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Interview mit Wirtschaftsministerin 

Nicole Hoffmeister-Kraut: „Mein Schwerpunkt liegt klar auf der Mittelstandspolitik“

Auch in Baden-Württemberg ist die Krise angekommen. Selbst große Konzerne planen inzwischen massiven Stellenabbau. Für die Wirtschaftsministerin des Landes, Nicole Hoffmeister Kraut (CDU), eine ungewohnte Situation. Sie hat selbst Wurzeln im Mittelstand und kennt daher die Nöte der Betriebe gut. 

Nicole Hoffmeister-Kraut kommt aus dem Mittelstand und ist seit fast neun Jahren Ministerin.

IMAGO/Arnulf Hettrich)
Staatsanzeiger: Lange wurden Wirtschaftsminister aus Stuttgart beneidet. Doch gerade will niemand mit Ihnen tauschen oder?

Nicole Hoffmeister Kraut : Die Lage unserer Wirtschaft ist in der Tat so schwierig wie nie zuvor. Wir erwarten einen Rückgang der Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr von knapp zwei Prozent. Und auch für 2025 sind die Prognosen nicht gut. Darunter leidet besonders die Automobilindustrie. Der Strukturwandel hat einen hohen Preis. Beim Verbrennungsmotor waren wir weltweit führend, bei der E-Mobilität hinken wir hinterher. Dies ist auch deshalb so, weil Firmen aus China mit erheblicher Staatsförderung enorme technologische Kompetenz aufgebaut haben. Damit ist die Lage unseres Produktionsstandortes deutlich schwieriger geworden.

Wie gehen Sie politisch mit dieser Erkenntnis um?

Dass der Strukturwandel herausfordernd wird, war vorhersehbar. Wir tauschen uns seit sieben Jahren mit der Automobilbranche in einem sogenannten Strategiedialog aus. In ihm geht es darum, wie wir den Wandel politisch begleiten können. Daraus sind verschiedene Kooperationsprojekte zwischen Universitäten, Automobilherstellern und den Zulieferern entstanden. Dazu gehören auch Transformationsplattformen, wo die Betriebe mehr über technologische Entwicklungen erfahren. Gerade die mittelständischen Zulieferer aus der zweiten oder dritten Reihe müssen unterstützt werden.

Aber was können Sie konkret tun?

Mein Schwerpunkt liegt klar auf der Mittelstandspolitik. Konkret unterstützen wir die Betriebe da, wo sie es aus eigener Kraft nicht stemmen können. Dazu gehört die Aus- und Weiterbildung in Zentren mit technischen Anlagen. Darüber hinaus fördern wir Investitionen in KI und Digitalisierung. Der Innovationspark KI in Heilbronn (IPAI) geht auf eine Initiative meines Hauses zurück. Und wir unterstützen mit verschiedenen Programmen den Aufbau von Start-ups und das Handwerk.

Mittelstand klagt über Zurückhaltung bei Kreditvergabe

Wo stoßen Sie an Grenzen?

Bei der Regulierungsdynamik von Bund und EU. Das hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Den Trend, alles bis ins Kleinste regeln zu wollen, müssen wir umkehren. Nicht nur die Unternehmen, auch die Länder brauchen wieder mehr Beinfreiheit. Die EU muss auch Regionen wie die unsere mehr unterstützen. Sie konzentriert sich zu sehr auf die schwächer entwickelten Regionen und zu wenig auf starke Regionen wie Baden-Württemberg.

Nutzen die Firmen Ihre Angebote auch?

Das tun sie. Dennoch bleibt es schwierig. Viele Betriebe haben sich beispielsweise in der E-Mobilität auf den Weg gemacht, bleiben jetzt aber wegen der Absatzkrise auf ihren Kosten sitzen. Hinzu kommt ein anderes Problem. Es gibt Unternehmen, die ihre Pläne nicht so umsetzen können, weil sie nicht an das notwendige Geld kommen.

Wie kommt das?

Mich erreichen zunehmend Klagen über eine größere Zurückhaltung der Banken bei Kreditanfragen. Das mag mit der Rezession zusammenhängen. Doch das eigentliche Problem ist die Regulatorik. Bankenregulatorische Vorgaben sowie Vorgaben im Rahmen der EU-Taxonomie erschweren die Kreditvergabe. Das muss definitiv überarbeitet werden. Gerade jetzt, wo sich die Unternehmen mit Investitionen zurückhalten, wären niedrige Kredithürden wichtig.

„Wir brauchen jetzt eine Zeit, in der es heißt Wirtschaft first“

Sie sind ja oft in Brüssel. Wie kommen solche Forderungen dort an?

Baden-Württemberg ist in Brüssel politisch sehr aktiv. Zuletzt haben wir in der Landesvertretung in Brüssel den Wirtschaftsgipfel ausgerichtet, inzwischen zum sechsten Mal. Die EU muss sich wieder auf Grundsätzliches konzentrieren. Dazu gehört die Stärkung des Binnenmarktes, der Abschluss von Handelsabkommen wie das EU-Mercosur-Abkommen. 25 Jahre hat es gedauert. Viel zu lange. Ein großes Problem war ja, dass die Verhandlungen mit ideologischen Vorgaben überfrachtet waren. Das überfordert unsere Partner. Das darf uns nicht noch einmal passieren.

Also ein Abschied von der grünen EU-Politik?

Der einseitige Vorrang des Klimaschutzes mit zu wenig Rücksicht auf die Wirtschaft war falsch. Das gilt für Brüssel wie für Berlin. Eine gesteuerte Marktwirtschaft funktioniert nicht. Das zeigen die Beispiele E-Mobilität und Wärmepumpen. Wir brauchen jetzt eine Zeit, in der es heißt „Wirtschaft first“. Ohne eine starke Wirtschaft bekommen wir den Klimawandel nicht in den Griff und der gesellschaftliche Zusammenhalt gerät in Gefahr.

„Wirtschaft first“ Wie soll das gehen?

Die Klimaziele bleiben wichtig. Dabei müssen wir aber auf Technologieoffenheit und die Marktkräfte setzen. Einseitig Lösungen vorzuschreiben, funktioniert nicht. Das hat in Europa in der Automobilbranche zu einem Strukturbruch geführt. Wir müssen gegensteuern und wieder die Politik nach dem ausrichten, was die Wirtschaft benötigt. Das bedeutet: Bürokratie abbauen und sicherstellen, dass die Wettbewerbsfähigkeit gefördert wird, anstatt sie zu bremsen.

Warum schafft es die Politik nicht, Bürokratie abzubauen, sondern baut immer neue Hürden auf?

Man muss zwischen notwendiger Bürokratie und Überregulierung unterscheiden. Wir brauchen zwar eine funktionierende Verwaltung, die notwendige Regelungen überwacht und durchsetzt. Doch die zunehmende Überregulierung, die vor allem durch die EU sowie den Bund veranlasst wird, hat dazu geführt, dass Mittelständler im Schnitt zehn Mitarbeiter allein zur Bearbeitung von Regularien beschäftigen müssen. Viele kleine Betriebe geben inzwischen wegen des hohen Verwaltungsaufwandes sogar auf oder finden keinen Nachfolger. Wir brauchen insbesondere auf der EU-Ebene ein Umdenken. Berichts- und Dokumentationspflichten müssen auf das absolut notwendige Maß reduziert werden. Für jede neue Regelung auf EU-Ebene sollte eine alte abgeschafft werden.

Reparaturbetrieb für Stillstand in Berlin

Der Mittelstand hat allerdings öfter den Eindruck, die Politik konzentriert sich nur auf die großen Konzerne. Warum versteht man deren Nöte so wenig?

Das ist in der Tat so. Gerade in Brüssel oder in Berlin schätzt man die Bedeutung des Mittelstandes als zu gering ein, die öffentliche und politische Debatte ist oftmals stark von den Belangen von Großunternehmen bestimmt. Dabei spielt der Mittelstand eine große Rolle. Das belegt ein aktuelles Gutachten, das mein Haus in Auftrag gegeben hat. In Baden-Württemberg gehören 99 Prozent der Unternehmen dem Mittelstand an. Fast zwei Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Baden-Württemberger sind bei einem mittelständischen Unternehmen angestellt. Sie erwirtschaften rund 40 Prozent aller Umsätze. Der Mittelstand gilt als Garant für Wohlstand und Beschäftigung. Diese Rolle muss stärker betont werden.

Das heißt?

Zunächst einmal: Der Mittelstand sieht sich auch vor enorme Herausforderungen gestellt. Das Gutachten nennt Bürokratieabbau, Reduzierung von Steuern und Abgaben, die Förderung von Aus- und Weiterbildung sowie IT- und Digitalisierungsthemen. Das Gutachten macht dazu Vorschläge. Eine Task Force unter Leitung des Wirtschaftsministeriums und unter Beteiligung aller fachlich betroffenen Ressorts soll sich dieser Themen speziell aus der Sicht des Mittelstands widmen. Zudem bereiten wir eine Kampagne vor, damit dem Mittelstand die Wertschätzung entgegengebracht wird, die er verdient hat. Darüber hinaus müssen wir die Verantwortlichen etwa auf EU-Ebene sensibilisieren. Konkret: Verfahren müssen auch danach geprüft werden, welche Auswirkungen sie auf den Mittelstand haben. Ein Beispiel ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es sollte nur für Konzerne gelten, in der Praxis schlägt es selbst auf kleine Zulieferer durch.

Jetzt ist in Berlin politischer Stillstand bis mindestens Ostern, wenn nicht noch länger. Wie geht man als Landesministerin mitten in der Rezession damit um?

Wir fahren unsere Projekte auf Hochtouren weiter und setzen darauf, dass wir bald eine neue Regierung bekommen und diese die Weichen richtig stellt.

Sie sind also Reparaturbetrieb für den Stillstand in Berlin?

Ja, im Rahmen unserer Möglichkeiten kann man das so sehen.

Sie kommen ja selbst aus dem Mittelstand. Dringen Sie mit Ihrer unternehmerischen Denke bei den Politik-Kollegen durch? Viel kommt doch sehr langsam voran.

In einer Demokratie braucht es Mehrheiten und das kostet Zeit. Dabei ist Tempo ein wesentlicher Standortfaktor. Die Unternehmen überlegen, wo kann ich meine Investitionsentscheidung möglichst schnell umsetzen? Deshalb müssen wir bei den Verfahren noch schneller werden.

Zur Person

Nicole Hoffmeister Kraut (53) entstammt der Industriellenfamilie, die den Waagenhersteller Bizerba in Balingen gegründet hat. Dort ist sie Mitgesellschafterin und war zwischen 2014 und 2016 auch Mitglied des Aufsichtsrates. Ihre Erfahrung aus dem Familienunternehmen hat sie auch für ihre Dissertation an der Uni Würzburg genutzt. Zwischen 2001 und 2005 war sie bei Banken und Beratern in London und Frankfurt tätig. Seit 2016 residiert die CDU-Frau im Stuttgarter Neuen Schloss als Wirtschaftsministerin der grün-schwarzen Koalition. Die bekennende Anhängerin des VfB Stuttgart ist verheiratet und hat drei Kinder.

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