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Delegationsreise nach Japan und Südkorea

Südkorea testet autonomes Fahren ohne Umwege – Baden-Württemberg will lernen

In Südkorea wird autonomes Fahren nicht durch langwierige Genehmigungen, sondern durch klare Verbote geregelt – was nicht untersagt ist, darf getestet werden. Eine Delegation aus Baden-Württemberg um Verkehrsminister Winfried Hermann reist ins technikaffine Seoul und erlebt, wie Tempo, Pragmatismus und KI-Innovation das Verkehrssystem der Zukunft prägen. Was Deutschland davon lernen kann, berichtet Chefredakteur Rafael Binkowski.

Die Delegation aus Baden-Württemberg um Verkehrsminister Winfried Hermann erkundet die technologische Innovationskraft Seouls bei Nacht. Neben ihm Florian Hassler, Staatssekretär für politische Koordinierung und Europa im Staatsministerium Baden-Württemberg.

Rafael Binkowski)

Seoul. Schon beim Betreten des AI-Hubs, eines riesigen Gründerzentrums für Künstliche Intelligenz mitten in Seoul, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die grauen Säulen und Wände ragen so hoch, wie das Auge blicken kann. Ein monströser Monitor zeigt die neuesten Innovationen des Tages. Bereits 300 Millionen Euro wurden hier investiert, und 126 Firmen sind in der koreanischen Hauptstadt entstanden.​

Verkehrsminister Winfried Hermann bei einer Präsentation im Seoul AI Hub, einem Zentrum für Künstliche Intelligenz und Innovation.

Die Delegation aus Baden-Württemberg um Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) trifft in politisch unruhigen Zeiten in Korea ein. Präsident Yoon Suk-yeol hat im Dezember das Kriegsrecht verkündet, wurde vom Parlament abgesetzt und klagt dagegen. Seither herrscht eine Verfassungskrise. Die 30-köpfige Gruppe aus Baden-Württemberg steckt im Stau, weil Anhänger und Gegner des konservativen Präsidenten protestieren.

Technologische Fortschritte im AI Hub

Doch der politische Streit ist im AI Hub weit entfernt. Hier geht es um Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren und die Wiederverwertung von Autobatterien.

Delegation aus Baden-Württemberg informiert sich über Schlüsselakteure der autonomen Fahrindustrie in Seoul.

Auf der Etappe in Japan schien es, als sei man dort gelähmt von zu viel Erfolg mit dem Toyota-Hybridmotor und dem Beharrungsvermögen großer Strukturen. Die meisten autonomen Fahrzeuge verlassen kaum das Testlabor, obwohl dort an den zentralen Problemen gearbeitet wird.

Südkoreas pragmatischer Ansatz beim autonomen Fahren

In Korea herrscht eine andere Mentalität vor. Während die Japaner alles perfekt machen wollen, heißt hier das Motto: „Schnell, schnell“. Einfach mal ausprobieren. Das Gesetz in Korea verfolgt eine „Negativpolitik“ – wo es nicht explizit verboten ist, darf autonomes Fahren getestet werden. Vor Schulen etwa ist es tabu. Doch sonst gilt: Was nicht verboten ist, bleibt erlaubt. „Ein Motto, das wir für viele Bereiche anwenden sollten“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Dörflinger aus Biberach, der Teil der Delegation ist.

Und so kann Kuersat Katal mit seinem Startup testen, bis die Datenwolke überquillt. „Wir sammeln so viele Testdaten und können aus den Erfahrungen lernen“, sagt er in seiner stringenten und fesselnden Präsentation im AI Hub. Die Städte ziehen mit: 40 Kommunen in Korea erklären sich zur Teststadt, 5000 Kilometer auf 44 Autobahnen kommen dazu. Ab 2018 soll sogar eine „AI-City“ entstehen, eine ganze Stadt, in der alles beim autonomen Fahren getestet wird.

Zukunftsvisionen: Ein Vergleich der urbanen Mobilität von Stuttgart 2038 und Seoul 2039.

Das Konzept des Startups kommt an; es gibt eine Kooperation mit Mercedes in Sindelfingen. Der Autokonzern ist neben BMW und Audi auch in Korea bereits mit Level-2-autonomem Fahren am Start – das sind Stauassistenten und Bremssysteme, die automatisch greifen. Aber es gibt mehr: Ein Robotaxi fährt auf Anforderung in den Abendstunden, ein Frühbus rollt mitten durch die Millionenmetropole Seoul in den Morgenstunden. Automatisch gesteuert, nur zum Türenöffnen sitzt ein Fahrer noch an Bord und um in den verbotenen Zonen zu lenken.

Interesse aus Baden-Württemberg an koreanischen Innovationen

Das interessiert natürlich den Geschäftsführer Bülent Menekse, der seit 25 Jahren das 100-Mann-Unternehmen Spillmann in Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg) führt. „Wir wollen für ältere Menschen auf den letzten 100 Metern langfristig auf Anfrage automatisierte Minibusse anbieten“, sagt er. Also ganz, wie es in Seoul schon Realität ist. Am liebsten auch Elektrobusse, doch die seien doppelt so teuer: „Da muss was passieren bei den Herstellern, ich würde sonst sofort umsteigen.“

Eine Straßenszene in Seoul, Südkorea, wo innovative Ansätze im autonomen Fahren getestet werden.

Auch in Sachen Künstlicher Intelligenz tut sich vieles im Brutkasten der koreanischen Hauptstadt. Aber auch in Nebenzweigen wie dem Recycling von Autobatterien. Anstatt diese ganz auszutauschen oder zu verschrotten, werden nur die Teile gewechselt, die defekt sind. „Das reduziert die Kosten um 20 bis 30 Prozent“, sagt Sung-Jin Choi, der Chef des Startups Poen. Das wächst dynamisch mit 250 Prozent im Jahr und bietet aufbereitete Akkus für andere Anwendungen an, von Fahrrädern über Haushaltsgeräte bis hin zur Raumfahrt.

Das Geschäftsmodell floriert und skaliert, wie die Wirtschaftsexperten sagen. Mit einer Batteriefabrik „bei Stuttgart“ – man kooperiert mit der Reutlinger Firma Prittel. Da ist auch Verkehrsminister Winfried Hermann interessiert: „Darin steckt viel Potenzial.“ Überhaupt kann er mit der Japan- und Korea-Reise einigermaßen zufrieden sein. „Wir müssen uns nicht verstecken und sind in vielen Bereichen weit vorangekommen“, wagt der 72-jährige Minister auf dem Flug von Tokio nach Seoul. Es ist auch ein wenig eine erste, vorsichtige Bilanz seiner Amtszeit, die allerdings noch ein Jahr währt.

Doch gerade in Sachen Elektromobilität, aber auch dem Cyber Valley und dem KI-Park in Heilbronn ist „The Länd“ an der Spitze der Entwicklung. „Wir müssen nur aufpassen, dass wir dranbleiben, ein paar Jahre schlafen geht nicht“, meint Hermann. Korea ist dynamischer und experimentierfreudiger als Japan, doch auch hier hängt man an wenigen Großkonzernen und hat voll auf den Hybridmotor gesetzt, der mit Benzin angetrieben wird. Der Schwenk zur Elektromobilität ist geplant, aber schwierig umzusetzen; die Ladeinfrastruktur fehlt noch weitgehend.

Mit dem Verkehrsminister in Asien

Es ist die letzte große Reise von Winfried Hermann. Seit 2011 ist er Verkehrsminister von Baden-Württemberg, der erste Grüne in diesem Amt, ebenso wie Winfried Kretschmann, der seither Ministerpräsident ist. Kurz nachdem der damals in konservativen Kreisen noch als „linker Autoschreck“ verschriene Grünen-Politiker damals sein Amt bezog, reiste er schon einmal nach Japan, mit ganz ähnlichen Programmpunkten. „Damals wollten wir etwas erfahren über die Hybridtechnologie und Elektroautos“, erinnert sich der 72-Jährige. Nun, ein Jahr vor seinem Ausscheiden aus der Politik, ist Hermann wieder hier. Auch um zu sehen, wie es mit dem autonomen Fahren und künstlicher Intelligenz in Asien steht. Chefredakteur Rafael Binkowski begleitet die Delegation und berichtet direkt vor Ort.

Weitere Artikel:

Teil 1: Winfried Hermann und das japanische Einparkwunder

Teil 2: Das autonome Automobil ist auch in Japan noch Zukunftsmusik

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