Hat die Selbstkontrolle versagt?
Stuttgart. Zum inzwischen 31. Mal hat sich am Montag der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum früheren Inspekteur der Polizei (IdP) und der Beförderungspraxis im Plenarsaal des Landtags getroffen. Und dennoch ist Thomas Berger, der Chef des Präsidiums Technik, Logistik, Service, einer der ersten Zeugen überhaupt, der erläutert, wie Führungsverantwortung und Beurteilungen „nicht nur auf dem Papier, sondern in unserem Alltag“ gelebt werden kann.
„Papier ist geduldig“, sagt Berger, der Chef des Präsidiums Technik, Logistik und Service, und greift zu einem Vergleich aus der eigenen Familie: Hätte er zehn Regeln an den Kühlschrank geheftet, wären seine inzwischen erwachsenen Kindern vor allem daran interessiert gewesen, ob die Eltern diese Regeln auch selber einhalten. Weitere Auswirkungen aufs Zusammenleben hätte er nicht erwartet. Denn sich an Regeln zu halten, sei „eine Kulturfrage, eine Frage des Menschenbildes“. Und: „Vorgesetzte müssen diese Werte leben.“
Berger ist seit 1991 bei der baden-württembergischen Polizei, aufgestiegen aus dem mittleren, in den gehobenen und höheren Dienst. Unter Innenminister Heribert Rech (CDU) war er Referent im Lagezentrum des Innenministeriums. Der SPD-Nachfolger Reinhold Gall holte ihn als Leiter in die Zentralstelle. „Das Besondere beim Chefsein ist“, so der Zeuge weiter, „dass Sie die Verantwortung zu tragen haben, aber meistens gar nicht schuld sind, wenn etwas schiefläuft.“
In der gut zweistündigen Vernehmung bietet er Einblicke ins Innenleben der baden-württembergischen Polizei, die bisher nicht breit besprochen worden sind. Insbesondere die Bedeutung des Legalitätsprinzips beim Bekanntwerden von internen Vergehen. Denn meldet eine Beamtin ihrem Chef einen sexuellen Übergriff, muss der von Rechts wegen sofort aktiv werden. Berger bekennt, seine anfänglich kritische Meinung zur Einsetzung einer Vertrauensanwältin im Innenministerium deshalb auch geändert zu haben, weil damit ein niedrigschwelliger Zugang geschaffen worden sei. Und er hält auch mit seinem Bedenken gegenüber Beurteilungen und Beförderungen zumindest in bestimmten Bereichen nicht hinter dem Berg.
Als Beispiel nennt der 53-Jährige die Besetzung eines IT-Postens in seinem Präsidium. Ein ausgewiesener Spezialist könne gar nicht ausgewählt werden, würde ein Polizeibeamter die Laufbahnvoraussetzungen und die entsprechende Beurteilung mit sich bringen. Er betont die Bedeutung der Kommunikation untereinander und der Reflexion. „Es wäre wirklich cool und gut, wenn sich Menschen in der Selbsteinschätzung fragen würden, ob und warum sie sich selber und ob und warum Dritte ihnen ein bestimmtes Amt zutrauen“, so der Zeuge. Die Vorgänge rund um die IdP sind für ihn ein Beleg, dass das System der Selbstkontrolle bei der Polizei jedenfalls „ein Stück weit versagt hat, sonst hätten die Vorgänge ja nicht stattgefunden“.
Noch einmal aufgerufen sind auch Details zur Bestellung des suspendierten IdP Renner. Frühere Zeugen sagten übereinstimmend aus, dass seine Berufung auf Wunsch von Innenminister Thomas Strobl (CDU) erfolgt ist. Sowohl Berger als auch der zweite Zeuge Franz Lutz, der frühere Stuttgarter Polizeipräsident, berichten, sie seien vorab angerufen worden, um ihr Interesse an dieser ranghöchsten Funktion abzufragen. Beide hatten abgelehnt. Auch der inzwischen pensionierte Lutz nennt das Legalitätsprinzip als mögliche Hürde, wenn es um die Meldungen von sexuellen Belästigungen über Übergriffe geht. „Das sind Ängste sehr virulent“, so Lutz. Es gehe auch darum, sich nicht anzuschwärzen, „was natürlich völlig falsch ist, aber in einer Gefahrengemeinschaft vorkommt“.
Der Untersuchungsausschuss trifft sich am 16. Dezember zum letzten Mal vor dem Jahreswechsel. Wie lange die Arbeit, die die CDU ursprünglich in wenigen Monaten abschließen wollte, insgesamt noch dauert, steht nicht fest. Die Zeugenliste ist weiterhin lang. Und auch die Führungsspitze des Innenministeriums könnte noch einmal gehört werden, unter anderen zu Führungskultur und Werteverständnis und zu Vorgängen bei Sondereinsatzkommando in Göppingen. Wie andere Zeugen vor ihm widerspricht auch Berger der Darstellung, es habe rechtsextreme Tendenzen gegeben. Im Raum steht der Vorwurf. der ehemalige IdP habe diese lanciert, um die Führungsspitze mit Vertrauten besetzen zu können, die nach wenigen Monaten allerdings die Ämter wieder aufgaben.