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Kretschmann in Rumänien und Moldau: Eine Region sucht ihre Chancen
Bukarest/Chisinau. „Und was sollen wir unseren Gesprächspartnern jetzt für Botschaften bringen?“, fasst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) das 25-minütige Briefing in einer einzigen Frage zusammen. Gerade einmal seit zwei Stunden ist er mit seiner Delegation in Moldawiens Hauptstadt Chisinau. In einer Tour d’Horizon hat Martin Sieg zum Auftakt die aktuelle Lage zusammengefasst: die Armut, die Gefahren durch russische Indoktrination, den Aderlass an Fachkräften, die Chancen, die sich nach den Wahlen eröffnen können.
Sieg ist EU-finanzierter Berater von Staatspräsidentin Maia Sandu. Die 52-Jährige hat ihr Bestreben, wiedergewählt zu werden, mit einem Referendum darüber verbunden, ob das Ziel des EU-Beitritts in die Verfassung aufgenommen werden soll.
„Wir unterstützen als starkes Bundesland, wo wir können“
Der Europaexperte hat einen pragmatischen Tipp für die Gäste aus dem Südwesten: Komplexitätsreduzierung. Der Mangel an qualifiziertem Personal sei so groß, dass die Kapazitäten fehlen, mehrere multiple Prozesse parallel voranzutreiben.
Kretschmanns Botschaft an die Wirtschaftswissenschaftlerin, die unter anderem in Harvard studiert hat, ist denn schlank und rank: „Wir unterstützen als starkes Bundesland, wo wir können.“ Er sehe gerade die Abwehr prorussischer Kräfte mit „großem Respekt“. Unterzeichnet werden mehrere Erklärungen. Eingerichtet wird eine gemischte Regierungskommission, in der alle drei Länder vertreten sind. Als ein Thema der Zusammenarbeit nennt Kretschmann den Umgang mit Desinformationsstrategien: „Da können wir sicher viel von ihnen lernen.“
Seit mehr als zwei Jahrzehnten hat Baden-Württemberg Erfahrung mit solchen Kommissionen, kann für sich in Anspruch nehmen, mehrere Länder, darunter auch Rumänien, auf diese Weise bei den Vorbereitungen auf den EU-Betritt unterstützt zu haben. „Wir machen keine große Außenpolitik“, sagt Florian Hassler (Grüne), Staatssekretär im Staatsministerium, „aber die kleine.“ Über Corona sind manche Kontakte eingeschlafen. In Bukarest, auf der ersten Station der dreitägigen Reise, wurde die Wiederbelebung beschlossen.
Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) sieht als „erfolgversprechende Kooperationsbereiche“ mit Rumänien den Anbau von Soja. Innenstaatssekretär Thomas Blenke (CDU) will unter anderem den Austausch von bei Katastrophenübungen gewonnenen Erfahrungen befördern, Andre Baumann (Grüne), der Umweltstaatssekretär, die Wärmewende und den Aufbau einer Energieagentur. Er besucht eine PV-Anlage im Weinberg. Von einer intensiveren Zusammenarbeit, von der Suche nach den Chancen vor allem profitieren kann die Republik Moldau, jedenfalls wenn Sandu die Wahl gewinnt und nicht wieder Oligarchen an die Macht kommen.
Nur mit weitgehend ideeller Aufbauhilfe wird es aber nicht getan sein. Wie bei allen Delegationsreisen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor inzwischen 35 Jahren geht es auch um Investitionen. Gesprächspartner in Bukarest bieten ihr Land an, zumal der „deutsche Footprint hier sehr sehr groß ist“, wie einer der Experten vor Ort sagt, allerdings mit der klaren Botschaft: „Kommt zu uns und produziert bei uns, statt allein an unseren Ressourcen interessiert zu sein.“
Noch Zukunftsmusik und dennoch heftig diskutiert ist das Thema Wasserstoff. Baden-Württemberg, heißt es in der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer, will „Teil dieser Entwicklung werden“. Die Gastgeber erwarten – zumindest auch –, dass sich Unternehmen aus dem Südwesten engagieren und Arbeitsplätze schaffen. Noch unverblümter präsentieren die Moldauer ihre Bedürfnisse – weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Am Straßenrand in Chisinau sitzen Frauen, um mit dem Verkauf von ein paar Kartoffeln oder Äpfeln die schmale Rente aufzubessern. Die Armut ist brandgefährlich in den Wochen vor dieser entscheidenden Wahl, weil prorussische Kräfte versuchen, Stimmen zu kaufen. Fast die Hälfte des Staatshaushalts bestand lange Zeit aus EU-Hilfen, gegenwärtig sind es rund 30 Prozent. Geld fließt in elementarste Bedürfnisse wie Wärme und Licht. Viele, die können, verlassen die Heimat in Richtung Westen des Kontinents, um dort zu arbeiten.
Zum Referendum hat der Präsidentinnen-Berater eine klare Haltung: „Die Moldauer kommen auf jeden Fall in die Europäische Union, die Frage ist nur, ob sie ihr Land mitnehmen.“ Er ist mit Blick auf einen offiziellen Beitritt irgendwann in der nächsten Dekade optimistisch und begründet dies mit der offensiven Herangehensweise von Sandu, die Risiken nicht scheue und thematisch eigene Schwerpunkte setzt.
Konkrete Zusagen seitens der Gäste bleiben Mangelware. Trotzdem sind die Gesprächstermine in beiden Hauptstädten gekennzeichnet von einer hohen Wertschätzung für Kretschmann. Die politische Delegation traf nicht nur Sandu, sondern auch Rumäniens Staatschef Klaus Johannis, der der deutschen Minderheit angehört. Mitglieder dieser Community hätten es gerne gesehen, wenn Kretschmann auch in Temeswar bestehende Kontakte zu den Banater Schwaben vertieft hätte.
Hassler verspricht bald wiederzukommen, ist beauftragt, die ersten Sitzungen vorzubereiten. Und die frühere Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne), seit wenigen Monaten Chefin der Baden-Württemberg Stiftung, will sich der in Stuttgart angestoßenen und inzwischen von der EU mitfinanzierten Donauraum-Strategie samt den daraus erwachsenden Projekten annehmen. Drei Projekte stehen zum Abschluss der Reise auf dem Programm, unter anderem eines zur Eingliederung ukrainischer Geflüchteter und benachteiligter Jugendlicher in den lokalen Arbeitsmarkt in Moldau, der Beschäftigte auf allen Ebenen so dringend braucht.
„Wir alle sind für den Zustand unserer Demokratie verantwortlich“
Zum Empfang aus Anlass des 3. Oktobers hat Kretschmann noch eine Botschaft mitgebracht, die Gemeinsamkeiten auf politischer Ebene unterstreicht. Der Ministerpräsident zitiert Antoine de Saint-Exupéry und seinen kleinen Prinzen, der sich mit dem Fuchs über eine Rose unterhält und ihn auffordert, die zu bewahren. „Wir alle“, sagt Kretschmann, „sind für den Zustand unserer Demokratien verantwortlich.“ Denn die sei „eben nicht nur irgendeine Regierungs-, sondern eine Lebensform“.
Warmer Applaus der geladenen Gäste ist Kretschmann sicher, auch weil Baden-Württemberg sich an diesem Abend jedenfalls sehr großzügig zeigt. Der Wein ist von Baden-Württemberg gesponsert, gekeltert durch einen der bekanntesten Moldauer Winzer. Und der hat sein Handwerk in Württemberg gelernt.
Interview: Winfried Kretschmann:
„Moldau nach Kräften unterstützen“
Der Ministerpräsident will die Republik auf ihrem Weg in Richtung Europäische Union begleiten
Staatsanzeiger: Wie kann das Land die Chancen der Zusammenarbeit mit Rumänien wieder besser nutzen?Winfried Kretschmann: Wir kooperieren seit vielen Jahren erfolgreich in der EU-Donauraumstrategie und in der Gemischten Regierungskommission. Wir haben vereinbart, bei der Unterstützung der Republik Moldau enger zusammenzuarbeiten, um Rumänien als Stabilitätsanker in der Region zu stützen. Besondere Bedeutung hat auch die deutsche Minderheit in Rumänien, die eine Brücke zwischen unseren Ländern bildet. Über die Kulturzusammenarbeit und Jugendaustausche halten wir die Beziehungen lebendig. Und unsere Wirtschaftskooperation ist intensiv. So ist etwa Daimler in Rumänien mit Werken vertreten, die ausgebaut und auf Elektromobilität umgestellt werden.
Was braucht die Republik Moldau von dem, was Baden-Württemberg zu bieten hat, am meisten?Moldau steht vor richtungsweisenden Wahlen. Zugleich bedroht Desinformation aus Russland den proeuropäischen Kurs. Wir wollen Solidarität und Unterstützung bieten und das Land auf seinem Weg in die EU begleiten. Moldau geht zentrale Reformen an, hat seine Energieversorgung umgestellt und vielen Geflüchteten aus der Ukraine Schutz geboten. Das sehe ich mit großem Respekt.
Was ist die wichtigste Botschaft der Delegationsreise?Der brutale völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine bedroht Europa, aber Südosteuropa und Rumänien und Moldau in besonderer Weise. Wir wollen der Region zeigen, dass die europäischen Demokratien zusammenstehen und die Donauraumstrategie ein wertvolles Instrument ist, um insbesondere Moldau nach Kräften zu unterstützen. Der Krieg soll aus meiner Sicht vor allem eines zerstören: die Aussicht der Menschen in der Ukraine und Südosteuropa auf Demokratie, Frieden und eine Zukunft in Europa. Das werden wir nicht zulassen.