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Interview Nabu-Landeschef Johannes Enssle

„Alle Parteien müssen jetzt im Wahlkampf zeigen, ob ihnen der Naturschutz wirklich wichtig ist“

Johannes Enssle wurde gerade mit 98 Prozent als Landesvorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) in Baden-Württemberg bestätigt. Im Interview erklärt er, welche Themen in den kommenden Jahren oben auf der Agenda stehen, spricht über Probleme und Interessenskonflikte. 

Johannes Enssle ist Landesvorsitzender des Naturschutzbunds.

Nabu/Uli Regenscheit Fotografie)
Staatsanzeiger: Die Mittel für den Naturschutz wurden seit 2011 verdreifacht. Dennoch scheint es an vielen Stellen nicht so recht voranzugehen.

Johannes Enssle: Unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist in Sachen Naturschutz wirklich viel passiert. Nicht nur finanziell. Teilweise gab es auch Personalaufwuchs. Aber wir sind von einem geringen Level gestartet. Trotz des Aufwuchses sind wir noch längst nicht da, wo wir sein müssten, um all die Herausforderungen zu bewältigen, die wir haben.

Gerade erst hat der Europäische Gerichtshof Deutschland wegen unzureichenden Schutzes für artenreiche Mähwiesen verurteilt. Warum verschlechtert sich deren Zustand im Land?

Ein Grund ist, dass es zu einfach ist, diese nach EU-Recht geschützten Mähwiesen in Bauland umzuwandeln. Hinzu kommt, dass zwar versucht wird, Landwirte finanziell zu fördern, sodass sie diese Wiesen naturschutzfreundlich bewirtschaften. Doch vielfach werden sie dann doch zu oft gemäht oder zu oft gedüngt. Und dadurch gehen diese Wiesen dann auch verloren. Nun wird es spannend, wie das Urteil umgesetzt wird. Hinzu kommt, dass die EU zusätzlich eine Wiederherstellungsverordnung für diese und andere geschützte Lebensräume erlassen hat.

In Baden-Württemberg gibt es das Biodiversitätsstärkungsgesetz, dass aus dem Bienen-Volksbegehren entstanden ist. Führt das nicht zu mehr Naturschutz?

Wir haben da grundsätzlich ein gutes Gesetz. Damit wir diese Ziele im Land auch wirklich erreichen, muss sich die Landesregierung schon noch ganz schön anstrengen. Etwa wenn es um die Halbierung des Pestizideinsatzes geht, um die Steigerung des Ökolandbaus auf 40 bis 50 Prozent oder die Schaffung von zehn Prozent Refugialflächen für den Artenschutz auf landwirtschaftlichen Flächen. Und auch beim Schutz der Streuobstwiesen haben wir noch viele Baustellen.

Das Verhältnis zwischen Landwirten und Naturschützern war jahrelang angespannt. Inzwischen arbeiten beide Seiten etwa beim Strategiedialog Landwirtschaft zusammen. Hat sich das Verhältnis verbessert?

Definitiv. Beide Seiten mussten sich öffnen – der Naturschutz für die Sorgen der Landwirtschaft, die Landwirtschaft für die Argumente des Naturschutzes. Wir haben ja auch beim Volksantrag zur Eindämmung des Flächenverbrauchs zusammengearbeitet. So etwas wäre früher undenkbar gewesen.

Mit dem Antrag sind Sie im Landtag gescheitert. Zugleich gibt es viele Ansprüche an die Fläche: Für Wohnen, für Gewerbe, für Freizeit, für Infrastruktur, für Naturschutz. Wie bewerten Sie die Anstrengungen der Landesregierung, den Flächenverbrauch weiter einzudämmen?

Im Koalitionsvertrag hatte die Landesregierung für den Flächenverbrauch das Netto-Null-Ziel bis 2035 formuliert. Umso enttäuschender war es für uns, dass der Landtag unseren Volksantrag einfach weggewischt hat. Es wurde ein mickriger Aktionsplan beschlossen, der vor allem auf Freiwilligkeit basiert. Nicht verkehrt, aber wir glauben nicht, dass damit wirklich viel erreicht werden kann. Damit bleibt der Flächenverbrauch ein großes Problem. Sowohl für die Landwirte, denen Äcker und Wiesen verloren gehen, als auch für den Naturschutz.

Wo sehen Sie die größten Erfolge beim Artenschutz?

Vor allem bei Arten, die durch europäisches Recht nicht mehr verfolgt oder bejagt werden. Dazu zählen etwa der Biber, der Wolf, der Storch und die Greifvögel. Gleichzeitig bereitet uns der Rückgang bei den Insekten große Sorgen. Sie sind systemrelevant. Wir müssen uns deshalb stärker auf deren Erhalt konzentrieren. Und da schließt sich auch wieder der Kreis zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu den artenreichen Mähwiesen. Denn deren Schutz wirkt wie ein Insektenschutzprogramm.

Der Biber hilft, Flüsse zu renaturieren und trägt zum Wasserrückhalt in der Landschaft bei.
Gibt es Arten, deren Schutz, zum Schutz von Insekten beiträgt?

Ja. Das Rebhuhn zum Beispiel gilt als „Schirmart“ für eine strukturreiche Agrarlandschaft. Dort, wo das Rebhuhn lebt, gibt es auch die entsprechenden Strukturen, in denen sich Insekten wohlfühlen. Ein anderes Beispiel für ein Tier, das zu ökologischen Systemleistungen beiträgt, ist der Biber. Er ist ein genialer Landschaftsarchitekt. Er hilft, Flüsse zu renaturieren und trägt zum Wasserrückhalt in der Landschaft bei. In Zeiten des Klimawandels sollten wir ihn als Partner verstehen, nicht als Gegner.

Welche Themen werden Sie in der kommenden Amtszeit beschäftigen?

Wir werden an unseren bisherigen Schwerpunkten festhalten. Wir wollen die Landwirtschaft ökologischer und naturverträglicher gestalten. Außerdem befassen wir uns mit der Natur im Siedlungsraum: Es geht um Biodiversität in den Städten, auch zur Anpassung an den Klimawandel. Außerdem werden wir die Energiewende weiterhin aktiv begleiten. Wir brauchen einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, aber wir müssen dabei auch darauf achten, dass die Natur nicht unter die Räder kommt. Wir sind bereit für Kompromisse, aber die dürfen nicht zu weit gehen. So wurden uns von der Ampelregierung etwa Hilfsprogramme für windkraftsensible Vogelarten versprochen, die aber bis heute auf sich warten lassen, während der Ausbau der Windräder vorangeht. Da sind viele Naturschützerinnen und Naturschützer enttäuscht, auch von den Grünen im Bundestag. Aber nicht nur die Grünen, alle Parteien müssen jetzt im Wahlkampf zeigen, ob ihnen der Naturschutz wirklich wichtig ist.

Der Naturschutzbund

130 000 Mitglieder hat der Naturschutzbund (Nabu) inzwischen in Baden-Württemberg. 230 Ortsgruppen sind im Land aktiv. Und der Verband kann durchaus Erfolge vorweisen. So brütet etwa der Fischadler wieder im Südwesten. Die Saalbachniederung wurde ein Naturschutzgebiet und viele kommunalen Grünflächen sind inzwischen so gestaltet, dass Wildbienen und Hummel ebenso wie andere Insekten hier Nahrung finden. Nicht zuletzt dank eines Förderprogramms, das vom Nabu angestoßen wurde.

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