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AfD-Parteitag

Die Gegner von Alice Weidel werden abgestraft

Die Fronten sind geklärt, die Kritiker abgestraft, einer könnte sogar die Partei verlassen. Der Nominierungsparteitag der AfD in Ulm zeigte vor allem eines: Eine Mehrheit steht hinter Alice Weidel. Die einst so lauten Grabenkämpfe sind nur noch als dumpfes Grummeln zu vernehmen.

Alice Weidel bedankt sich beim AfD-Parteitag in Ulm für die Wahl zur Spitzenkandidatin. Sie steht auf Platz eins der Landesliste. Im März soll sie auf dem Bundesparteitag zur Kanzlerkandidatin 
gekürt werden.

Michael Schwarz)

Ulm. Sommer in Berlin. Zwei AfD-Abgeordnete, Dirk Spaniel und Markus Frohnmaier, treffen sich an der Sicherheitsschleuse des Reichstags. Der eine ruft dem anderen augenzwinkernd etwas zu. Es hat den Anschein, als seien die beiden Herren, die aus Baden-Württemberg kommen, dicke miteinander befreundet.

Ein Vierteljahr später. In der Ulmer Donauhalle hält die Landes-AfD ihren Nominierungsparteitag ab. Auch hier kreuzen sich ihre Wege, doch von Vertrautheit keine Spur. Der eine, der in Berlin noch zwinkerte, hält eine Bewerbungsrede, von der er ahnt, dass sie vergeblich ist und dass er aus dem Bundestag fliegt. Der andere sitzt dahinter auf dem Stuhl des Landesvorsitzenden und genießt es, dass bei der AfD endlich einmal alles am Schnürchen läuft.

Wahlen sind immer auch Abrechnungen, und dass die Abrechnung für Dirk Spaniel, der von 2019 bis 2020 selber an der Spitze der Südwest-AfD stand, kommen würde, muss er geahnt haben. Zu oft hatte er die Partei durch seine Winkelzüge gespalten.

Spätestens nach dem Rottweiler Parteitag war klar, wohin das führen könnte – jenem Parteitag vor einem Dreivierteljahr, der mit Handgreiflichkeiten begonnen hatte. Spaniels Truppe hatte versucht, den Landesvorsitzenden Markus Frohnmaier vom Mikrofon zu verdrängen, noch bevor die Veranstaltung eröffnet werden konnte. Als sie erkannten, dass ihre Taktik, die auch aus zahllosen Geschäftsordnungsanträgen bestand, nicht aufging, verließen Spaniel und Freunde fluchend den Saal.

„Ab 16.30 Uhr lief es wie geschnitten Brot.“ So erinnert sich Emil Sänze, der andere der beiden Landesvorsitzenden, an jenen 24. Februar 2024. Was Sänze und Frohnmaier, die am selben Abend mit über 75 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurden, auch Alice Weidel verdankten. Die Bundesparteichefin begab sich in Rottweil ans Saalmikrofon und blies den Parteifreunden den Marsch: „Ich möchte Sie bitten, diese schwachsinnigen Anträge sein zu lassen.“

Die Drei, die ihr Mandat verlieren, gelten als Weidel-Gegner

Damals brach für die AfD Baden-Württemberg eine neue Zeitrechnung an, sofern man eine solche Feststellung ein halbes Jahr später schon treffen kann. Vorbei die Zeiten, als man sich noch reihum abwechselnd gegen das Schienbein trat. Nicht, dass es einige nicht auch noch gelüsten würde, doch es bringt nichts mehr, denn die Machtverhältnisse sind seit Rottweil geklärt.

Und nun wird nicht nur Spaniel sein Bundestagsmandat verlieren, sondern auch Jürgen Braun und Christina Baum. Die letzten Gegner von Weidel, die sich noch in der ersten Reihe halten konnten. Die anderen hatten schon in Rottweil ihre Parteiämter verloren.

Diejenigen, die an ihrer Stelle in den Bundestag ziehen dürften – die aktuellen Umfragewerte verheißen der AfD landesweit 15 bis 18 Mandate, je nach dem, ob die FDP in den Bundestag kommt oder nicht – bekunden ihre Loyalität. Hans-Jürgen Goßner, der derzeit noch im Landtag sitzt, verspricht der Spitzenkandidatin „ein Team, auf das sie sich verlassen kann“. Er werde innerhalb der neuen Bundestagsfraktion dafür sorgen, „dass wir kein Störfeuer haben“. Die Pforzheimer AfD-Vorsitzende Diana Zimmer sagt: „Wenn wir alle an einem Strang ziehen, unsere Alice Weidel im Wahlkampf tatsächlich unterstützen, wenn wir Gas geben, dann wird der gesamte Südwesten zur blauen Hochburg.“

Zimmer, die die stärkste Fraktion im Pforzheimer Gemeinderat anführt – in der Goldstadt eroberte die AfD im Juni 22 Prozent der Stimmen – ist so etwas wie das neue Gesicht der AfD. BWL-Studium, Controllerin, blonde Haare, elegante Stöckelschuhe, makellose Erscheinung. Die 26-Jährige, deren Eltern als Spätaussiedler aus Russland kamen, hat ihren Fanclub mitgebracht – junge Männer, die sich teilweise auf Russisch unterhalten und applaudieren, wenn es gegen Flüchtlinge geht.

Der Verlauf des Parteitags gefällt dem Fraktionschef im Landtag. „Es geht nicht um Frau Weidel. Ein Team muss funktionieren. Wir müssen noch geschlossener auftreten. Wir sind auf dem Weg der Professionalisierung“, resümiert Anton Baron, als diese drei Personalien abgehakt sind. Neben Hans-Jürgen Goßner und Diana Zimmer sichert sich auch der Landtagsabgeordnete Ruben Rupp aus Schwäbisch Gmünd ein aussichtsreiches Ticket. Baron war kürzlich erst selber im Amt bestätigt worden, wobei im Dunkeln blieb, wie diese Wahl verlief. Dem Staatsanzeiger liegen Aussagen vor, die auf zahlreiche Wahlgänge, mehrere Gegenkandidaten und einen äußerst knappen Ausgang hindeuten. Der Fraktionschef bestreitet diese Darstellung und will sich darüber hinaus nicht äußern.

Von einer Kader- oder Merkel-Partei, wie der unterlegene Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun die AfD nennt, könne keine Rede sein, findet Co-Landeschef Emil Sänze. Der 74-Jährige gibt sich bei der Frage, ob es auch ihn mal wegspülen könnte in dieser speziellen Partei, gelassen: Er sei finanziell abgesichert und auf keine Ämter angewiesen. Sänze, der als völkischer Scharfmacher gilt, aber auch als einer, der schneller im Kopf ist als manch anderer AfDler, wird keinem Lager zugerechnet. Sänze führt gemeinsam mit Markus Frohnmaier die Landespartei seit Sommer 2022. Man könne sich aufeinander verlassen, betonen die beiden, die schon allein altersmäßig eine große Bandbreite abdecken.

Frohnmaier ist erst 33 Jahre alt und hat eine bemerkenswerte Karriere hinter sich. Früher war er Chef der Jungen Alternativen und haute Sprüche raus wie diesen: „Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk, liebe Freunde!“

Heute distanziert er sich davon, dies seien Jugendsünden. Auch seine Russlandnähe – er hatte einst die Annexion der Krim begrüßt – ist in den Hintergrund gerückt. Stattdessen betont er seine Nähe zu Weidel, die auch schon mal zum Geburtstag kommt, und leistet Kärrnerarbeit: Vor dem Ulmer Parteitag reiste er von Kreisverband zu Kreisverband, schaute sich nach Kandidaten um und bastelte an Mehrheiten. Die Geschlossenheit (siehe unten) kann sich sehen lassen. Eng wird es erst auf den hinteren Listenplätzen, und auch dies nur selten. Auch in Sachen regionaler Verteilung, bei Bildungsstand, Alter und Beruf ist eine Mischung erkennbar. Die Zeiten einer Professorenpartei sind definitiv vorbei.

Trotzdem trifft man unter den knapp 1000 Parteimitgliedern in Ulm noch welche, die der alten Lucke-Partei hinterherweinen, aber auch jene, die erst mit Corona dazugekommen sind. Die Geschichten von den Pharmakonzernen, die durch die Impfung, die niemandem geholfen habe, sich die Taschen vollgemacht hätten, und die vom tiefen Staat, der angeblich alle beherrsche, hier kann man sie hören. Aber auch die, dass man damals nur in die AfD eingetreten sei, weil die CDU ihre konservativen Ideale verraten habe.

Auf der Bühne sind all die Parolen zu hören, die man von der Rechtsaußen-Partei kennt: Die Flüchtlinge beziehungsweise die Altparteien, die sie nach Deutschland ließen, seien an allem Schuld; die „Remigration“ löse alle Probleme; die Regierenden hätten die Menschen in der Pandemie angelogen; das Herz der Ampel schlage nicht für Deutschland, stattdessen baue man Radwege in Peru. Und die CDU lasse sich mit Grünen und „Altmarxisten“ ein, statt die Brandmauer einzureißen und endlich mit der AfD zu koalieren.

So gut wie keine Rolle spielt dagegen das geplante AfD-Verbotsverfahren. Man fühlt sich offenbar sicher, auch wenn die Partei sowohl im Bund und als auch im Land als rechtsextremistischen Verdachtsfall gilt. Ruben Rupp etwa wiederholt ungerührt einen Satz, der ihm schon im Landtag einen Ordnungsruf einbrachte: „Angela Merkel ist die schlechteste Bundeskanzlerin aller Zeiten. Sie ist eine Verfassungsbrecherin.“

Landesverband will ehemaligen Vorsitzenden ausschließen

So geht es Rede für Rede, und man meint auch in Tonfall und Lautstärke die Chefin zu hören. Vor allem bei denen, die ein Ticket nach Berlin bekommen. Alice Weidel selbst spricht von einer „ökosozialistischen Multikultigesellschaft“, der sie den Kampf ansagt, sie wettert gegen die Öffentlich-Rechtlichen, sie fordert sofortige Grenzschließungen und Neuwahlen. Dafür erntet sie stehenden Applaus und Alice-Alice-Rufe.

Noch am Samstag macht dann die Nachricht die Runde, Dirk Spaniel habe seinen Parteiaustritt erklärt. Am Sonntag scheint er sich wieder zu korrigieren, doch dann äußert auch noch die Absicht, eine neue Partei zu gründen: Die alte sei ein „totes Pferd“.

Spätestens da wird es seinem Berliner Buddy von einst zu bunt. Am Dienstag beantragen Markus Frohnmaier und der Landesverband Spaniels Parteiausschluss. Nun liegt die Entscheidung beim Landesschiedsgericht. Dirk Spaniel war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

87,7 Prozent für Weidel

Die ersten vier Plätze auf der AfD-Liste für die Bundestagswahl gingen an Alice Weidel (87,7 Prozent), Markus Frohnmaier (85,1), Martin Hess (87,9) und Marc Bernhard (87,1). Es folgen Ruben Rupp (70,4), Hans-Jürgen Goßner (62,7), Jürgen Kögel (85,6), Diana Zimmer (63,1), Achim Köhler (70,4), Lars Haise (82,4) Alexander Arpaschi (82,1), Malte Kaufmann (79,1), Joachim Bloch (59,3), Michael Blos (94,5) und Heinrich Koch (85,4) auf den aussichtsreichen Plätzen 5 bis 15.

Alice Weidel und Markus Frohnmaier heißen die Sieger im AfD-Machtkampf. Foto: Michael Schwarz
Dirk Spaniel scheitert. Foto: dpa/dts-Agentur

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