Bildungspolitik spaltet den Landtag
Stuttgart. Die tief greifenden Reformen der neuen Landesregierung in der Bildungspolitik schlagen im Landtag auch nach der Sommerpause hohe Wellen. Regierung und Opposition lieferten sich heute in der von CDU beantragten aktuellen Debatte zum Thema „Grün-rote Schulmodelle schaffen Schüler zweiter Klasse“ harte Wortgefechte. Dabei geriet Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) mehrfach in Erklärungsnot.
„Die Gemeinschaftsschule ist das Gegenteil von einer Einheitsschule für Alle. Die Durchlässigkeit bleibt so lange wie möglich erhalten“, verteidigte die Ministerin ihr neues Schulmodell. Ihr Vorwurf, die CDU geführte Regierung habe über Jahrzehnte die pädagogische Kreativität im Südwesten „eingemauert“, sorgte in den Reihen der stärksten Fraktion für Empörung.
Georg Wacker (CDU) verwies auf die Erfolge des dreigliedrigen baden-württembergischen Schulsystems mit den wenigsten Schulabbrechern, der höchsten Zahl an Studierenden und der niedrigsten Wiederholungsquoten. „Es gibt keine Bildungsverlierer bei uns“, sagte Wacker. Deshalb sollte Grün-Rot nach Ansicht des früheren Kultus-Staatssekretärs einen Systemwechsel unterlassen. Wacker warf der Regierung vor, mit der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung weniger Schüler für die Hauptschule generieren zu wollen.
Kern: bunt gemischte Lerngruppen, statt Klassen
Auch Timm Kern (FDP) kritisierte die Pläne. Die Regierung wolle eine Gemeinschaftsschule, in der es keine Klassen, sondern bunt gemischte Lerngruppe gibt. Schüler mit Empfehlungen für drei Schularten würden dort zusammensitzen, und die Lehrkraft müsse synchron nach drei Bildungsstandards unterrichten, warnte der bildungspolitische Sprecher der Liberalen. Kern befürchtet deshalb, dass „alle Schüler, aber vor allem die Schwächeren die Leidtragenden“ sein werden, falls keine zusätzlichen Anstrengungen unternommen werden, um jeden einzelnen Schüler seinen Fähigkeiten und Neigungen gemäß zu fördern.
Völlig unverständlich findet der FDP-Politiker, dass Grün-Rot bei der neuen Werkrealschule die Zusammenarbeit mit den Berufsfachschulen in Klasse 10 kippen wolle. Die Gemeinschaftsschule wertet Kern als „Angriff auf die Vielfalt der Bildungsangebote“.
Grüne: frühe Selektion fördert die Auslese
Dagegen unterstützten Abgeordnete der Regierungsfraktionen die Pläne der Kultusministerin. Sandra Boser (Grüne) lehnte das bisherigte Schulsystem ab, das die frühe Selektion nach Klasse vier „die Auslese fördert“ und die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungschancen zu groß sei. „Die Werkrealschule hat diese Situation noch verschärft“, erklärte die Grüne. In der Gemeinschaftsschule sieht sie die Chance, die von der Wirtschaft immer wieder vermissten Eigenschaften Teamfähigkeit und Eigenständigkeit zu vermitteln.
„Miteinander lernen heisst auch voneinander lernen“, sagte Boser. Das neue Modell sei ein Angebot an Schulen und Gemeinden. CDU und FDP hätten eklatant die geänderten Ansprüche der Gesellschaft verschlafen und beispielsweise Werkrealschule und G8 nur verordnet: „Auch Bildung ist dem Wandel unterworfen.“
SPD wirft CDU „über Jahrzehnte aufgebaute Verantwortungslosigkeit“ vor
Stefan Fulst-Blei (SPD) warf der CDU eine „über Jahrzehnte aufgebaute Verantwortungslosigkeit“ vor. Baden-Württemberg sei Spitzenreiter bei der Nachhilfe, pro Elternhaus und Monat würden 131 Euro für die außerschulische Stütze von Schülern ausgegeben. Grün-Rot sorge für ein gerechtes Schulsystem und für individuelle Schullaufbahnen, wie das Gymnasium mit zwei Geschwindgkeiten. „Wir haben die alte Dampflok abgekoppelt und lösen für alle Schüler einen Erster-Klasse-Fahrschein“, sagte er. Er wies auch den Vorwurf von Wacker zurück, die Gemeinschaftsschule „Hals über Kopf“ einzuführen. Als Berufsschullehrer habe er zu CDU-Zeiten die Neuerungen im Schulalltag erst in den Sommerferien erfahren.
Quelle/Autor: Wolf Günthner