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Potenzialtest an Grundschulen

Im Zweifelsfall zählen Mathe, Deutsch und logisches Denken

„NaVI“ heißt künftig der Schlüssel für den Übergang in weiterführenden Schulen - in der Langfassung: „Neues Aufnahmeverfahren in Klasse 4 Baden-Württemberg.“ Grüne und CDU wollen es im Rahmen des Bildungspakets kommende Woche im Landtag verabschieden. Die SPD-Fraktion verlangt dagegen eine grundsätzliche Überarbeitung.

In einem Test sollen Grundschüler ihre Eignung fürs Gymnasium beweisen können, wenn die Empfehlung dafür fehlt. Foto: IMAGO/Westend61

IMAGO/Oksana Nazarchuk)

Stuttgart. „Murks bleibt Murks“, sagt Stefan Fulst-Blei, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion am Mittwoch am Rande der ersten Plenardebatte des neuen Jahrs. Fulst-Blei ist selber promovierter Berufsschullehrer und stellt sich an die Seite der Kollegen und Kolleginnen in den Grundschulen, die „in der jetzt entstandenen verfahrenen Situation die Verantwortung ganz allein zu tragen haben“. Weil in Mathematik ein weit überwiegender und in Deutsch auch noch ein erheblicher Teil der Viertklässler die neuen verpflichtenden Vergleichsarbeiten im November in den Sand gesetzt haben, sind für das Schuljahr 2025/2026 allein die Lehrkräfte dafür verantwortlich, Elternwünschen gegebenenfalls nicht zu entsprechen.

Schulpraktiker bezweifeln, ob sich der Aufwand für den Test lohnt

NaVI-Eckpfeiler sind die pädagogische Gesamtwürdigung jedes einzelnen Kindes durch die Klassenkonferenz, ferner die Vorstellungen der Eltern von Leistungsfähigkeit und Bildungsweg sowie eben jene Vergleichsarbeiten. In die Gesamtwürdigung ließen nach dem Informationsmaterial, das das Kultusministerium zusammengestellt hat, „insbesondere die in Klasse 4 gezeigten schulischen Leistungen und die Einschätzung der überfachlichen Kompetenzen ein“. Die wiederum basiere auf differenzierten kontinuierlichen Beobachtungen des Kindes durch die Lehrkräfte.

Aber auch auf den Noten. Ende der ersten Februarwoche werden die Halbjahres-Informationen ausgegeben. „Den Anforderungen des Niveaus E, des erweiterten Niveaus, wird in der Regel entsprochen, wenn in der Halbjahresinformation der Klasse 4 in den Fächern Deutsch und Mathematik im Durchschnitt mindestens gut-befriedigend (2,5) erreicht wurde und keines dieser beiden Fächer schlechter als mit der Note befriedigend (3,0) bewertet worden ist“, schreibt das Kultusministerium weiter. In diesem Fall können die Kinder auf das neue G9.

Sind Lehrkräfte und Eltern einer Meinung und die Aufnahmevoraussetzungen für das Gymnasium erfüllt, erhalten die Viertklässler eine entsprechende Mitteilung. Kommt die Klassenkonferenz in ihrer Würdigung zu einem anderen Ergebnis, können Kinder am 18. Februar den ebenfalls neuen Potenzialtest schreiben. Nicht nur Fulst-Blei, auch der Landesschüler-, der Landeselternbeirat oder Fachleute in den Bildungsverbänden erwarten abermals erhebliche Probleme. „Getestet wird nicht nur Mathe und Deutsch, sondern auch logisches Denken“, so der SPD-Bildungsexperte. Dieses Vorgehen sei „mit heißer Nadel“ gestrickt“ und müsse ebenfalls grundsätzlich neu bewertet werden. Zumal die Zeit, wie schon bei Kompass 4 mit jeweils 45 Minuten, wieder knapp bemessen ist. Diesmal müssen alle drei Teile in 60 Minuten absolviert sein.

Praktiker werfen zudem die Frage auf, ob der Aufwand insgesamt tatsächlich lohnt. Denn wie auch der Amtschef des Kultusministeriums Daniel Hager-Mann kürzlich öffentlich erläuterte, haben gegenwärtig ohnehin rund 90 Prozent der Kinder, die ins Gymnasium wechseln, eine entsprechende Empfehlung, neun Prozent eine Real- und ein Prozent eine Hauptschulempfehlung.

Manche lehnen grundsätzlich eine Grundschulempfehlung ab

Überhaupt nur für diese zehn Prozent kommt der Potenzialtest infrage. Hager-Mann ließ auch durchblicken, dass sich Eltern mit von der Lehrkräfte-Meinung abweichenden Vorstellungen nicht zu große Hoffnungen machen sollten. Er erwarte nicht, dass eine überwiegende Zahl jener Schüler und Schülerinnen, die antreten, auch erfolgreich sind.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte zumindest bereits „Kulanz“ in Einzelfällen in Aussicht gestellt, zugleich aber seinen schon mehrfach an Eltern gerichteten Appell wiederholt, sich doch den Empfehlungen der Lehrkräfte anzuschließen.

Die NaVI-Kritiker erinnern dagegen daran, dass die verbindliche Grundschulempfehlung, die es in zahlreichen Bundesländern nicht mehr gibt, im Jahr 2011 auch wegen ihrer fehlenden Treffsicherheit abgeschafft wurden. „Und wir wollten auf jeden Fall Druck aus den vierten Klassen nehmen“, sagt Fulst-Blei, „der jetzt in ganz besonderen Maße wieder aufgebaut ist.“

Gegen dauerhaften Frust

Für die Erarbeitung des Potenzialtests ist das Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW) zuständig. Das Institut verteidigt diese Arbeiten gegen Kritik – mit Verweis auf mögliche höchst unerfreuliche Konsequenzen, wenn die Weichen zwischen vierter und fünfter Klasse falsch gestellt werden: „Durch diese Maßnahme soll verhindert werden, dass Kinder, die den Leistungserwartungen am Gymnasium nicht gerecht werden können, dauerhaft frustriert werden.“

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