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Die Grünen ringen um ihr letztes großes Reformgesetz
Stuttgart. Groß war die Aufregung in der Grünen-Landtagsfraktion. Von „Verrat“ war die Rede, mancher forderte gar den Rücktritt von Staatsminister Florian Stegmann. Doch den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ficht das nicht an. Mag er sich auf seiner Moldawien-Reise auch über den durchgestochenen Brief von Stegmann an Fraktionschef Andreas Schwarz geärgert haben, in dem der Chef der Staatskanzlei in seinem Namen einen Verzicht auf das Gleichbehandlungsgesetz verkündet hat.
Kretschmann steht trotz Stegmanns Foulspiel zu seinem Staatsminister
Als er am Dienstag auf der Landespressekonferenz nach Konsequenzen gefragt wird, sagt der grüne Regierungschef über Stegmann jedoch: „Er leistet hervorragende Arbeit. Er ist eine große Stütze.“ Dass Stegmann manche Grüne Arroganz vorwerfen, will der 75-jährige Regent gar nicht mitbekommen haben.
Es sind vor allem zwei Sätze in Stegmanns Brief, der schon im August versendet wurde und der der Redaktion vorliegt, die für Aufregung sorgen: „Ich werde den vorliegenden Entwurf des Gleichbehandlungsgesetzes nicht in die weitere Regierungsabstimmung geben.“ Als „politischer Beamter (…) fordere ich die die Regierung tragenden Fraktionen auf, auf die Umsetzung des Koalitionsvertrages in diesem Punkt zu verzichten.“
Hat er damit seine Kompetenzen überschritten? Mancher Grüner spricht von Rücktrittsgrund, andere nennen schon potenzielle Nachfolger. Doch das ist mit Kretschmanns Treuebekenntnis vom Tisch. Auch CDU-Chef Manuel Hagel stellt sich nach einigen Krisensitzungen der Koalition hinter Stegmann.
Das Gleichbehandlungsgesetz im Original lesen Sie hier.
Bleibt die Frage: Hat Stegmann die Haltung Kretschmanns zu dem Gesetz ausgedrückt, will dieser darauf verzichten? Kretschmann antwortet darauf mit einem fein ausziselierten Satz: „Florian Stegmann hat den Brief in dem Wissen geschrieben, dass ich den Inhalt teile.“ Und verweist dann darauf, dass das Gesetz nun „neu ausgehandelt“ werde, innerhalb der Grünen, mit der CDU und den heftig kritisierenden Verbänden, wie etwa dem Gemeindetag um Steffen Jäger (CDU). Der grüne Vorsitzenden des Normenkontrollrats, Dieter Salomon, erneuert in diesen Tagen seine frühere Kritik im Ortenauer Stadtanzeiger: „Mir fehlt offen gestanden die Fantasie, wie ein solches Machwerk unbürokratisch umgesetzt werden soll.“ Das sieht allerdings Oliver Hildenbrand ganz anders. Der ehemalige Grünen-Landeschef ist Vize-Fraktionschef Landtag und gilt als der Kopf des linken Flügels.
Der linke Flügel der Grünen beharrt auf dem Gleichstellungsgesetz
Hildenbrand hat einst in Spaziergängen mit CDU-Fraktionschef Manuel Hagel das Gesetz ausgehandelt. Es wurde eine letztlich im Konsens eine abgespeckte Version des Anti-Diskriminierungsgesetzes in Berlin, das als einziges Bundesland bislang eine eigene Regelung erlassen hat.. „Es ist kein Misstrauensgesetz, sondern ein Vertrauens-Stärkungsgesetz“, sagt Hildenband im Landtag, eine Klagewelle sei nicht zu befürchten.
Eigentlich hatte das Kabinett schon im Dezember 2023 das Gesetz passieren lassen. Doch nun geht die CDU auf Distanz. Hagel schweigt, doch der Fraktionsvize Stefan Teufel sagt ebenfalls einen fein ausziselierten Satz und stellt in Frage, ob es „unter den geänderten Rahmenbedingungen wirklich sinnvoll und zielführend ist, bedingungslos und unreflektiert an dem im Jahr 2021 vereinbarten Festlegungen festzuhalten.“ Hier klatschen nur CDU und FDP, während bei den Grünen betretenes Schweigen herrscht.
Einen Kommentar dazu lesen Sie hier.
Wie geht es nun weiter? Wie viel von dem Gesetz, das den Geltungsbereich der bundesweiten Regelung auf die Verwaltung und die Kommunen ausweiten soll, können die Grünen noch durchsetzen?
Die Opposition spricht von „letzten Szenen einer Ehe“
Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke spricht im Landtag von einem „unnötigen Prestigeprojekt der Grünen“, der SPD-Abgeordnete Florian Wahl von „letzten Szenen einer scheiternden Ehe“ und wirft Kretschmann vor: „Dem Ministerpräsidenten scheint alles egal zu sein, er will vor allem seine Ruhe haben.“
Es wird daher verhandelt in der Koalition. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), neben Kretschmann der Dienstälteste im Kabinett, sagt weise lächelnd: „Wo ein Wille ist, das ist auch ein Kompromiss.“ Der Fraktionschef Andreas Schwarz, als Adressat von Stegmanns Brief besonders im Fokus, mahnt eine bessere Kommunikation an: „Wir haben schon immer gut dran getan, bei unterschiedlichen Auffassungen das Gespräch zu suchen.“
Es könnte einen Deal geben, etwa das Gesetz nicht auf Schornsteinfegeroder den Strafvollzug auszudehnen, die CDU könnte im Gegenzug Zugeständnisse bei der Entschlackung der Landesbauordnung im Gegenzug bekommen. Klar aber ist: Bei den Grünen in Regierung und Parlament ist ein tiefer Riss entstanden.
Was sagt Staatsminister Florian Stegmann?
In der Debatte im Landtag zum geplanten Gesetz war Stegmann nicht da, aber nachmittags zur regulären Regierungsbefragung. Dort erklärte er, den Brief habe er in seiner „Funktion als Bürokratiebeauftragter“ geschrieben: „Ich finde es ehrlich gesagt auch nicht ungewöhnlich, dass, wenn ein Gesetzentwurf aus der Anhörung zurückkommt, man sich das genau anschaut.“ Wenn er das nicht getan hätte, sagte er, dann hätte man ihm erst Recht Vorwürfe gemacht.