Strategiedialog Landwirtschaft

Wie man regionale Produkte und Produktion stärken will

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gibt ein großes Versprechen: „Wir werden die Ergebnisse des Strategiedialogs Landwirtschaft nicht in irgendeiner Schublade versenken.“ Immerhin steckt das Land 143 Millionen Euro zusätzlich in die Umsetzung diverser Maßnahmen.

Beim Strategiedialog Landwirtschaft wurden Ziele festgeklopft. Für die Umsetzung kommt es aber auf die einzelnen Bereiche an. Das Ziel ist: ein verstärktes Angebot aus regionaler Produktion anzubieten, auch in Supermärkten.

dpa/Marijan Murat)

Stuttgart. 50 Akteure hatten sich im September 2022 zusammengefunden, nach „jahrelangen Dauerkonfrontationen“, wie sich nicht nur Ministerpräsident Winfried Kretschmann erinnert. Das Ergebnis zahlreicher Runden in unterschiedlicher Zusammensetzung liegt jetzt auf dem Tisch, in Gestalt eines immerhin 40-seitigen, von allen Beteiligten unterzeichneten sogenannten Gesellschaftsvertrags. Anliegen aus Landwirtschaft und Naturschutz, Handel, Verarbeitung und Erzeugung sowie aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kirchen und Politik sind in die Kompromisse eingeflossen.

„Der Vertrag zielt auf konkrete Lösungen, um die Landwirtschaft nachhaltig zu gestalten, regionale Erzeuger und gleichzeitig die biologische Vielfalt in Baden-Württemberg zu stärken“, hofft der Ministerpräsident. Funktionieren könne dies aber nur, wenn jetzt jeder Sektor bereit sei, in seinem Verantwortungsbereich aktiv zu werden, um „gemeinsam was in die Furche zu bringen“.

Jeder Bereich soll liefern, aber ohne verbindliche Vorgaben

Ob und wie das gelingen kann, muss sich in den einzelnen Bereichen zeigen. Zum Beispiel im Handel, der mit für eine Stärkung der regionalen Wertschöpfung sorgen soll. Verbindliche Vorgaben gibt es jedoch nicht. „Durch das verstärkte und transparente Angebot von regionalen Produkten, regional meint immer Erzeugnisse aus ökologischer und konventioneller Produktion, kann die Nachfrage nach lokalen Erzeugnissen gesteigert werden“, heißt es in dem Vertrag, „was den Absatz der heimischen Landwirtinnen und Landwirte und deren Stellung in der Wertschöpfungskette direkt unterstützt.“ Hervorgehoben als Partner in der Umsetzung sind Aldi-Süd, Edeka, Lidl, Rewe sowie die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall.

Nur im Kleingedruckten finden sich die Einschränkungen. „Die konkrete Umsetzung der nachfolgend beschriebenen Maßnahmen obliegt den jeweils zuständigen Akteuren“, heißt es, und dass „das ‚Ob‘ und das ‚Wie‘ der Umsetzung von jedem Unternehmen eigenständig, nach seiner individuellen, autonomen und unabgestimmten Strategie bestimmt wird“. Eine Kontrolle erfolge nicht.

Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) hofft dennoch auf enge Kooperationen „entlang der gesamten Kette, von den Landwirtinnen und Landwirten über die Verarbeitungsbetriebe bis in die Regale“. Ebendort erwartet er, „dass regionale Lebensmittel künftig deutlich besser sichtbar sind“, darunter gerade Produkte mit dem Qualitätszeichen Baden-Württemberg und dem Biozeichen Baden-Württemberg.

Insgesamt umfasst der Gesellschaftsvertrag Handlungsempfehlungen und Selbstverpflichtungen in weiteren vier Bereichen, neben der Stärkung der Regionalität. Das Land will in der eigenen Verantwortung, aber auch beim Bund und in Brüssel dafür sorgen, dass Fördermaßnahmen zugunsten kleiner Betriebe und der Gemeinwohlorientierung umgestellt werden. „Gerade kleinere landwirtschaftliche Strukturen weisen eine höhere Artenvielfalt auf“, erläutert Umweltministerin Thekla Walker (Grüne). Landwirte seien für Umwelt- und Artenschutz gezielt zu belohnen, „anstatt nur Mehrkosten und Ertragsverluste auszugleichen, denn der Wandel muss sich rechnen“.

Versprochen ist mehr Transparenz für Verbraucher und eine klare Kennzeichnung. Das Land plant eine, wie Hauk sagt, groß angelegte Image- und Informationskampagne. Außerdem soll es mehr Regionalität in der Außer-Haus-Verpflegung geben und bereits ab der frühkindlichen Bildung eine Vielzahl von Angeboten zum Wert der Landwirtschaft und der Notwendigkeit von Umweltschutz. Darüber hinaus sieht der Gesellschaftsvertrag neue gezielte Weiterbildungen für Landwirte vor und eine veränderte Zusammenarbeit, „um das gegenseitige Verständnis zu fördern und gemeinsame Ziele zu erreichen“.

Im Haushalt ist mehr Geld vorgesehen

Über den Doppelhaushalt 2025/2026 hinaus sind 120 Millionen Euro zusätzlich aus Landesmitteln für einzelne Maßnahmen vorgesehen. Weil auch Bundesmittel auszugleichen sind, wird die Gesamtsumme 143 Millionen Euro betragen.

Außerdem werde der Stand Jahr für Jahr überprüft und öffentlich gemacht, so Ministerpräsident Kretschmann, welche Versprechen und welche Selbstverpflichtungen wie angepackt oder sogar umgesetzt seien, „um gemeinsam Verantwortung für die Zukunft unserer Landwirtschaft zu übernehmen“.

EU nimmt sich Land zum Vorbild

Der Strategiedialog Landwirtschaft des Landes trug zur Entwicklung der neuen EU-Agrarziele bei.

Jan Plagge, der Bioland-Präsident, ist einer der 29 Fachleute aus dem „europäischen Agrar- und Ernährungssektor, der Zivilgesellschaft, der ländlichen Gemeinschaften und der Wissenschaft“, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Brüssel geholt hat. Baden-Württemberg kann für sich in Anspruch nehmen, mit dem eigenen Strategiedialog Landwirtschaft die Aktivitäten auf EU-Ebene mit angestoßen zu haben. Und damit das Ergebnis, das Anfang September präsentiert wurde. Es sei nur zustande gekommen, „weil es gelungen ist, in der Perspektive der anderen zu denken“.

In hundert Sitzungen ist versucht worden, zu Kompromissen zu kommen. Vieles war lange strittig. In einer letzten Tag- und Nachtberatung, erzählt Plagge, seien die Gemeinsamkeiten dann doch erfolgreich herausgearbeitet worden. Unter anderen wurde Tierhaltung als „zentrales Element“ europäischer Landwirtschaft festgeschrieben. Bauern müssten innerhalb der Wertschöpfungskette gestärkt oder Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen honoriert werden. Eine weitere Forderung ist die Vereinfachung der europäischen Agrarpolitik, eine andere die, den Konsumenten „gesunde und nachhaltige Kaufentscheidungen“ einfacher zu machen.

Die Kommissionspräsidentin hat sich bereits zur Umsetzung geäußert und zugesagt, dass alle Kommissare sich künftig mit den Ergebnissen des Dialogs befassen müssen. Für den Bioland-Präsidenten „ein Riesenfortschritt, weil die Verantwortung damit endlich auf viele Schultern verteilt wird“.

Stimmen zum Thema

Markus Arzt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau: „Der Gesellschaftsvertrag ist an vielen Stellen unkonkret geblieben. Das Ziel, die Interessen vieler zusammenzubringen, aber auch das Kartellrecht sind hohe Hürden gewesen. Jetzt muss sich der Wert der Vereinbarungen durch die Umsetzung in der Praxis zeigen, daran, wie wir ins Tun kommen. Das Land hat mit der Kantinenrichtlinie eine Vorbildfunktion eingenommen und ist damit angesichts des geringen Anteils von Bio-Lebensmitteln in der Außer-Haus-Verpflegung auf einem guten Weg.“

Marcus Arzt

Joachim Rukwied, Präsident des Landesbauernverbands: Mit der Zusage von 143 Millionen Euro zusätzlicher Mittel im Doppelhaushalt 2025/2026 bekennt sich die grün-schwarze Landesregierung klar zur heimischen Landwirtschaft. Eine in der Vereinbarung verankerte Finanzierungszusage der Politik war für uns unabdingbar. Mit diesem gesicherten Budget untermauert die Landesregierung die Glaubwürdigkeit des Strategiedialogs. Das eröffnet der heimischen Landwirtschaft echte Zukunftsperspektiven bei der Erzeugung regionaler Lebensmittel und dient dem Klima- sowie dem Artenschutz.

Joachim Rukwied

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