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Startchancen-Programm

Mehr Chancen für Kinder aus sozial schwachen Familien

Seit der ersten PISA-Studie ist bekannt, wie abgehängt Schüler und Schülerinnen aus bildungsfernen Familien auch in Baden-Württemberg sind. Fast ein Vierteljahrhundert später wollen nun die Bundes- und die Landesregierung mit dem milliardenschweren Startchancen-Programm erstmals konsequent gegensteuern.

Mit dem Startchancen-Programm wollen Bund und Land mehr Chancengerechtigkeit erreichen und Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppeln. Foto: IMAGO/Funke Foto Services

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Stuttgart. Schwankungen in Mathe-Bildungsvergleichen, im Leseverständnis, in den MINT-Fächern oder beim Rechnen sorgen regelmäßig für Diskussionen, naturgemäß vor allem, wenn die Ergebnisse für Baden-Württemberg Mittelmaß ausweisen. Schon immer Schlusslicht in vielen Analysen war und ist das Land beim Thema Bildungsaufstieg durch Schule und will deshalb Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund ausreichend fördern und Brennpunktschulen entsprechend ausstatten.

Von einem Meilenstein sprach Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) denn auch zu Wochenbeginn bei der Auftaktveranstaltung des Startchancen-Programms im Stuttgarter Haus der Wirtschaft. Endlich Bildungserfolg und soziale Herkunft zu entkoppeln, sei für sie eine „Herzensangelegenheit“ und das Programm ein weiterer großer Hebel nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Wirtschaft, Wohlstand, Demokratie und Zukunftssicherung.

Überall für mehr Möglichkeiten zum Bildungsaufstieg sorgen

Der Applaus war warm. Vertreter und Vertreterinnen von Schulen, die vor Ort bereits aktiv sind, tauschten Erfahrungen, Erkenntnisse und Kontaktadressen aus, denn mit- und untereinander sollen Ideen entwickelt werden. Nach den Vorstellungen der Verantwortlichen im Kultusministerium könnten in den nächsten Jahren nicht nur die direkt einbezogenen Schulen profitieren, sondern eben alle Standorte in Baden-Württemberg.

„Viel mehr als nur die Brennpunktschulen haben Schwierigkeiten mit Kindern und Jugendlichen im Regelunterricht“, sagt auch Katrin Steinhülb-Joos, die Stuttgarter SPD-Landtagsabgeordnete, die selber Schulleiterin war. Deshalb sei es so wichtig, überall für mehr Möglichkeiten zum Bildungsaufstieg zu sorgen.

In der ersten Tranche beteiligten sich 226 Schulen. Etliche Lehrkräfte mahnten jetzt nach dem Auftakt im Haus der Wirtschaft weitere Detailinformationen an, etwa zur konkreten Verwendung der Mittel.

Denn jede Schule kann die Gelder aus dem sogenannten Chancenbudget eigenverantwortlich verwenden, um beispielsweise die Elternarbeit auszubauen, neue Arbeitsräume einzurichten oder Assistenzkräfte zu engagieren.

Schopper spricht sogar von einem Paradigmenwechsel: „Erstmals fließen Mittel im großen Stil genau dorthin, wo sie am meisten benötigt werden.“ Und zwar mit dem ganz klaren Ziel, viel mehr Kinder aus bisher an die Mindeststandards in Deutsch und Mathe heranzuführen.

Aus den bundesweiten Vergleichsarbeiten (Vera) zum Ende des vergangenen Schuljahres war hervorgegangen, dass nur drei Viertel der rund 80 000 Drittklässlerinnen und Drittklässler beim Lesen die Mindeststandards erreichen, die für den Abschluss der Grundschule nach Klasse vier verlangt werden. Beim Zuhören sind es 72 Prozent, beim Rechnen 71.

Bekannt ist schon lange, dass besonders häufig diejenigen Kinder die verlangten Leistungen nicht bringen, die zu Hause überwiegend nicht Deutsch sprechen. Einen positiven Zusammenhang, heißt es weiter, gebe es dagegen zwischen „dem an der Zahl der Bücher im Haushalt gemessenen kulturellen Kapital und den Ergebnissen der Vergleichsarbeiten“. Erhoben sind auch die Leistungen der Achtklässler. Im Schnitt landete in Baden-Württemberg beim Lesen jeder fünfte von ihnen unterhalb der für den mittleren Schulabschluss erforderlichen Mindeststandards, in Mathematik sogar jeder dritte.

Große Unterschiede wurden zwischen den einzelnen Schularten ermittelt: Während am Gymnasium nur zwei Prozent unter dem Mindeststandard liegen, sind es an der Gemeinschaftsschule 42 und an den Haupt- und Werkrealschulen sogar 59 Prozent, wobei in Letzteren der mittlere Abschluss häufig auch nicht angestrebt wird.

Das Programm soll wie bei einer Startrampe einen Schub schaffen

Mit dem Programm will man den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppeln. Es setzt deutlich früher an. Schopper will „wie bei einer Startrampe“ einen Schub schaffen für Kinder schon vor der und über die Einschulung hinaus, in den ersten Jahren, an der Nahtstelle in die weiterführende Schule bis zum Abschluss oder der Ausbildung.

Kritik an der Zahl der bisher teilnehmenden Standorte lässt sie nicht gelten. Ab dem Schuljahr 2025/2026 werden, wie die Kultusministerin im Haus der Wirtschaft wiederholte, etwa 540 Schulen in ganz Baden-Württemberg direkt von der Startchancen-Förderung profitieren.

Umfangreiches Paket

Das Startchancen-Programm unterstützt Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler. Bundesweit sind 20 Milliarden Euro über eine Laufzeit von zehn Jahren veranschlagt und 4000 Schulen werden im Endausbau profitieren. Das Programm von Bund und Ländern ist eines der umfangreichsten Bildungspakete, die je geschnürt wurden in der Bundesrepublik. Für Baden-Württemberg sind 2,6 Milliarden Euro vorgesehen, die Bund und Land zu gleichen Teilen zur Verfügung stellen.

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