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Ein Tarifabschluss, von dem die Politik etwas lernen kann
Die Metall- und Elektroindustrie hat einen der schwierigsten Abschlüsse in der Geschichte der Branche erreicht. Dabei ging es diesmal weniger um ideologische Grundsätze wie etwa die 35-Stunden Woche oder eine Öffnungsklausel für angeschlagene Betriebe. Eigentlich stand nur der Umfang der Lohnerhöhung im Raum. Doch die Vorstellungen von Arbeitgebern und Gewerkschaft lagen so weit auseinander wie selten zuvor.
Die IG Metall war im Frühjahr noch davon ausgegangen, dass die Branche die Rezession hinter sich lässt. So wollte man in den beginnenden Aufschwung hinein verhandeln. Doch die wirtschaftliche Realität hat die Forderung der IG Metall völlig verhagelt. Tatsächlich ist die Lage in der Branche so schlecht wie schon lange nicht mehr. Der Auftragseingang ist so zusammengeschrumpft wie zuletzt während der Finanzkrise im Jahr 2009. Die Auslastung der Betriebe liegt mit 77 Prozent zehn Punkte unter dem Normalwert.
Zahl der Kurzarbeiter steigt vor allem in Baden-Württemberg
Vor allem in Baden-Württemberg steigt die Zahl der Kurzarbeiter mehr und mehr. Betroffen sind Betriebe im Maschinenbau und vor allem in der Autoindustrie. Dort planen selbst große Konzerne wie ZF oder Bosch mit dem Abbau von Tausenden von Arbeitsplätzen. Während die IG Metall unverdrossen an ihrer Forderung nach einem kräftigen Zuschlag beharrte, war die Vorgabe an die Verhandler der Arbeitgeberseite klar: möglichst keine zusätzlichen Kosten.
Der Kompromiss sieht eine Lohnerhöhung von 5,1 Prozent vor. Im April 2025 steigen die Entgelte um zwei Prozent, dann ein Jahr später um weitere 3,1 Prozent. Der Vertrag läuft bis Oktober 2026. Die Entgelte für die Auszubildenden steigen ab Januar um 140 Euro. Bis Februar sollen alle 3,9 Millionen Beschäftigte eine Einmalzahlung von 600 Euro erhalten. Das tarifliche Zusatzgeld (T-Zug) wird schrittweise von 18,5 auf 26,5 Prozent erhöht. Unternehmen mit einer Rendite unter 2,3 Prozent können dies aber streichen. Das kann je Mitarbeiter bis zu 900 Euro ausmachen. Urlaubs- und Weihnachtsgeld bleiben davon unberührt.
Dieses Ergebnis schafft das Kunststück, beide Seiten zu bedienen. Die Beschäftigten bekommen einerseits langfristig mehr Geld. Gleichzeitig musste aber die IG Metall einer sehr langen Laufzeit und einer Differenzierungsregelung zustimmen, die schwache Unternehmen entastet, aber dem Dogma, des einheitlichen Tarifvertrags widerspricht. Zudem kommt die erste Lohnerhöhung erst im Frühjahr. Das alles verschafft der Branche erst einmal Luft und Planungssicherheit.
Beweis dafür, dass es in Deutschland möglich ist, Kompromisse zu finden
Die Metaller sehen sich zu Recht als Beweis dafür, dass es in Deutschland durchaus möglich ist, Kompromisse zu finden. Der Tarifabschluss ist in nur zwei Monaten gelungen, obwohl die Ausgangslage fast hoffnungslos verworren erschien. Doch statt sich in unendlichen Streiks und gegenseitigen Schuldzuweisungen zu ergehen, haben beide Seiten verbissen um eine Lösung gekämpft. Das ist gelebte Demokratie und ein Beispiel auch für andere Branchen, die regelmäßig das öffentliche Leben lahmlegen. Es ist aber auch ein Signal an den eigenen Nachwuchs. Sie sehen, dass sich Engagement in einem demokratischen Prozess doch lohnt. Eine Lehre fürs Leben.
Der starke Wille zum Kompromiss ist zudem eine Lehrstunde für die Politik. Die verharrt seit Jahren im ideologischen Grabenkampf. Die Metaller haben deutlich gemacht, die man die gemeinsame Sache vor die Partikularinteressen stellt. Dabei wurde auch akzeptiert, dass die Gegenseite durchaus auch ihre Nöte hat. Beide Seiten sind darauf eingegangen. Auch wenn’s ziemlich geschmerzt hat.
Die Tarifparteien verschaffen der Wirtschaft eine verlässliche Basis. Jetzt ist Berlin am Zug. Die Aufgaben liegen schon seit Jahren auf dem Tisch. Weniger Bürokratie, günstige Energiepreise, solide Infrastruktur und endlich ein funktionierendes Einwanderungsgesetz, das den Fachkräftemangel lindert.
Dafür sollten die Politiker es unterlassen, sich immer wieder in die Tarifautonomie einzumischen. Eingriffe, wie die vom Wahlkampf getriebene Anhebung des Mindestlohns, konterkariert die vom Grundgesetz garantierte Unabhängigkeit der Tarifparteien. Und die haben mit dem Metallabschluss gezeigt, dass sie soziale Verantwortung und wirtschaftliche Weitsicht sehr gut alleine unter einen Hut bringen können.