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Interview zur Queer-Umfrage 

Veronika Wäscher-Göggerle: „Wir tragen die Vielfalt in das öffentliche Bewusstsein“

Queere Menschen auf dem Land? Wie schwer das ist, zeigte sich jüngst bei der ersten CSD-Parade in Albstadt, wo sich prompt eine Gegendemonstration Rechtsextremer zusammenfand. Der Bodenseekreis möchte queeren Menschen einen diskriminierungsfreien Wohnort bieten. Eine erste Aktion hat sich aus einer Online-Queer-Umfrage ergeben, so Frauenbeauftragte Veronika Wäscher-Göggerle.

Bei den Paraden zum Christopher-Street-Day kommen Tausende in den großen Städten des Landes zusammen, etwa in Freiburg. Aber wie sieht das queere Leben im ländlichen Raum aus? Eine Umfrage des Bodenseekreise hat Fakten dazu erhoben. Foto: dpa/Patrick Seeger

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Staatsanzeiger: Was war der Anlass der Queer-Umfrage im Frühjahr 2023 ?

Veronika Wäscher-Göggerle: Oft heißt es ja, dass queere Menschen in Ballungsräume ziehen, weil sie dort frei leben könnten, weniger bewertet werden und weniger Diskriminierung erleben, als im ländlichen Raum. Das wollten wir uns genauer ansehen und herausfinden, wie queere Menschen ihren Alltag im Bodenseekreis erleben und ob sie sich tatsächlich diskriminiert fühlen. Nach einer Analyse der Antworten wollten wir überlegen, mit welchen Maßnahmen schwule, lesbische und Transmenschen sowie die anderen Gruppen, die sich selbst als queer bezeichnen, hier bei uns vor Diskriminierung geschützt werden können.

Wo finden denn Diskriminierungen statt?

Das ist ein langer Katalog, den die 210 Antworten auf unsere Umfrage ergeben haben. Überrascht hat mich zum Beispiel die Erfahrung vieler im medizinischen Bereich, wo Ärztinnen und Ärzte anscheinend auf die Bedürfnisse queerer Menschen zu wenig eingehen. Beispiele für Diskriminierung wurden auch genannt aus der Schule, der Polizei oder einfach beim Einkaufen – also echte Alltagssituationen. Unsere Teilnehmenden stammen dabei aus allen Altersgruppen, wobei wir nicht abgefragt haben, zu welchem Teil der queeren Community die Antwortgebenden gehören.

Das hört sich nach sehr vielen und sehr kleinteiligen Antworten an – wie wollen sie darauf reagieren?

Ein Ansatz ist eine Sichtbarkeitskampagne, bei der wir die Vielfalt in das öffentliche Bewusstsein tragen. Konkret haben wir uns für ein Bierdeckelquiz entschieden, bei der es auch um die vielen Strömungen und Betroffenheiten in der queeren Community geht und das die wichtigen Begriffe in den Mittelpunkt rückt.

Das Bierdeckel-Quiz findet in Kneipen statt, wo Diskussionen nicht gerade ausgewogen sind, wenn es um so gesellschaftlich aufgeladene Themen wie Homosexualität oder Queerness geht …

Selbst, wenn es so ist, ist die Kneipe genau der richtige Ort. Hier können Menschen über das Thema ins Gespräch kommen, die vielleicht noch nie einem schwulen Mann oder einer lesbischen Frau bewusst begegnet sind. Wir haben dazu drei kleine Kreuzworträtsel zu wichtigen Begriffen der queeren Community entwickelt. Ein QR-Code führt auf unsere Themenwebseite, auf der wir ein Glossar wichtiger Begriffe und deren Erklärung zusammengetragen haben. Immerhin 25 Wirte haben auf Anhieb die Bierdeckel bestellt.

Das sind aber nicht so viele in einer Tourismusregion wie dem Bodensee.

Wir können Gastronomen nicht zwingen, aber wir haben viele positive Rückmeldungen, auch über Gespräche, die zum Beispiel mit Touristen und den einheimischen Gaststättenbesucherinnen entstanden sind. Das ist Sichtbarmachung par excellence.

Welche Verbesserungswünsche haben Sie noch in den Antworten gefunden?

Bei der Umfrage ging es um Forderungen nach mehr Sichtbarkeit in der Gesellschaft, Aufklärung gegen Diskriminierung oder Sicherheit vor queerfeindlicher Gewalt. Dazu passt die Forderung nach Beratungsangeboten und nach queeren Zentren für die Community. Öffentliche Einrichtungen sollen als Vorreiter agieren und außerdem sollen nicht binäre Menschen, also alle, die sich nicht eindeutig einem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen, anerkannt werden.

Eine Beratungsstelle, ein queeres Zentrum oder eine andere Anlaufstelle – das wäre doch ein typisches Aufgabengebiet für einen Landkreis .

Tatsächlich spiegelt die Befragung einen Bedarf, zumal die nächsten Beratungsstellen in Ulm oder Stuttgart. In der Vergangenheit gab es seitens einer Kreistagsfraktion diesbezüglich auch schon eine Anfrage, aber natürlich wäre das eine Entscheidung, die im Kreistag von einer Mehrheit getragen werden muss. Auch im Nachbarkreis Konstanz wird über ein Beratungsangebot nachgedacht, vielleicht lässt sich da eine Möglichkeit über die Kreisgrenzen hinweg organisieren.

Queere Menschen fordern Sicherheit ein. Wie wollen Sie dem gerecht werden?

Wir verfolgen hier einen gesellschaftspolitischen Ansatz. Dieser wird schwer einlösbar, wenn nicht mit Aufklärungsarbeit weitergemacht wird. Wir möchten ein gesellschaftliches Bewusstsein stärken, das in der Vielfalt keine Bedrohung sieht. Durch Aufklärung können wir Menschen mobilisieren, die ohne verfestigte Ressentiments auf queere Menschen zugehen und so die Schutzbedürftigkeit anerkennen.

Das sagt der Landkreistag

Vom Landkreistag kommt große Zustimmung zu den Aktivitäten im Friedrichshafener Landratsamt. „Die Landkreise bekennen sich ausdrücklich dazu, dass alle Menschen gleichberechtigt und selbstbestbestimmt an der Gesellschaft teilhaben sollen. Denn dies gehört zum Kern unserer Verfassung“, sagt Landkreistag-Hauptgeschäftsführer Alexis von Komorowski. Der Verband hatte den Aktionsplan „Für Akzeptanz und gleiche Rechte“ des Sozialministeriums begleitet.

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