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Ludwigsburger OB Matthias Knecht: „Wir sparen die Städte kaputt“

Matthias Knecht wurde 2019 OB von Ludwigsburg, er trat gegen den langjährigen Vorgänger Werner Spec an und gewann deutlich. Die Barockstadt kratzt mit 94 000 Einwohnern knapp an der Grenze zur Großstadt.
Achim Zweygarth)Herr Knecht, überall ist das Geld knapp beim Staat, die Kommunen knapsen besonders. Es gibt Ideen zu klagen, um die kommunale Finanzhoheit zu sichern. Wie sehen Sie das denn jetzt?
Auch in Ludwigsburg sah die Situation schon besser aus, das muss man deutlich sagen. Die Ausgaben sind enorm angestiegen, vor allem bei der Kinderbetreuung, die jedes Jahr ein wachsendes Loch in den Etat reißt. In diesem Jahr gab es noch einmal eine Steigerung um 5,9 Millionen Euro. Auch Bau- und Infrastrukturinvestitionen reißen Löcher. Hinzu kommen Migration und Integration. Von einer auskömmlichen Unterstützung von Land und Bund kann man leider in keinem Fall sprechen.
Dennoch steht Ludwigsburg mit großen Firmen wie Lapp und Mann und Hummel noch gut da …
Richtig, aber es gibt große Aufgaben. Wir haben 420 sanierungsbedürftige, älter werdende Gebäude, die energetisch aufgerüstet werden müssen. Auch dafür wurden entsprechende Gesetze gemacht, die wir natürlich als Stadt einhalten müssen. Dazu kommt ein stetig steigender Personaletat. Als ich angefangen habe 2019, waren es noch 94 Millionen, jetzt sind es rund 120 Millionen Euro. Obwohl wir Personal abbauen. Wir haben im aktuellen Etat ein Minus von 2,8 Stellen. Die Streichung von 200 Stellen ist geplant. Dennoch steigen die Kosten.
Was also kann die Kommune machen, wenn die Möglichkeiten erschöpft sind?
Deswegen habe ich hier das Grundgesetz auf dem Tisch liegen. Es könnte sich um eine Verletzung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts nach Artikel 28, Absatz 2 des Grundgesetzes handeln. Es gibt eine Grenze, wenn Bund und Land den Kommunen zu viel aufbürden, ohne dies finanziell auszugleichen. Und die verläuft spätestens dort, wo eine Kommune nur noch ihre Pflichtaufgaben zu erfüllen kann.
Man könnte argumentieren, dass diese Pflichtaufgaben erst einmal ausreichend sind für eine Kommune.
Auch hier vertritt die Rechtsprechung eine andere Auffassung. Die Kommune muss auch die Freiheit haben, gewisse Aufgaben zu erledigen, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Es geht um Kultur- und Sportförderung, soziale Teilhabe oder Bildungszuschüsse für Privatschulen etwa. Dies hat für die Stadt eine wichtige Bedeutung. Unser Etat weist für 2025 ein Minus von 21,3 Millionen Euro auf. Selbst wenn wir alle freiwilligen Leistungen zurückfahren, reicht das noch lange nicht. Um es drastisch zu sagen: Wir sparen die Städte kaputt. Oder mal ganz provokant: Selbst, wenn wir alles außer Kinderbetreuung und Straßenunterhalt einsparen würden, würden die Mittel irgendwann nicht mehr reichen. Land und Bund haben zu lange bei den Kommunen weggesehen.
Allerdings sind auch die anderen staatlichen Ebenen überschuldet, jetzt werden sogar Sondervermögen aufgenommen. Woher soll das Geld kommen?
Wir gehen davon aus, dass Bund noch Land auch grenzwertig herausgefordert sind. Das erkennen wir auch an. Und wir wissen auch, dass beide keine Gelddruckmaschinen haben. Aber gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren immer mehr Aufgaben Richtung Kommunen verschoben und es wurde nur unzureichend finanziell vor Ort abgefedert.
Also, erwägen Sie als Stadt Ludwigsburg tatsächlich eine Klage?
Wir haben jetzt zwei große Chancen. Die erste große Chance ist die neu gewählte Bundesregierung. Die kann das besser machen als die Vorgänger. Wir hoffen auch, als Kommunen vom geplanten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro einen erheblichen Teil abzubekommen. Wir erwarten allerdings konkrete Zusagen vom Bund, etwa höhere Bauzuschüsse für Kitas, Schulen und oder sonstige Infrastruktur, um nur ein Beispiel zu nehmen.
Und was ist die zweite große Chance, von der sie sprechen?
Im kommenden Jahr steht eine Landtagswahl bevor. Wir erhoffen uns von der neuen Landesregierung, etwa beim Thema Zuschüsse für die Kinderbetreuung, deutliche Impulse. Wenn dort nur fünf Prozent oder zehn Prozent mehr Mittel fließen würden, würde das ausreichen, um die Defizite auszugleichen. Und dann bedürfte es auch keiner Klage.
Dass plötzlich die Füllhörner für die Kommunen aufgehen, ist aber nicht gerade realistisch, oder?
Wenn diese Gelegenheiten wieder ausgelassen werden, dann würde ich in der Tat dringend dazu raten, dass wir als Kommunen Klage erheben. Wenn die Bundes- und Landespolitik die Augen vor der dramatischen Lage der Kommunen verschließt, wäre das wirklich eine Enttäuschung. Und wir reden hier von Städten in Baden-Württemberg, einer wirtschaftsstarken Region. Ich möchte mir nicht ausmalen, was wir für politische Mehrheiten im Land haben werden, wenn wir den Menschen vor Ort in ihren Städten bundesweit nicht eine Besserung bieten. Aber ich hoffe erst einmal auf einen wohlwollenden, wertschätzenden Aushandlungsprozess mit Land und Bund.
Woher soll das zusätzliche Geld kommen? Die Verschuldung wird ausgereizt, müssen nicht auch einige Standards zurückgefahren werden?
Natürlich muss man über die Schuldenbremse sprechen, logisch. Vor allem muss, wie jetzt in der Sondierungsvereinbarung von Union und SPD vorgesehen, die allzu strenge Regelung für die Länder gelockert werden. Aber wir müssen auch auf allen Ebenen Ansprüche zurückschrauben. Die Möglichkeiten für die Kommunen sind allerdings begrenzt. Es geht bei den freiwilligen Leistungen ja nicht darum, hier ein Erstbundesligisten zu fördern, sondern im Breitensport in den Vereinen soziale Angebote zu organisieren.
Es ist nicht einfach, bei sich zu sparen, anstatt es bei anderen zu fordern?
Ja, aber wir können schon darüber diskutieren, ob bei uns immer alles auf dem höchsten Level gefördert werden muss. Etwa bei der Kultur: Es gibt momentan zahlreiche Konzerte im Jahr, von den Schlossfestspielen bis hin zu vielen lokalen Veranstaltungen. Zusammen 120 bis 140 klassische Konzertformate, die wir alle bezuschussen. Man könnte auch sagen: Da reichen auch 60 bis 70 im Jahr. Das spart uns aber jetzt nicht 10 oder 15 Millionen, sondern vielleicht maximal eine Million.
Die Frage ist: Können wir uns diese große Verwaltung noch leisten? Es gibt weniger Personal. Wäre das nicht ein Hebel, um Geld anzusparen?
Unbedingt, das Thema Bürokratieabbau ist für mich einer der wichtigsten Sparfaktoren. Wir bekommen durch das so genannte Regelungsbefreiungsgesetz eine Chance, probeweise Vorgaben einfach auszusetzen. Wir müssen das beantragen, dann gibt es eine dreimonatige Frist, in der das Innenministerium das genehmigen oder ablehnen kann. Das könnte Dinge erheblich vereinfachen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Straßenverkehrsordnung verursacht bei uns unglaublich viel bürokratischen Aufwand. Wenn ich vor einer Schule oder in einem Wohngebiet zum Beispiel Tempo 30 anordnen will, muss ich eine große Zahl von zuständigen Fachbereichen und Stellen miteinbeziehen, die zustimmen müssen. Ich habe kürzlich vor einer Schule einfach ein Tempo-30-Schild aufgestellt, ohne dass ich weitere beteiligt habe. Der Aufschrei war natürlich groß, das Schild hängt trotzdem bis heute noch dort. Vielleicht brauchen wir manchmal etwas mehr Mut, einfach Ermessensspielräume auszunutzen, um etwas zu wagen.
Fällt Ihnen noch ein Beispiel ein?
Ja! Während der Corona-Pandemie war eine Zeitlang das Begegnen im Freien sehr beschränkt. Gemeinsam mit dem Landrat Dietmar Allgaier habe ich beschlossen, das Blühende Barock zu öffnen. Auch hier ein Aufschrei, aber für uns schien es logisch, dass der Aufenthalt in geschlossenen Räumen viel gefährlicher war als das Bewegen im Freien.
Braucht es solchen Mut nicht auf allen Verwaltungsebenen?
Ja, es braucht aber auch Luft für Ermessensspielräume. Also nicht nur für den Oberbürgermeister, auch ein einfacher Beamter hat kaum noch Handlungsspielraum. Umgekehrt wollen Bürger und Bürgerin auch alles gern rechtssicher haben. Wir müssen diesen Mut einfordern von unseren Mitarbeitenden, von unseren Beamtinnen und Beamten. Wir müssen ihnen aber auch Spielräume für Mut eröffnen. Wenn sie bei einem Fehler gleich wieder gemaßregelt werden, funktioniert das nicht. Das ist meine tiefste Überzeugung, auch bei uns in der Stadtverwaltung zu akzeptieren, wenn mal was schief geht.
Reichen die von Grün-Schwarz angeschobenen Reformen zum Bürokratieabbau der Entlastungsallianz?
Es sind Erleichterungen, die wir sehr begrüßen, gerade im Bereich der Vergabeverfahren. Natürlich wird es auch mit der Landesbauordnung Veränderungen geben. Aber es sind für mich erste Schritte, es muss weitergehen. Wir brauchen mehr Ermessen, mehr Spielraum, mehr Vertrauen in die Kommunalverwaltung.
Das Gespräch führten Michelle Stammet und Rafael Binkowski
Zur Person
Matthias H. Knecht, geboren 1975 in Stuttgart, ist seit 2019 OB von Ludwigsburg. Er studierte in Konstanz und München Rechtswissenschaften und in Speyer Verwaltungswissenschaften. Er erlangte die Befähigung zum Richteramt und promovierte 2004 über die Europäische Union. Knecht arbeitete bei der Max-Planck-Gesellschaft in München und bei der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH. 2011 wechselte er an die Hochschule Kempten.
