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Interview: Grünen-Landesvorsitzende

„Der ländliche Raum ist für uns Grüne nicht so leicht zu erreichen“

Die beiden Landesvorsitzenden der Grünen, Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller, sehen in der vorgezogenen Bundestagswahl vor allem Chancen für die Grünen. Nicht zuletzt auch für die Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg.

Beim Parteitag wählen die Grünen die Kandidaten für die Landesliste - abgestimmt wird für jeden einzeln.

IMAGO/Daniel Kubirski)
Staatsanzeiger: Die Grünen sind sowohl im Land als auch im Bund in einem Umfragetief. Kommen der Ampelbruch und die Neuwahlen für Sie jetzt zur Unzeit?

Lena Schwelling: Ganz im Gegenteil. Das ist vielleicht unser Weg, aus dem Umfragetief herauszukommen.

Wie wollen Sie das schaffen?

Pascal Haggenmüller: Wir waren ja Teil einer sehr unbeliebten Bundesregierung. Jetzt haben wir die Möglichkeit, uns davon wieder freizuschwimmen und unsere Inhalte in den Vordergrund zu stellen. Darum wird es in den nächsten Wochen und Monaten gehen.

Wie gut sind Sie auf den sehr kurzfristig anstehenden Bundestagswahlkampf vorbereitet?

Lena Schwelling: Sehr gut, weil wir in Baden-Württemberg schon immer mit einem langen Vorlauf planen. Deshalb haben wir uns frühzeitig um die Nominierungen gekümmert. Die Kandidierenden sind in fast allen Wahlkreisen bereits aufgestellt und in den übrigen stehen die Termine dafür fest. Unser Parteitag zur Listenaufstellung ist Anfang Dezember. Auch da sind wir auf der sicheren Seite. Wir haben die Mittel, die die Kreisverbände für den Wahlkampf benötigen, bereits liquide gemacht, sodass auch die kurzfristig zur Verfügung stehen.

Den Grünen wird gerne vorgeworfen, ideologisch zu sein und andere zu bevormunden. Sie sind der Hauptgegner der Rechtspopulisten. Das verfängt auch in der Bevölkerung. Wie wollen Sie da wieder rauskommen?

Lena Schwelling: Schaut man sich die letzten Wahlkämpfe bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland an, haben wir zu oft den Fehler gemacht, zu sagen: Wir sind gegen rechts und für die Demokratie. Das ist natürlich richtig, aber für die Menschen noch lange kein Grund, die Grünen zu wählen. Denn das gilt auch für alle anderen demokratischen Parteien. Wir müssen jetzt für diese Bundestagswahl viel stärker herausstellen, warum man die Grünen wählen sollte.

Warum sollte man?

Lena Schwelling: Da haben wir viele Punkte, die auch eine Antwort auf die Verunsicherung in der Gesellschaft bieten. Sei es das Thema Infrastruktur. Wir erleben alle in unserem Alltag, dass das ein Riesenproblem ist, angefangen bei den Kita-Öffnungszeiten, fehlendem Fachpersonal bis zur Bahn, die nicht pünktlich ist, oder sanierungsbedürftigen Brücken. Da haben wir schon große Hausaufgaben. Deswegen brauchen wir ein mutiges Investitionsprogramm. Das ist ein Thema, das man nach vorne stellen kann. Ich habe den Eindruck, damit kann man auch wieder Vertrauen zurückgewinnen.

Pascal Haggenmüller: Es gab in den letzten Jahren auch eine Diskursverschiebung. Wir müssen wieder lernen, Dinge auch neu zu begründen. Nur weil jemand sagt, etwas sei nicht rechts- oder verfassungskonform, ist das für viele Leute noch keine stimmige Antwort. Wir müssen erklären, warum es gut ist, eine Lösung zu finden, die verfassungs- und rechtskonform ist, und warum diese Lösung auch gut für die Menschen ist. Da noch einmal inhaltlich zu argumentieren, ist eine große Aufgabe für uns in den nächsten Wochen und Monaten.

Der Abstand zwischen Bundestags- und Landtagswahl wird nun deutlich größer. Sehen Sie dadurch eine Chance, in Baden-Württemberg wieder aus den Umfragetiefs rauszukommen?

Lena Schwelling: Absolut. Wenn man sich die Umfragen im Detail anschaut, dann stellt man fest, dass ein Großteil der Unzufriedenheit der Menschen gar nichts mit der Landespolitik zu tun hat. Es geht vor allem um bundespolitische Themen. Es ist auch die Anmutung, die diese Bundesregierung hatte, die für viel Frust und Unzufriedenheit gesorgt hat. Wir haben jetzt durch die vorgezogene Bundestagswahl die Chance, einen Landtagswahlkampf zu führen, der auch im Zeichen der Landespolitik steht. Wir können die Themen des Landes, etwa die Bildungspolitik, nach vorne stellen oder auch die Wirtschaftspolitik. Denn wir haben im Land ja einiges vorzuweisen. Aber wir haben auch noch große Aufgaben vor uns. Zu zeigen, was wir in Baden-Württemberg noch erreichen wollen, wird uns sicher besser gelingen, wenn wir keinen Wahlkampf im Windschatten der Bundestagswahl machen müssen, sondern den Fokus auf die Frage legen können, wer dieses Land in die nächsten Jahre führen soll.

Sie haben mit Cem Özdemir nun einen Spitzenkandidaten, der in den vergangenen Jahren auch Teil der Bundesregierung war.

Pascal Haggenmüller: Das stimmt. Aber Cem Özdemir ist eng mit Baden-Württemberg verbunden. Die Menschen kennen ihn als Urschwaben. Sie wissen, dass er von hier kommt und dass er Politik für dieses Land macht. Cem ist ein Baden-Württemberger durch und durch.

Also ist das Ministeramt in Berlin kein Hindernis bei der Landtagswahl?

Pascal Haggenmüller: Ich würde eher sagen: Wir haben unseren besten Mann nach Berlin geschickt. Und jetzt sind wir einfach froh, dass wir ihn hier zu Hause wieder zurückkriegen.

Lena Schwelling: Und er hat in seinem Ressort einiges hingekriegt, gerade wenn man auf die Bauernproteste zurückschaut, die für einen Landwirtschaftsminister wahrscheinlich die größte Herausforderung sind. Und das hat er sehr gut gemanagt, indem er zu den Bauern gegangen ist, das Gespräch gesucht hat, gezeigt hat, dass er die Sorgen und Nöte sieht. Er hat sich für die Bauern eingesetzt und war erfolgreich, denn Teile der geplanten Maßnahmen wurden wieder zurückgenommen.

Trotz viel Zustimmung bei den vergangenen Wahlen im Land sind die Grünen in ländlichen Milieus nach wie vor nicht gut verankert, sie stellen landesweit auch nur wenige Bürgermeister und keinen einzigen Landrat. Warum ist es bislang nicht gelungen, zu einer Volkspartei zu werden?

Lena Schwelling: Die ländlichen Räume sind für uns Grüne in der Tat nicht so leicht zu erreichen. Das hat auch viel damit zu tun, dass wir da einfach sehr wenig Mitglieder haben. Deswegen war es unser Ziel, als wir als Landesvorsitzende gewählt wurden, zu gucken, dass wir uns in den ländlichen Räumen stärker verankern. Wir haben es zum Beispiel bei den letzten Kommunalwahlen geschafft, 60 neue Listen an den Start zu bringen, und zwar in den ländlichsten Räumen, wo wir bisher nicht vertreten waren. Diese Listen waren alle erfolgreich und machen jetzt in den kommunalen Gremien ganz praktisch und im Alltag grüne Politik.

Wird das für eine dauerhafte Verankerung reichen?

Lena Schwelling: Das ist zwar ein langer Weg, aber aus meiner Sicht ist es der erfolgversprechendste, weil wir damit zeigen können, dass grüne Politik zu den kleinsten Kommunen genauso passt wie zu den großen Städten. Indem wir ganz praktisch vor Ort die Probleme der Menschen lösen. So kann Vertrauen wachsen, wovon wir dann wiederum auch auf Landes- und Bundesebene profitieren können.

Pascal Haggenmüller: Hinzu kommt, dass sich die Großwetterlage in den letzten zehn Jahren massiv verändert hat. Das Thema Klima, das 2019 ja beherrschend war, ist heute nicht mehr das Topthema, und das bedeutet natürlich auch für uns Grüne Herausforderungen. Wir müssen da an zwei Stellen, glaube ich, noch mal nachschärfen.

An welchen?

Pascal Haggenmüller: Einmal müssen wir klarmachen, dass wir die europäische Friedenspartei sind. Und der andere Punkt ist die wirtschaftliche Entwicklung und soziale Sicherheit. Hier müssen wir deutlich machen, dass zwischen Ökonomie und Ökologie kein Oder passt und wir dafür auch die entsprechenden Konzepte haben.

Das wird aber wahrscheinlich nicht einfach, weil viele Menschen mit den Grünen nicht unbedingt das Thema Wirtschaft verbinden.

Lena Schwelling: Ja, das führt auch wieder zu dem Punkt, warum wir uns manchmal in den ländlichen Räumen schwertun. Denn die Antworten, die die Grünen in Großstädten zum Umgang mit dem Autoverkehr haben, sind nicht die richtigen Antworten für eine 1000-Einwohner-Kommune im ländlichen Raum. Wir haben den Anspruch, Baden-Württemberg-Partei zu sein. Dazu müssen wir Angebote für Stadt und Land machen und die Themen adressieren, die die Menschen umtreiben.

Bei der nächsten Landtagswahl gibt es erstmals auch eine Landesliste, die mit darüber entscheiden kann, wer nach der Wahl sein Mandat behalten wird. Wie groß wird das Hauen und Stechen um die vorderen Listenplätze?

Pascal Haggenmüller: Das wird auch für uns eine Veränderung. Aber ich bin überzeugt, dass das veränderte Wahlrecht gut ist. Denn so können wir es auch schaffen, mehr Frauen, mehr junge Menschen, mehr Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen in den Landtag zu bekommen. Derzeit stärkt das Wahlrecht auch die Hochburgen. Und auch wir grünen sind trotz 58 Direktmandaten in zwölf der ländlichsten Wahlkreise nicht präsent. Die Landesliste bietet auch die Chance, Leute aus diesen Wahlkreisen in den Landtag zu schicken, die nach dem alten Wahlrecht keine Chance gehabt hätten.

Wer wird über die Listenplätze entscheiden?

Lena Schwelling: Das macht bei uns ganz basisdemokratisch der Landesparteitag. Es wird Platz für Platz gewählt. Und wir müssen damit rechnen, dass sich auf verschiedene Plätze auch mehrere Leute bewerben. Für den Parteitag sollte man sich viele Nüsse mitnehmen – er wird lang.

Der Landesvorsitz der Grünen hat eine Doppelspitze

Die Grünen haben beim Landesvorsitz eine Doppelspitze. Eine Besonderheit ist, dass die Landesvorsitzenden keine Ämter in Regierung oder Fraktion innehaben dürfen.

Lena Schwelling ist seit 2014 Stadträtin in Ulm. Die Germanistin, die von 2015 bis 2019 Landessprecherin der Grünen Jugend war, hat mehrere Jahre für das öffentlich-rechtliche IT-Unternehmen Komm.One gearbeitet und berufsbegleitend ein Masterstudium Public Management an der Verwaltungshochschule Ludwigsburg absolviert.

Pascal Hagenmüller hat Politikwissenschaften, Geschichte und Italienisch in Freiburg studiert. Als Mitglied des Landesvorstands hatte er bereit den letzten Koalitionsvertrag in einem Bereich mitverhandelt. Sein Ziel: Den Wandel gestalten, hin zu einer klimaneutralen, gerechten und vielfältigen Gesellschaft.

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