Die kommunale Demokratie im Südwesten ist ein Schatz
Stuttgart. Es sind stürmische, krisenhafte Zeiten. Der Konflikt in Nahost, der Umsturz in Syrien, die Amtseinsetzung eines erratischen Präsidenten in den USA. In Österreich scheitern die Kräfte der Mitte, eine Regierung zu bilden, in Frankreich hat Präsident Macon keine Mehrheit. Und auch in Deutschland gibt es derzeit nur eine Minderheitsregierung.
Es scheint manchmal die Welt aus den Fugen zu geraten. Dabei erweist sich die Demokratie auf lange Sicht mit ihrem Pluralismus und der Presse- und Meinungsfreiheit autoritären Systemen als überlegen. Und das lässt sich besonders gut auf der kommunalen Ebene beobachten. Gut 20 000 Menschen haben sich im vergangenen Jahr in Gemeinderäte wählen lassen, um vor Ort mitzubestimmen.
Sacharbeit steht im Vordergrund
Das ist ein unschätzbarer Wert, denn sie machen das ehrenamtlich, gegen eine überschaubare Aufwandsentschädigung. Noch stärker als in den Landes- und Bundesparlamenten steht hier die Sache im Vordergrund. Wo werden neue Kindergärten und Spielplätze gebaut? Wo Bauland erschlossen, wo nicht? Welches Gewerbe soll sich wo ansiedeln? Wie bleibt die Innenstadt belebt? Wie lässt sich die kommunale Daseinsvorsorge sichern? Jede Woche wird darüber diskutiert, auf offener Bühne. Suchet der Stadt Bestes, das Motto gilt ganz überwiegend. Was nicht immer einfach ist. Denn die Wünsche und Interessen der Bürgerinnen und Bürger widersprechen sich oft. Der eine will ausladend bauen, der andere fürchtet um seinen Waldrandblick. Manche wollen abends lange feiern, die anderen früh Ruhe haben.
Auch die kommunalen Mandatsträger stehen unter Druck. Der Rückgang von qualifizierter kommunaler Berichterstattung in vielen Teilen des Landes macht sich bemerkbar. Es gibt löbliche Ausnahmen. Aber je weniger umfassend über Kommunalpolitik berichtet wird, desto weniger informierter sind die Bürger. So dominieren oft nur Videoclips oder Infofetzen aus Social Media, was die Arbeit von Bürgermeistern und Stadträten erschwert. Weil die Grundinformationen erst einmal fehlen.
Die Demokratie ist vor Ort besonders verankert
Dennoch erweist sich die Demokratie auf kommunaler Ebene als besonders widerstandsfähig. Populisten sind hier viel seltener und weniger vertreten. Weil es nicht darum geht, platte Parolen zu schwingen, sondern Mitstreiter zu finden, die für die oft zähe Gremienarbeit bereit sind. Und dabei konkrete Konzepte, Ideen und Lösungen ausarbeiten. Schnell verpufft das Stammtischgeschwätz, wenn es darum geht, wie ein Haushalt aufgestellt wird. Oder kommunale Dienstleistungen bürgernah organisiert sein können.
In Baden-Württemberg gibt es zudem eine Besonderheit in der Gemeindeordnung: die herausgehobene starke Stellung des (Ober-)Bürgermeisters. Er ist sowohl Chef der Verwaltung als auch Vorsitzender des Gemeinderates. In Nordrhein-Westfalen etwa sind diese Funktionen getrennt: Es gibt einen (zumeist ehrenamtlichen) Bürgermeister als Ratsvorsitzenden und einen Stadtdirektor als Chef der Verwaltung. Das hat zwar demokratietheoretisch Vorzüge, führt aber zu Konflikten.
Die zentrale Rolle des Bürgermeisters ist gewollt
Der Gemeinderat ist rechtlich gesehen auch keine „Legislative“, sondern ein Organ der Verwaltung. Dem Bürgermeister oder der Bürgermeisterin in Baden-Württemberg kommt daher eine zentrale Rolle zu, er kann gestalten, die Tagesordnung des Rates bestimmen, und hat die Kompetenz einer Verwaltung hinter sich.
Trotz der Machtkonzentration kann der Bürgermeister nur mit der Mehrheit des Rates arbeiten. Das klappt in der Regel sehr gut, weil das System durchdacht ist. Nur wenn es persönliche Probleme gibt, hakt es,. Wie etwa in Niederstetten oder in Leonberg, um zwei Beispiele zu nennen, wo Rat und Rathauschef über Kreuz sind und vieles stockt.
Und noch eine weitere Besonderheit gibt es: die Wahl auf acht Jahre. Das lässt sich aus der Historie erklären: Im 19. Jahrhundert wurden „Schultheißen“ noch auf Lebenszeit bestellt, dann währte die Amtszeit Anfang des 20. Jahrhunderts zwölf Jahre. Die meisten anderen Bundesländer haben eine fünfjährige Periode.
Acht Jahre bieten Planungssicherheit und ermöglichen, in längeren Zeiträumen zu denken. Und machen die Bürgermeister unabhängiger von aktuellen Stimmungen. Allerdings können sie auch lang werden, denn der Amtsinhaber nicht gut arbeitet. Es gibt dann auch keine Abwahlmöglichkeit, wie in anderen Ländern.
Diese Konstruktion hat sich dennoch bewährt, und ist die Basis unserer Demokratie. Daher ist die Welt hier auch keineswegs aus den Fugen.