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Gesundheitspolitik

Notfallpraxen: Werden doch nicht alle wie geplant geschlossen?

Wie geht es weiter mit den Notfallpraxen auf dem Land? Es sollen 18 Standorte wegfallen. Die betroffnen Kommunen fühlen sich im Stich gelassen, der Minister Manne Lucha (Grüne) verweist auf die Kassenärzte. Doch dann deutet sich Bewegung an, zumindest in manchen Fällen.

Überall im Land gehen die Menschen gegen die geplanten Schließungen auf die Straße. Karsten Braun (Kreis links) und Doris Reinhardt von der Kassenärztlichen Vereinigung und Sozialminister Manne Lucha (Grüne). FOTOS: DPA/MARIJAN MURAT (Hintergrund, Kreise links und Mitte); DPA/BRITTA PERDESEN

DPA/MARIJAN MURAT, DPA/BRITTA PERDESEN)

Stuttgart. Der Herrenberger OB Nico Reith versteht die Welt nicht mehr. Die Stadt südlichen Kreis Böblingen verliert schon die landesweit gelobte Geburtsklinik im Krankenhaus. Nun gehört die 34-000-Einwohner Stadt zu der Liste von 18 Standorten, in denen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) den Bereitschaftsdienst von Ärzten nachts und an Wochenenden ab April 2025 nach und nach dicht machen wollen.

„ Es handelt sich m eine deutliche Verschlechterung in der Notfallversorgung“, schimpft Reith, „Leidtragende sind am Ende die Bürgerinnen und Bürger, die weitere Fahrtstrecken zurücklegen müssen.“ Die Notfallambulanzen der Krankenhäuser seien die Leidtragenden. Ihn stört die fehlende Kommunikation der KV dazu: „Es kann nicht sein, dass eine Entscheidung solcher Tragweite hinter verschlossenen Türen getroffen wird.“

Der Minister verweist auf die Kassenärzte

Der Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne), der die Aufsicht über die Kassenärztliche Vereinigung hat, wiegelt am Dienstag ab: „Wir wissen seit der Gesundheitsreform von 1994, seit Horst Seehofer einen radikalen Niederlassungsstopp erlassen hat, dass dort schon die Versäumnisse angelegt wurden.“ Es gebe daher 1000 nicht besetzte Arztsitze, das sei das eigentliche Problem.

Trotz aller Förderprogramme fehle es am Nachwuchs bei den Ärzten. Er verweist auf Telemedizin und Patientensteuerung: „Wir können damit 60 Prozent der Patientenkontakte erübrigen.“ Es gebe keine Verschlechterung, sondern „nur eine Modernisierung“. Sein Parteifreund und Ministerpräsident Winfried Kretschmann verweist wiegelt ab: „Wir müssen auf das emotionale Thema rational reagieren.“

Kommunalpolitiker und die Opposition üben scharfe Kritik

Die Kassenärztliche Vereinigung in Stuttgart muss sich heftige Kritik der Verbände gefallen lassen. Doris Reinhardt, die Vize-Vorstandschefin der KV, verweist auf ein demografisches Problem: „Es sind über 2500 Hausärzte über 65 im wohlverdienten Ruhestandsalter.“ Wer sich der Wahrheit nicht stelle, handele unverantwortlich. Der Vorsitzende des Ärzteverbundes Medi, Norbert Smetanak, wird noch deutlicher und appelliert an die Bürger, nicht wegen „Kleinigkeiten“ am Wochenende anzurufen: „Ich sehe in der Gesellschaft durchaus einen starken Trend zur Flatrate-Kultur. Wir können nicht für jede Unpässlichkeit oder Verunsicherung 24 Stunden am Tag kontaktiert werden.“

Proteststürme der Kommunen

Die Kritik von kommunaler Ebene und politischer Ebene ist jedoch groß – alle betroffenen Oberbürgermeister protestieren in einem Brief. Und der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Florian Wahl, kritisiert die Landesregierung: „Ein Gesundheitsminister darf nicht der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung sein.“ Der SPD-Landeschef Andreas Stoch fordert, einen „Sicherstellungsauftrag“ für die Kassenärzte gesetzlich vorzuschreiben.

Im Sozialausschuss des Landtages deutet sich tatsächlich Bewegung an. Der Sozialminister Lucha sagt am Ende einer dreistündigen Debatte, das Konzept der Kassenärztlichen Vereinigung könne erst umgesetzt werden, wenn vor Ort Alternativkapazitäten bestehen: „Da können Sie mich beim Wort nehmen.“ Als der FDP-Abgeordnete Rudi Fischer nachfragte, ob etwa Münsingen erst dann geschlossen wird, sagte Lucha: „Ja.“

Wie kam es so weit?

Im Oktober 2023 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass eine Tätigkeit im (zahn-)ärztlichen Bereitschaftsdienst als sogenannter Poolarzt sozialversicherungspflichtig ist. Daher musste die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) die Tätigkeit der rund 3000 Poolärzte beenden – das sind Ärzte ohne Kassenzulassung oder in Ausbildung. Das hat die Lage deutlich verschärft.

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