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Prozessbeginn gegen Gründer der Querdenken-Bewegung
Stuttgart. Mittwoch, 8 Uhr, am Eingang des Landgerichts Stuttgart, es nieselt. Vor der Säule, auf der ein steinerner Engel thront, der die Linke zum Schwur erhoben hat, hat sich das Team von Kla.tv platziert. Sie drehen einen Aufsager, die Zuschauer sollen schließlich wissen, wo sie sich befinden und worum es geht.
Da kommt Heinrich Fiechtner ums Eck, der für die AfD im Landtag und im Stuttgarter Gemeinderat saß und den Beteiligten jeweils so lange auf die Nerven ging, bis es allen reichte. Fiechtner hilft bei der Einordnung von kla.tv. Dies sei der Sender eines strengen Schweizer Predigers, der über „klare Ansichten“ verfüge.
Fiechtner selber ist auch als Journalist gekommen, was insofern überrascht, als man ihn eigentlich als Onkologen, Politiker und Maßnahmengegner kannte. Er berichte für das Compact-Magazin, das vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft wird.
„Freiheit wird aus Mut gemacht“, ist auf Ballwegs T-Shirt zu lesen
Weiter geht es, einmal durch das Hauptgebäude und dann über den Parkplatz: Die Verhandlung findet im Nebengebäude statt. Mit im Schlepptau ist jetzt ein junger Mann, der für „Epoch Times“ arbeitet. Ton, Bild, Text – er macht alles allein. Fiechtner hilft wieder bei der Einordnung: Dies sei kein Mainstream-Medium.
Endlich im Gerichtssaal, es ist viertel vor neun. Reinhard Löffler erscheint, CDU-Landtagsabgeordneter und Michael Ballwegs Pflichtverteidiger. Löffler ist als Verteidiger schillernder Persönlichkeiten mit rechter Gesinnung bekannt. Der 70-Jährige, der bei IBM Karriere machte, weiß, dass seine Rechtsanwaltstätigkeit nicht jedem in der CDU gefällt. Er würde auch Judas Iskariot verteidigen, „das gehört sich so“, erläutert er. „Ich mache mir das Denken der AfD und der Querdenker nicht zu eigen“, betont er und begibt sich in den vorderen Teil des Saals, wo nur die Prozessbeteiligten Zutritt haben. Da legt er den hellgrauen Mantel ab und steht da im schwarzen Anzug, weißbeiger Krawatte, randloser Brille und lila Einstecktuch. Nun könnte es eigentlich losgehen.
Halt, fehlt da nicht noch die Hauptperson? Michael Ballweg ist inzwischen auch da, tauscht sich aber noch vor der Tür mit seinen Verteidigern aus, auch Löffler ist wieder aus dem Saal gekommen. Der 49-Jährige trägt eine schwarze Jacke, auf der eine „01“ steht. Auf seinem weißen T-Shirt kann man den Satz „Freiheit wird aus Mut gemacht“ lesen.
Zu Ballwegs Vorstellungen von Freiheit und Mut mag man stehen, wie man will. Doch deswegen sitzt der Kopf der Querdenken-Bewegung nicht vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Betrug und Steuerhinterziehung vor.
Kurz nach halb zehn, die Fotografen sind aus dem Saal, kann die Verhandlung beginnen. Franziska Graefe beginnt mit der Verlesung der Anklageschrift. Die junge Staatsanwältin ist nicht zu beneiden. Die Buchstaben und Zahlen, die Kontonummern und Euro-Beträge, die bis auf den Cent hinter dem Komma genannt werden, wollen kein Ende nehmen. Einmal verhaspelt sie sich, ihr Staatsanwaltskollege, der aufmerksam mitliest, korrigiert.
Ursprünglich sollte die Anlage auf vollendeten Betrug und Geldwäsche lauten, doch diese Vorwürfe wurden inzwischen fallengelassen. Vor allem deshalb, weil sich bislang kein Spender fand, der sich betrogen fühlt. Ein versuchter Betrug, so eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft, könne trotzdem vorliegen.
Ballweg saß ein Dreivierteljahr in Stammheim in Untersuchungshaft
Ob dies für eine Verurteilung ausreicht, muss das Gericht entscheiden. 30 Verhandlungstage wurden angesetzt, immer wieder dienstags wird man zur Wahrheitsfindung schreiten. Reinhard Löffler geht fest von einem Freispruch aus. Ballweg, der neun Monate in Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft saß, wirkt angefasst. All sein Geld sei beschlagnahmt und seine IT-Firma geschlossen, er habe nicht einmal mehr ein Bankkonto, sagt er in der anschließenden Pressekonferenz. Doch er sei nicht der einzige Maßnahmenkritiker, der vor Gericht stehe. „Ich gehe mit leuchtendem Beispiel voran.“
Seine Unterstützer leeren sich da gerade den Kropf, einer spricht von Sauerei. Es sind jene älteren Semester, die eben noch in den hinteren Reihen saßen. Lange Haare, Ringelsocken. Erst waren sie gegen Atomkraft, dann gegen Stuttgart 21. Und nun sind sie im Landgericht und können nicht verstehen, dass andere, die einst mit ihnen auf die Straße gingen, hierher nicht folgen konnten.
Worüber verhandelt wird
9450 Personen sollen Michael Ballweg nach Angaben der Staatsanwaltschaft Geld gespendet haben, damit er Veranstaltungen organisiert, die sich kritisch mit den Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern auseinandersetzen. 1,3 Millionen Euro seien so zusammengekommen. Doch etwas mehr als eine halbe Million Euro habe Ballweg nicht für die Sache, sondern für private Zwecke verwendet. Unter anderen soll er so seinen Lebensunterhalt bestritten und Geld in seine Firma gesteckt haben.