-Heuss-Stiftung in den Dreck“, sagte Schmiedel.
FDP: Keine Teilnahme an Preisverleihung
Für die FDP nannte Jochen Haußmann es „peinlch“, dass sich die Landesregierung lediglich von der Schrift Cohn-Bendits distanziert habe. „Der Ministerpräsident sollte es vermeiden, Personen zu würdigen, die sich in sehr kritischer Form zum sexuellen Verhältnis von Kindern und Erwachsenen äußert“, sagte Haußmann. „Wenn man nur eine Spur von moralischer Empfindung hat, ist es wichtig, bei dieser Preisverleihung nicht dabei zu sein.“
Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) stellte für die Landesregierung die Maßnahmen im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern heraus und betonte erneut, dass sich die Landesregierung ausdrücklich von den damaligen Schriften Cohn-Bendits distanziere. „Die Maßnahmen der Landesregierung sollten Sie auch in den Haushaltsberatungen unterstützten,“ sagte Altpeter in Richtung CDU und FDP, „damit helfen Sie den Opfern mehr als mit solchen Debatten.“
Ulrich Goll (FDP) dagegen fasste sich kurz: „Als Vorsitzender der Reinhold-Maier-Stiftung sage ich Ihnen: Ich werde zu dieser Preisverleihung nicht hingehen. Und der Ministerpräsident gehört da auch nicht hin“, sagte Goll. „Nach meiner Meinung würde sich Theodor Heuss im Grab herumdrehen.“